© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/20 / 03. Januar 2020

Ein Anschluß unter dieser Nummer
Verfassungsschutz: Der Inlandsnachrichtendienst ermuntert Behördenmitarbeiter, Auffälliges zu melden / Kritiker äußern juristische Bedenken
Claudia Bach

Die Verfassungsschutzämter der Bundesrepublik bezeichnen sich selbst gerne als Dienstleister für die Demokratie. Und in der Tat weicht das Aufgabenspektrum deutscher Inlandsgeheimdienste von vergleichbaren Behörden in den europäischen Nachbarstaaten ab. Anders als diese sollen sie nicht nur Daten und Lagebilder für ihre jeweiligen Regierungen bereitstellen, sondern zu ihrem gesetzlich festgeschriebenen Auftrag gehört es auch, die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu unterrichten. In der bekanntesten Form geschieht dies über die alljährlich publizierten Verfassungsschutzberichte. 

Doch es gibt noch andere Formate, mit denen die Geheimdienste Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Hierzu gehört vor allem die Beteiligung an Vortragsveranstaltungen, zu denen die Ämter eigene Referenten entsenden. Schenkt man den Eigenangaben, die die Behörden in ihren Jahresberichten ausweisen, Glauben, so scheint das Interesse der Öffentlichkeit an der Aufklärungsarbeit der Geheimdienste stark rückläufig zu sein. 

So vermeldete etwa der Verfassungsschutz in Brandenburg für das Jahr 2010 noch 142 solcher Informationsveranstaltung mit rund 6.000 Teilnehmern, während es im Jahr 2018 nur noch 65 Zusammenkünfte mit rund 2.700 Teilnehmern waren. Doch nicht nur bei dem Ausmaß der Vortragstätigkeit ergaben sich Änderungen, auch Inhalte und Adressatenkreis der nachrichtendienstlichen Informationsarbeit haben sich in den vergangenen zwei Jahren erkennbar gewandelt. 

Während die Verfassungsschützer in der Vergangenheit ihre Referenten vornehmlich an Schulen, Universitäten oder zu politischen Stiftungen und Vereinen schickten, um dort über allgemeine oder historische Themen zu berichten, wenden sich die Vortragsveranstaltungen heute primär an die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Im Zentrum stehen dabei nicht etwa Polizei oder Bundeswehr, sondern immer mehr reguläre Verwaltungsbehörden, wie kommunale Ämter oder Jobcenter, aber auch Gerichte. Schwerpunktmäßig werden dabei Themen wie Islamismus sowie die sogenannten Reichsbürger beziehungsweise Selbstverwalter behandelt. 

Nachrichtendienste betreten heikles Terrain

Mit dieser Neuausrichtung betreten die Nachrichtendienstler politisch und juristisch heikles Terrain. Auf ihren gesetzlichen Auftrag zur Unterrichtung der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen dürften sie sich hier kaum berufen können, denn die Mitarbeiter einer Kommunalverwaltung nehmen an einer Vortragsveranstaltung des Verfassungsschutzes in der Regel nicht freiwillig und aus eigenem Interesse teil, sondern weil ihr Dienstherr sie hierzu verpflichtet. Die Informationen richten sich auch nicht an eine außenstehende Allgemeinheit, sondern an Funktionsträger innerhalb des Staatsapparates. Es handelt es sich hier auch nicht um eine Form der Amtshilfe; dennoch dürfte die Weiterbildung von Verwaltungsbediensteten durch Mitarbeiter des Verfassungsschutzes insoweit unbedenklich sein, als im Rahmen entsprechender Veranstaltungen bloß allgemeine Informationen weitergegeben werden, die auch ansonsten der Öffentlichkeit präsentiert werden. 

Sensibel ist allerdings, daß von Verwaltungsangestellten, die an solchen Vorträgen teilgenommen haben, vermehrt berichtet wird, die Referenten des Verfassungsschutzes hätten dort gezielt dafür geworben, konkrete auffällige Sachverhalte und Personen, die ihnen während ihrer Tätigkeit begegnen, bei den Anlaufstellen der Geheimdienste zu melden. Meist geschieht dies zum Ende entsprechender Vorträge, wenn den Teilnehmern dann die Kontaktdaten der Verfassungsschutzämter ausgegeben werden. 

Diese Aussagen von öffentlich Bediensteten fügen sich nahtlos in das Bild einer deutlich offensiveren Strategie der Inlandsnachrichtendienste ein. Kritiker halten diese Entwicklung für bedenklich. Denn anders als normale Bürger sind Verwaltungsangestellte und Beamte an das Dienstgeheimnis sowie an Datenschutzbestimmungen gebunden. Ein Austausch von personenbezogenen Daten zwischen zwei Behörden ist in der Bundesrepublik gesetzlich geregelt und vergleichsweise streng reglementiert. Für gewöhnlich dürfen Informationen über einzelne Personen nur bei Straftaten oder zur Gefahrenabwehr offenbart werden. 

Aber auch in diesen Fällen beschränkt sich die Weitergabe auf allgemeine personenbezogene Daten wie den Namen oder den aktuellen Aufenthaltsort des Betreffenden. Entsprechende Informationen müssen zudem offiziell über den Dienstweg bei der Behördenleitung angefragt werden. Der einzelne Verwaltungsangestellte darf ohne die Erlaubnis seines Dienstherrn keinerlei Daten über Personen, mit denen er bei seiner Tätigkeit befaßt ist, weitergeben; selbst dann nicht, wenn es sich beim Empfänger um die Polizei oder um ein Gericht handelt. 

So läuft der Mitarbeiter eines Finanzamtes, der sich aus eigenem Antrieb bei einem Hinweistelefon des Verfassungsschutzes meldet, um dort beispielsweise über einen ihm durch seine Tätigkeit bekanntgewordenen mutmaßlichen Reichsbürger zu berichten, Gefahr, das strafrechtlich geschützte Steuergeheimnis und andere Datenschutzbestimmungen zu verletzen. Dieses gesetzliche Verbot scheinen die Verfassungsschützer zunehmend umgehen zu wollen, befürchten Kritiker dieser Praxis. In ihren Augen könnte sich der betreffende Geheimdienstmitarbeiter sogar der Anstiftung zur Brechung des Steuer- oder eines anderen Dienstgeheimnisses strafbar gemacht haben, falls der betreffende Verwaltungsangestelle zuvor von einem Referenten des Verfassungsschutzes bei einer Informationsveranstaltung aufgefordert oder animiert werde, eine solche Meldung vorzunehmen.