© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/19 / 20. Dezember 2019

Ausweitung der Kontrolle
Rundfunksystem: Der Medienstaatsvertrag nimmt Streamingdienste und soziale Netzwerke ins Visier
Ronald Berthold / Gil Barkei

Es ist nicht weniger als eine Revolution, die die Politik in Sachen Medienkontrolle plant. Streamingdienste werden verpflichtet, die öffentlich-rechtlichen Nachrichten auszustrahlen. Google und Facebook haben demnächst bevorzugt Angebote von ARD und ZDF anzuzeigen. Und Blogger, Youtuber und Gamer könnten eine Rundfunklizenz beantragen müssen und sich damit der Erlaubnis der Landesmedienanstalten für ihre weitere Tätigkeit unterwerfen. All das sieht der finale Entwurf des Medienstaatsvertrages vor, der der JUNGEN FREIHEIT vorliegt. Ihm haben die Ministerpräsidenten Anfang Dezember zugestimmt. Die 16 Landtage müssen ihn noch ratifizieren. Im September soll er in Kraft treten.

Vor dem Hintergrund von „Haß, Hetze und Lüge“ im Netz und der Wandlung der elektronischen Medienlandschaft in den vergangenen Jahren will der Staat die Kontrolle auf digitale Anbieter ausdehnen. Der Rundfunkstaatsvertrag stammt von 1991, als das Internet noch kein Massenmedium war. Daher wird er nun novelliert und in Medienstaatsvertrag umbenannt. Schießt er übers Ziel hinaus? Es regt sich Widerspruch. 

Anders als Hörfunk- und Fernsehsender unterliegen audiovisuelle Onlineangebote bisher keiner staatlichen Aufsicht. Durch den neuen Medienstaatsvertrag müßten viele unabhängige „Blogger, Videoblogger, Youtuber, Streamer oder sogar Let’s-Player plötzlich eine Rundfunklizenz beantragen“, hat die rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Hamburg festgestellt. Denn wer über ein halbes Jahr gesehen mehr als 20.000 Menschen im Monat erreicht, benötigt laut Paragraph 54 eine Zulassung. Dies sei nicht nur mit viel Bürokratie, sondern auch mit Kosten von jeweils bis zu 10.000 Euro verbunden. Folge: Viele kleine private Betreiber müßten aufgeben. Eine Etablierung freier Kanäle und Formate könnte gestoppt werden.

Netflix muß Formate von ARD & ZDF anbieten

Selbst wenn sie das Geld aufbrächten, steht in Frage, ob die Landesmedienanstalten die nötigen Lizenzen erteilen. Alternative Medien könnten auf diese Weise bequem aus dem Prozeß der Meinungsbildung ausgeschlossen werden. Die zahlreichen Bürgereingaben zum Medienstaatsvertrag zeigten „eindrucksvoll“ die Befürchtungen, schreiben die Hamburger Uni-Juristen, „daß staatliche Stellen über die Zulassungspflicht kritische Blogs zensieren könnten“. Die FDP kritisiert den Vertrag als „massiven Angriff auf die Medien- und Meinungsfreiheit im Internet“. Für den Digitalverband Bitkom schafft die Neuregelung „gerade keinen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Marktakteuren“. Einige Vorgaben „lesen sich wie Schutzklauseln für TV-Sender, um zu verhindern, daß alternative Angebote sichtbar werden“, betont die Referentin für Medienpolitik, Marie Anne Nietan, gegenüber medienpolitik.net.

Besonders pikant: Der Staatsvertrag verpflichtet Streamingdienste wie Netflix oder endgerätgebundene Smart-TV- Systeme dazu, auf einem Drittel ihres Programms Sendungen von ARD und ZDF auszustrahlen. Warum das nötig sei, wollte die JF bei der für den Staatsvertrag zuständigen rheinland-pfälzischen Staatssekretärin Heike Raab (SPD) erfahren. Sie ließ diese und weitere Fragen jedoch unbeantwortet.

Um das Ziel zu erreichen, die zwangsfinanzierten Sender in die privaten Angebote zu drücken, hat die Rundfunkkommission den Begriff „Medienplattform“ in den Vertragstext aufgenommen. Dazu gehört laut Paragraph 2 „jedes Telemedium, soweit es Rundfunk, rundfunkähnliche Telemedien oder Telemedien … zu einem vom Anbieter bestimmten Gesamtangebot zusammenfaßt“. Damit sind laut Hamburger Uni Streamingdienste gemeint. Im Staatsvertrag heißt es, die Medienplattform-Anbieter haben „sicherzustellen, daß innerhalb einer technischen Kapazität im Umfang von höchstens einem Drittel“ die zur „bundesweiten Verbreitung gesetzlich bestimmten beitragsfinanzierten Programme“ sowie die „Dritten Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks … zur Verfügung stehen“. Außerdem müßten diese „leicht auffindbar“ sein.

Die AfD übt an dieser Belegungsregelung scharfe Kritik: „Wer Netflix und andere abonniert, will ja gerade nicht ARD und ZDF sehen“, sagt der medienpolitische Sprecher der rheinland-pfälzischen Landtagsfraktion, Joachim Paul, gegenüber der JF. Seine Partei, die im Landtag eine kritische Große Anfrage gestellt hat, lehne dies „entschieden ab“. Die Verpflichtung sei „politisch gefärbt“. Außerdem stelle sie „schwerwiegende Eingriffe in die unternehmerische Freiheit und eine Art der Enteignung dar“. Speicherplatz sei teuer: „Anbieter, die nicht mehr selbstbestimmt über die Belegung ihres Speichers entscheiden können, treten einen Teil ihres Marktwertes ab.“

Der Staatsvertrag legt Sanktionen für Anbieter fest, die ARD und ZDF „diskriminieren“. Wer diesen Sendern „die erforderlichen Übertragungskapazitäten für die zu verbreitenden Programme nicht oder in nicht ausreichendem Umfang oder nicht zu den vorgesehenen Bedingungen zur Verfügung stellt“, handele ordnungswidrig.

Der AfD-Medienexperte Paul: „Wie zeitgemäß ist eigentlich noch ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der sein angeblich so wertvolles und sündhaft teures Angebot den Zuschauern von Privatanbietern aufzwingen muß?“ Er kritisiert: „Ginge es nach den Intendanten von ARD und ZDF, müßte jeder Netflix-Seher zunächst Tagesschau oder Heute anschauen, bevor er dann selbstbestimmt sehen darf, was er will.“ Dies sei der Versuch, junge Zielgruppen zu gewinnen, die die öffentlich-rechtlichen Anstalten selbst kaum mehr erreichten.

Inhalte sollen hervorgehoben werden

Ein weiteres neues Wort im Staatsvertrag ist „Medienintermediäre“. Dazu zählen Unternehmen wie Facebook, Youtube, Google oder Twitter. Auch deren Reichweiten sollen nun genutzt werden, um „zur Sicherung der Meinungsvielfalt“ die öffentlich-rechtlichen Programme unter das Volk zu bringen. Sie werden zur „Diskriminierungsfreiheit“ von „journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten“ verpflichtet. Dies schreibt ihnen vor, Sendungen von öffentlichem Interesse eine hervorgehobene Sichtbarkeit zu garantieren. Um das zu gewährleisten, müssen die sozialen Netzwerke und Tech-Konzerne „leicht wahrnehmbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar“ offenlegen, nach welchen Kriterien sie Inhalte anzeigen. Heftige Kritik kommt von Google: „Wir sind keine Gatekeeper“, betont Arnd Haller, Leiter der deutschen Rechtsabteilung. Sein Unternehmen öffne vielmehr die Tür für neue Inhalte, die bisher im Rundfunksystem keinen Platz haben. Deshalb sei die Medienvielfalt heute größer als je zuvor, sagte er auf dem Kölner Forum Medienrecht. Einen Einblick in die Algorithmen seiner Suchmaschine lehnt er kategorisch ab. Die würden Medienregulierern sowieso nicht weiterhelfen, denn der Plazierung bei den Suchergebnissen liegen keine Kategorien zugrunde, wie sie von Landesmedienanstalten verwendet werden.

Die Öffentlich-Rechtlichen loben dagegen den Medienstaatsvertrag in höchsten Tönen. Gegenüber der jungen freiheit teilte das ZDF mit, daß seine Inhalte „aufgrund ihrer gesellschaftlichen Bedeutung bevorzugt auffindbar sein müssen“. Welche Inhalte dies genau sein sollen, ließ das ZDF allerdings offen. Der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm nennt den Vertrag in einer der JF übersandten Presseerklärung einen „echten Meilenstein, der den Anforderungen des digitalen Medienwandels Rechnung trägt“. Besonders erfreulich seien die Belegungsregelungen „für die Dritten Programme auch außerhalb des jeweils eigenen Sendegebiets“. Angela Merkels früherer Regierungssprecher begrüßt zudem „die Festlegungen zur Plattformregulierung“. Er freue sich über „die privilegierte Auffindbarkeit vielfaltsrelevanter Inhalte“.

Was damit gemeint ist, verriet der in Sachen Staatsvertrag federführende MDR auf JF-Anfrage: „Vielfaltsrelevant sind insbesondere – aber nicht ausschließlich – die Inhalte der gesetzlich beauftragten öffentlich-rechtlichen Anbieter.“