© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/19 / 13. Dezember 2019

Sieg und Tod am Rio de la Plata
Dezember 1939: Kapitän Langsdorff und die Selbstversenkung der „Admiral Graf Spee“
Egon W. Scherer

Noch bevor die „Schleswig-Holstein“ mit dem Beschuß der Westerplatte bei Danzig am 1. September 1939 den Krieg gegen Polen eröffnete, hatte die deutsche Kriegsmarine Vorbereitungen auch für einen möglichen Krieg mit England getroffen. Angesichts der hoffnungslosen Unterlegenheit gegenüber der britischen Seemacht plante die Seekriegsleitung, im Ernstfall neben den wenigen verfügbaren U-Booten auch einige Großkampfschiffe in den Atlantik zu entsenden, um dort Kaperkrieg gegen Handelsschiffe auf den für den Inselstaat wichtigen Zufahrtswegen zu führen.

Schon am 21. August 1939 verließ der Panzerkreuzer „Admiral Graf Spee“ unter seinem Kommandanten Kapitän zur See Hans Langsdorff Wilhelmshaven und lief, unbemerkt von den Briten, in den Atlantik ein. Wenig später folgte das Schwesterschiff „Deutschland“, dem der Nordatlantik als Operationsgebiet zugewiesen worden war, während die „Graf Spee“ im Kriegsfall im Südatlantik operieren sollte. 

Zwei britische Kriegsschiffe mußten Kampf abbrechen

Auch nach Englands Kriegserklärung an Deutschland blieb die „Graf Spee“ zunächst inaktiv und schlug erst am letzten Septembertag zu: Vor der Ostspitze Brasiliens versenkte sie den britischen Dampfer „Clement“ (5.000 BRT). Englands Admiralität war aufgescheucht. Neun Aufklärungsgeschwader, die aus 23 schweren Kriegsschiffen bestanden, wurden auf die Spur der deutschen Kaperschiffe gesetzt. Aber die „Graf Spee“ blieb lange unentdeckt. Während die „Deutschland“ im Nordatlantik englische Frachter versenkte oder neutrale Schiffe mit Konterbande aufbrachte, um dann Mitte November unbehelligt in die Heimat zurückzukehren, verunsicherte Kapitän Langsdorffs Panzerkreuzer die Gewässer um Afrika. Neun Dampfer mit einer Gesamttonnage von über 50.000 BRT wurden seine Beute, wobei kein Besatzungsmitglied der aufgebrachten Schiffe ums Leben kam. Die Gefangenen übernahm ein Versorgungsschiff.

Am Ende aber zog sich die Schlinge, von so vielen Verfolgern ausgelegt, dann doch zu. Vor der Küste Südamerikas traf der erfolgreiche Handelsstörer am 13. Dezember 1939 überraschend auf eine britische Flotteneinheit unter Commodore Henry Harwood, bestehend aus dem schweren Kreuzer „Exeter“ sowie den kleinen Kreuzern „Ajax“ und „Achilles“. Da Langsdorff zunächst glaubte, Handelsschiffe vor sich zu haben, griff er entgegen der Weisung, Gefechtsberührung mit feindlichen Seestreitkräften möglichst zu vermeiden, sofort an. Das sich entwickelnde Seegefecht wurde dank ihrer größeren Feuerkraft von der „Graf Spee“ entschieden, da ihre überlegene Schiffsartillerie schwere Treffer auf der „Exeter“, von deren 20 Offizieren auf der Brücke nur zwei überlebten, sowie auch auf der „Ajax“ erzielten, so daß Commodore Harwood schließlich den Kampf abbrach. Sein Geschwader war allerdings nicht vollständig gewesen, da der Schwere Kreuzer „Cumberland“ gerade zur Reparatur die nahen Falkland-inseln aufsuchte. 

Es war die erste Seeschlacht des Zweiten Weltkrieges – und sie sollte für den Sieger tragisch enden, denn auch die „Admiral Graf Spee“ hatte schwere Blessuren davongetragen, die weniger die Gefechtsfähigkeit als vielmehr die Seetüchtigkeit des Schiffes beeinträchtigten. Fünf metergroße Einschläge in Deck und Schanzkleid und siebzehn Treffer kleineren Kalibers hatten Schäden verursacht, die mit Bordmitteln nicht zu beheben waren. 36 Besatzungsmitglieder waren gefallen. 

Kapitän Langsdorff informierte die Seekriegsleitung, er steuere notgedrungen zur Reparatur des Schiffes den nächsten neutralen Hafen an: Montevideo, die Hauptstadt Uruguays. Die dortigen Hafenbehörden aber gewährten dem ungebetenen Gast nur 48 Stunden Liegezeit, die später auf 72 Stunden verlängert wurde – viel zu wenig, um die Schäden zu beheben. Montevideo erwies sich als Falle für die „Graf Spee“. Ihr Kommandant wurde Opfer der vom britischen Geheimdienst lancierten Gerüchte, vor dem Hafen lägen inzwischen auch das Schlachtschiff „Renown“ und der Flugzeugträger „Ark Royal“ auf der Lauer, während Commodore Harwood tatsächlich nur seinen Kreuzer „Cumberland“ zurückbeordern konnte. Langsdorff funkte nach Deutschland, angesichts der feindlichen Überlegenheit sei ein Durchbruchsversuch hoffnungslos und erbat Bescheid, ob er das Schiff versenken solle oder ob Internierung vorgezogen werde. Die Seekriegsleitung antwortete: „Keine Internierung in Uruguay. Im Falle einer Versenkung das Schiff nachhaltig zerstören.“ 

So geschah es. Am Abend des 17. Dezember wurden Tausende von Schaulustigen Zeugen, als die auslaufende „Graf Spee“, zuletzt nur noch mit einem Sprengkommando an Bord, kurz hinter der Drei-Meilen-Zone in der La-Plata-Mündung Anker warf und wenig später nach einer gewaltigen Detonation brennend im flachen Wasser versank. Die Mannschaft, die Langsdorff nicht in einem für sinnlos gehaltenen Kampf opfern wollte, entkam ins benachbarte deutschfreundliche Argentinien und wurde dort interniert. Kommandant Hans Langsdorff aber wollte den Untergang seines Schiffes nicht überleben und wählte den Freitod. Man fand ihn in seinem Hotelzimmer, tot auf der Flagge seines versunkenen Schiffes liegend. Zu seiner Haltung gegenüber der Mannschaft soll er gesagt haben: „Mir sind tausend junge Männer lebend lieber als tausend tote Helden.“ Daheim in Deutschland wertete man dieses Verhalten weniger positiv. Großadmiral Raeder befahl für die Zukunft: „Das deutsche Kriegsschiff kämpft bis zur letzten Granate, bis es siegt oder untergeht!“

Lebhaftes Gedenken der Nachfahren Überlebender

An Langsdorffs Beisetzung in Buenos Aires am 21. Dezember 1939 sollen Hunderttausende teilgenommen haben – Deutsche, Argentinier und Engländer. Noch heute gedenken die Nachfahren der „Graf Spee“-Besatzung am 20. Dezember jeden Jahres ihres „Commandante Langsdorff“ und legen Blumen an seinem Grab nieder. Während in der deutschen Öffentlichkeit Kampf und Untergang der „Admiral Graf Spee“ weitgehend vergessen sind, ist die Erinnerung an die Schlacht am Rio de la Plata in Argentinien und Uruguay lebendig geblieben.