© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/19 / 20. Dezember 2019

Immer feste druff
Haß auf Mandatsträger: Von wegen „Opfer links, Täter rechts“ – das gibt nicht die Realität wieder
Jörg Kürschner

Zum Jahresende hat sich in Deutschland die Debatte über die zunehmende Bedrohung von Politikern vertieft, die – eindeutig auf rechte Gewalt fokussiert – zugleich die Spaltung der Gesellschaft aufzeigt. Dabei ist – in allen Parteien – die Besorgnis groß, nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) und dem Überfall auf den Bremer AfD-Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz könnte es 2020 zu weiteren Gewaltakten kommen. 

Erneut sah sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier veranlaßt, zu einer sachlichen Streitkultur aufzurufen. Man müsse wieder einüben, daß es etwas Selbstverständliches sei, nicht einer Meinung zu sein, betonte er im sächsischen Pulsnitz. „Es ist höchste Zeit, daß wir uns über Stil und Inhalt von Auseinandersetzungen wieder Gedanken machen. Wir müssen wieder lernen, einander gegenüber zu sitzen und unterschiedliche Meinungen auszuhalten.“

Anlaß seines Besuchs waren Bedrohungen und Anfeindungen, denen sich Kommunalpolitiker immer häufiger ausgesetzt sehen. Die parteilose Pulsnitzer Bürgermeisterin Barbara Lüke sagte, sie werde immer öfter beleidigt. Erst kürzlich sei ihr Haus mit Eiern beworfen worden. Sie sprach von einer „Krise der Demokratie“. In Arnsdorf, 15 Kilometer von Pulsnitz entfernt, war die Bürgermeisterin Martina Angermann (SPD) zurückgetreten, da sie sich seit längerer Zeit von Rechtsradikalen gemobbt fühlt. „Eine stärkere gesellschaftliche Debatte über Anstand und Mindestanforderungen unseres Zusammenlebens“ forderte der Präsident des Deutschen Städtetages, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung. Sprache und Stil von politischen Auseinandersetzungen verrohten zunehmend, würden rücksichtsloser und gewaltbereiter. Positiv vermerkte der SPD-Politiker, daß Staatsanwaltschaften und Polizei mittlerweile sensibler auf das Thema reagierten.

Bei den Strafverfolgungsbehörden dürften sich die Ermittlungsakten bald stapeln, da die Große Koalition die Strafen für Bedrohungen und Hetze erheblich verschärfen will. So soll etwa der allgemeine Schutz von Politikern vor Beleidigungen und übler Nachrede auf Kommunalpolitiker erweitert werden (JF 46/19). Wer andere öffentlich im Netz beleidigt, soll künftig mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden. Es sei etwas anderes, ob man in der Kneipe persönlich beleidigt oder im Netz angegangen werde, wo ein solcher Angriff eine viel größere Reichweite habe, argumentiert Justizministerin Christine Lambrecht. Härter bestraft werden soll künftig die Bedrohung anderer Menschen. Wer eine Körperverletzung androht, begeht nach dem Gesetzentwurf eine Straftat – wie bisher nur bei Morddrohungen. Werden diese Drohungen im Internet ausgesprochen, sollen Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren möglich sein, bei Morddrohungen von bis zu drei Jahren. 

Union und SPD begründen ihr Gesetzesvorhaben mit einer Zunahme rechtsextremistisch motivierter Straftaten. Rechtsextremismus sei eine der größten Bedrohungen für eine offene und tolerante Gesellschaft, erklärte die SPD-Politikerin bei der Vorstellung ihres Gesetzentwurfs. „Jeden Tag passieren zwei rechte Gewalttaten, zuletzt hat es 20.000 rechtsextremistisch motivierte Straftaten im Jahr gegeben. Auch 77 Prozent aller politisch motivierten kriminellen Haßkommentare im Internet sind rechtsextremistisch.“ In die Pflicht nehmen will die Koalition auch soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter. Sie müssen bestimmte Posts künftig sofort dem Bundeskriminalamt melden. Das umfaßt etwa Neonazi-Propaganda, die Vorbereitung einer Terrortat oder die Bildung und Unterstützung krimineller Vereinigungen sowie Volksverhetzung und Gewaltdarstellungen.

Die AfD wirft der Koalition Einseitigkeit vor. Das Bündnis blende aus, „daß sich Haß, Beschimpfungen und sogar Morddrohungen immer wieder gegen Abgeordnete der Fraktion sowie Mitglieder und selbst Sympathisanten der AfD richten“, empörte sich deren neu gewählter Parteivize Stephan Brandner. Da Union und SPD Haß und Hetze von linker Seite ausblendeten, spalteten sie die Gesellschaft und legten selbst den „Grundstein für eine weitere Eskalation von linker Seite“. 

Nicht an Beleidigungen wie „Nazischlampe“ gewöhnen 

In der zu erwartenden hitzigen Debatte dürfte der Regierung der Widerspruch schwerfallen, da sie selbst das Zahlenmaterial geliefert hat, auf das die AfD ihre massiven Vorwürfe stützt. So belegt eine kürzlich veröffentlichte Antwort auf eine Anfrage des AfD-Abgeordneten Martin Hess, daß die Partei das Hauptopfer politischer Gewalt ist. Der Tabelle des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes zufolge war die AfD im ersten Quartal dieses Jahres 114mal betroffen. Mit weitem Abstand folgen die anderen Bundestagsparteien SPD (21), Grüne (19), CDU (15), Linke (9), CSU (1) und FDP (0). Diese Statistik ist kein Ausreißer, die Tendenz hoher Gewaltbereitschaft gegenüber der AfD setzt sich im weiteren Verlauf des zu Ende gehenden Jahres fort.

Schwerpunkte linksextremer Gewalt sind seit Jahrzehnten Berlin und Hamburg. Vor rund zwei Jahren hatten die Täter Auto und Wohnhaus des AfD-Landes- und Fraktionschefs Georg Pazderski angegriffen. „Durch großes Glück ist meinen Enkeln nichts passiert“, betont er rückblickend im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Seitdem meidet er Straßenbahnen und Busse. Die Polizeistreifen sind verstärkt worden. Was macht ein solcher Anschlag mit einem? „Als Soldat bin ich mit Gefahrensituationen vertraut und kann so etwas vielleicht besser wegstecken.“ Eine bedrückende Atmosphäre der Unsicherheit beklagt auch Pazderskis Fraktionskollegin Kristin Brinker, etwa auf dem abendlichen Heimweg oder am Wahlkampfstand. An Beleidigungen wie „Nazischlampe“ will sich die Finanzpolitikerin nicht gewöhnen, die den etablierten Medien eine Mitschuld an dem vergifteten Klima zuweist. Diese hätten bereits nach der Parteigründung 2013 unmaßgebliche Äußerungen einzelner Mitglieder skandalisiert, um damit die AfD als rechtsextrem zu diffamieren, betonte sie gegenüber der JF. 

Besorgt zeigte sich die AfD-Parlamentarierin über Internetplattformen wie Indymedia, die persönliche Daten wie Wohnadresse oder Telefonnummern von AfD-Politikern veröffentlichten. Von Farbbeutel-Attacken auf sein Haus in Hamburg berichtet auch Bernd Baumann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Bundestag. Erst am vergangenen Freitag verübten mutmaßlich linksradikale Täter einen Farbanschlag auf das Auto des Hamburger Innensenators Andy Grote (SPD). Auch sein kleiner Sohn saß im Auto. „Ein tragischer Zufall“, heißt es zynisch in einem Bekennerschreiben auf Indymedia. Der „militante Kampf“ gehe weiter. 





Gewalt gegen Parteien

Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf Anfrage des AfD-Abgeordneten Martin Hess hervorgeht, verzeichnete der Kriminalpolizeiliche Meldedienst deutschlandweit im dritten Quartal 2019 bislang 52 Angriffe auf Parteibüros oder -einrichtungen. Davon entfielen allein 26 Attacken auf die AfD. Linkspartei und SPD waren je siebenmal betroffen, die Grünen fünf- und die CDU viermal. Auf Einrichtungen der FDP wurde ein Angriff verzeichnet. Auch bei Attacken auf Vertreter und Mitglieder von Parteien liegt die AfD mit großem Abstand auf Platz 1. Von den im dritten Quartal registrierten entsprechenden 278 Straftaten entfielen 127 auf die Partei, davon wurden 113 Delikte politisch links motivierten Tätern zugeordnet. Bei der CDU gab es im selben Zeitraum 72 Attacken auf Vertreter der Partei, gefolgt von der SPD (36) und den Grünen (28). Die Linkspartei traf es 15mal, FDP und CSU acht- beziehungsweise zweimal. Ein ähnliches Bild ergab sich bei der Zerstörung oder Beschädigung von Wahlplakaten. 905 solcher Straftaten zählten die Behörden, davon 460 Plakate der AfD. Bei der CDU waren es 165 Plakate, bei der Linkspartei 117 und bei der SPD 111. Die FDP meldete 72 und die Grünen 71 beschädigte Wahlpappen. (krk)