© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/19 / 20. Dezember 2019

Nur ein Gedeck mehr
„Der leere Stuhl“: Mit einfachen Mitteln kann jeder sich an Weihnachten mit Soldaten im Auslandseinsatz sowie den Gefallenen der Bundeswehr solidarisch zeigen
Peter Möller

Der Tisch ist festlich gedeckt und die Familienmitglieder schauen erwartungsvoll in die Kamera. Doch ein Stuhl ist leer. Und er wird an diesem Weihnachtsabend auch unbesetzt bleiben. Ebenso der Teller, auf dem statt des Festessens ein überdimensionales Vergißmeinnicht-Blümchen aus Papier liegt.  

Das dritte Mal seit 2017 ruft der Bund Deutscher Einsatzveteranen in diesem Jahr zu der Aktion „Der leere Stuhl“ auf, um während der Weihnachtstage an die Gefallenen sowie die Veteranen der Bundeswehr zu erinnern. Die Aktion der Interessengemeinschaft der Soldaten, die einen Auslandseinsatz absolviert haben, richtet sich nicht nur an betroffene Familien, Freunde oder Verwandte, sondern an alle, die ihre Verbundenheit mit den Gefallenen und mit den Veteranen zum Ausdruck bringen wollen, die nach ihrem Einsatz etwa unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Zugleich kann die Aktion, die sich an die amerikanische Tradition der „Missing Man Tables“ anlehnt, als Zeichen der Solidarität mit allen gut 3.340 deutschen Soldaten verstanden werden, die sich derzeit im Auslandseinsatz befinden und Weihnachten fern der Heimat verbringen müssen.

Nicht allein sein              mit ihrem Schmerz

Grundidee des „leeren Stuhls“ ist, daß Familien zu Hause einen zusätzlichen Platz an der Weihnachtstafel mit eindecken, dieser aber frei bleibt und mit dem Symbol der Vergißmeinnicht-Blume geschmückt ist. „Dadurch symbolisiert die Familie, daß sie in Gedanken unseren Gefallenen und unseren einsamen Veteranen einen Platz anbieten“, heißt es bei Facebook auf der Veranstaltungsseite „Der leere Stuhl“. Um für die nötige Öffentlichkeit dieses eigentlich intimen Moments im Familienkreis zu sorgen, soll das Ganze in einem Foto festgehalten und mit dem Hashtag #DerleereStuhl2019 in den sozialen Medien gepostet werden. Schließlich werden alle Fotos zu einem Youtube-Video zusammengeschnitten und auf der Videoplattform als bleibende Erinnerung hochgeladen. 

„So können die unsichtbaren Veteranen sowie die Angehörigen sehen, daß sie nicht allein mit ihrem Schmerz sind und ihre Lieben einen Platz in der Gesellschaft haben“, sind die Initiatoren überzeugt. Über eine eigene Internetseite (www.vergiss-mein-nicht.shop) werden mittlerweile Teller, Kerzen und sogar Manschettenknöpfe mit dem Motiv der Vergißmeinnicht-Blüte vertrieben. Die Einnahmen aus den Verkäufen gehen als Spende an die Veteranenhilfe. Wer sich im Internet die Videos aus den vergangenen Jahren mit den Fotos der Aktion aus den festlich geschmückten Wohn- und Eßzimmern anschaut, bekommt einen guten Eindruck von der großen Bandbreite: Da ist nicht nur die festlich eingedeckte große Familientafel, sondern auch der freie Platz am Tisch in der Kantine einer Kaserne, ein einsamer Platz an einem ansonsten leeren Tisch oder an einer feucht-fröhlichen Kneiptafel einer Studentenverbindung. Und immer bleibt das beklemmende Gefühl, daß man nicht weiß, ob hier ein symbolischer leerer Platz als Zeichen der Verbundenheit mit den Soldaten fotografiert wurde oder ob dieser Stuhl für immer frei bleibt, weil der Vater, Sohn oder Ehemann nicht aus dem Einsatz in Afghanistan oder Mali zurückgekehrt ist.

Es ist bezeichnend für den Umgang der Deutschen mit ihren Soldaten, daß diese eindrückliche Aktion aus einer privaten Initiative von Betroffenen heraus entstanden ist. Denn die Bundeswehr tut sich nach wie vor schwer mit ihren Gefallenen und mit dem Thema Veteranenarbeit. Erst Ende November setzte der für die Reservisten und Veteranen zuständige stellvertretende Generalinspekteur Vizeadmiral Joachim Rühle einen „Leitfaden für die Ausgestaltung der Veteranenarbeit“ in Kraft. Das 15 Seiten umfassende Papier ist das Ergebnis jahrelanger Diskussionen über den Veteranenbegriff, die der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) 2012 mit einer Denkschrift angestoßen hatte (JF 16/12). In dem Leitfaden heißt es nun unter anderem: „Die Würdigung und Anerkennung der Leistung von Veteraninnen und Veteranen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“ Die Aktion „Der leere Stuhl“ unterstreicht diese banale Erkenntnis der Wehrbürokratie auf eindrückliche Art und Weise.