© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/19 / 20. Dezember 2019

Endlich Fakten schaffen
Großbritannien: Nach seinem historischen Sieg läßt Premier Johnson die Muskeln spielen
Josef Hämmerling

Mit dem Slogan „Get Brexit done“ („Laßt uns den Brexit durchziehen“) führte der britische Premierminister Boris Johnson seine Konservative Partei bei den vorgezogenen Neuwahlen zu einem historischen Sieg. Johnson versprach, den Brexit nun auch zum 31. Januar 2020 vollziehen zu wollen. Das britische Volk habe ihm hierfür ein „klares Mandat“ gegeben. Er kritisierte die Parlamentarier, die durch ihr „Handeln am Willen des Volkes vorbei“ für eine jahrelange Verzögerung des EU-Austritts gesorgt und Großbritannien dadurch großen Schaden zugefügt hätten, vor allem auch finanziell. Der Premier forderte das Land auf, nunmehr „geeint zusammenzustehen und mit der Heilung der Wunden zu beginnen“, die der Kampf um den Brexit gefordert habe. Gleichzeitig kündigte der 55jährige eine „neue Partnerschaft als Freunde und gleichberechtigte Staaten mit der EU“ an, „die wir beim Klimawandel, Terrorismus, akademischen und wissenschaftlichen Fragen und beim Handel aufbauen werden“. 

Labour-Chef Jeremy Corbyn nannte die Wahlniederlage eine „enttäuschende Nacht“ und kündigte seinen Rücktritt an, sobald sein Nachfolger feststehe. Unter seiner Führung verloren die Sozialdemokraten Wahlkreise in ihren Hochburgen im Norden Englands, die seit mehr als 100 Jahren fest in der Hand der Arbeiterpartei gewesen waren. Wahlanalysen britischer Forschungsinstitute begründeten dies vor allem mit zwei Aspekten: daß Corbyn sich nicht auf eine klare Strategie zum Brexit festgelegt habe und daß er immer wieder mit marxistischen Gedanken die Wähler abgeschreckt habe. 

Eine herbe Niederlage gab es auch für Liberalen-Chefin Jo Swinson, die ihr Direktmandat in East Dunbartonshire verlor, was sofort eine neue Debatte um die Führung der Partei auslöste. 

Schottland: Wenig Chancen für ein Referendum

Dagegen erklärte der Vorsitzende der Brexit-Partei, Nigel Farage, der einer der Vorkämpfer für den Brexit war, das Ziel sei erreicht und die Anti-EU-Kampagnen seiner Partei hätten sehr viel zum Wahlerfolg Johnsons beigetragen. So hatte die Brexit-Partei in Wahlkreisen, in denen es eng für den konservativen Kandidaten hätte werden können, nicht kandidiert.

 In der EU wurde das Ergebnis „mit Erleichterung“ aufgenommen. „Endlich“ herrsche nun Klarheit und könne mit den entsprechenden Austrittsvorbereitungen begonnen werden. Die Unsicherheit, wie es weitergeht, habe ein Ende. Allerdings werde man es den Briten nicht leichtmachen. „Keine Zölle, keine Quoten für Handelswaren und kein Sozial-Dumping durch die Briten. Darauf zielen wir ab“, so EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

Klarer als von vielen Forschungsinstituten erwartet, fiel das Votum in Schottland aus. Die Scottish National Party, die sich für einen Verbleib in der EU ausspricht, gewann 80 Prozent aller für Schottland vergebenen Sitze im britischen Unterhaus. So kündigte ihre Vorsitzende Nicola Sturgeon dann auch an, umgehend mit der Vorbereitung für ein neues Unabhängigkeitsreferendum beginnen zu wollen. Im September 2014 hatten noch 55,3 Prozent der Schotten einen Austritt aus dem Vereinigten Königreich abgelehnt. Neuen Umfragen zufolge könnte es dieses Mal  eine Mehrheit für ein von Großbritannien unabhängiges Schottland geben. Für eine Volksabstimmung ist aber laut Schottland-Vertrag die Genehmigung durch die britische Regierung vonnöten. Diese hat  bereits erklärt, diesen Section-30-Erlaß nicht erteilen zu wollen. Vizepremier Michael Gove: „Auf keinen Fall.“ Zum einen sei Schottland im Verbund mit England, Wales und Nordirland stärker als allein, und zum anderen habe es 2014 geheißen, „daß diese Volksabstimmung die Frage für eine ganze Generation klären würde“. Dies sei genauso wie das Brexit-Referendum zu respektieren.

Begleitend zu den Brexit-Verhandlungen mit Brüssel, bei denen Johnson zuversichtlich ist, die angepeilte Übergangsphase bis Ende 2020 erfolgreich abschließen zu können, soll es Berichten britischer Medien zufolge zu einem drastischen Kabinettsumbau kommen. Dieser könnte bis zu einem Drittel aller bisherigen Minister umfassen. 

Die Sunday Times will erfahren haben, daß sich neue Kabinettsmitglieder um die Belange von Wählern in den Arbeiterbezirken von Nord- und Mittelengland kümmern sollen. Diese waren bei den Wahlen zum Teil erstmalig von den Tories gewonnen worden. Johnson will damit gewährleisten, daß die Konservativen die Mehrheit in diesen Bezirken auch in der Zukunft behalten werden. Begleitend hierzu will der Premier nach einem Bericht des Evening Standard in den kommenden vier Jahren zusätzlich  umgerechnet 41 Milliarden Euro in das staatliche Gesundheitssystem NHS stecken. Auch die Rundfunkgebühren sollen auf den Prüfstand.