© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/19 / 20. Dezember 2019

Sozialanthropologen zu Besuch im kolonisierten Osten
Teilnahmslose Beobachtung
(wm)

Sozialanthropologen des Max-Planck-Instituts (MPI) für ethnologische Forschung (Halle) suchen derzeit in Mitteldeutschland und in Ungarn Antworten auf die Frage, warum die weltanschaulichen Gräben sich zwischen dem ehemals sozialistischen Osten und dem kapitalistischen Westen seit 1989 nicht schlossen, sondern sich sogar vertieften. Was Ungarn anbetrifft, sieht der dort forschende Institutsleiter Chris Hann die Verantwortung dafür in Brüssel (Max-Planck-Forschung, 3/2019). Vor ihrem Beitritt habe die EU den Ungarn viel versprochen, „eingelöst wurde hingegen sehr wenig“. Stattdessen oktroyierte man ihnen das „neoliberale Marktprinzip“, das „populistische Gegenbewegungen“ provozierte und Viktor Orbán an die Macht brachte. Hanns Doktorandinnen Katerina Ivanova und Elisabeth Köditz, die in Zwickau und Gera nach der von Bronislaw Malinowski (1884–1942) an melanesischen Eingeborenen erprobten Methode der „teilnehmenden Beobachtung“ Feldforschung treiben, führen die dortigen 30-Prozent-Landtagswahlerfolge der AfD hingegen auf das anhaltende „Gefühl der Fremdbestimmtheit“ durch den Westen zurück. Daß die seit 2015 forcierten Zwangsansiedlungen aus Afrika und Asien die Empfindung, „kolonisiert“ worden zu sein, massiv verstärkt haben könnte, ist den MPI-Damen bei ihren „Beobachtungen“ indes nicht aufgefallen. 


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