© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/20 / 03. Januar 2020

Die Vermögensteuer als enteignungsgleiche Kapitalbesteuerung
Rückwärtsgewandt
Dirk Meyer

Eine „Reichensteuer“ soll die Ungleichverteilung der Vermögen lindern. Doch Wohnungen und Industrieanlagen nutzen der gesamten Gesellschaft. Gemäß SPD-Parteitagsbeschluß sollen Nettovermögen über einer Million Euro mit einer Vermögensteuer (VSt) von einem Prozent, „Superreiche“ mit 1,5 bis zwei Prozent belegt werden. Da das Wohnsitzprinzip der Anknüpfungspunkt der Besteuerung ist, kann der VSt nur durch Auswanderung ausgewichen werden – ein Wunschtraum jedes Finanzministers.

Doch mußte Frankreich feststellen, daß reiche Familien nach Belgien und in die Schweiz abwanderten. Das Münchner Ifo-Institut hat 2017 in einer Studie auf der Basis von 110 Ländern zwischen 1970 und 2010 erhebliche Anpassungsreaktionen festgestellt. Für Deutschland werden Ausfälle bei der Einkommensteuer (ESt) von 44 Milliarden Euro prognostiziert, die das VSt-Aufkommen von 14 Milliarden Euro per Saldo zu einem Verlustgeschäft machen – ein Rückgang der Wirtschaftsleistung und der Beschäftigung inklusive.

Ein Beispiel verdeutlicht die Zusammenhänge: Bei einem zu versteuernden Nettovermögen von 100.000 Euro und einem Steuersatz von einem Prozent fallen 1.000 Euro VSt an. Wenn diese Vermögensanlage eine Rendite von vier Prozent abwirft, würde die Abgeltungssteuer von 25 Prozent zu einer ESt in Höhe von ebenfalls 1.000 Euro führen. Die Gesamtbelastung steigt auf 50 Prozent – eine Verdopplung der Steuerlast auf Einkommen. Zum Problem wird die VSt, da sie auch bei Verlusten anfällt. Deshalb wird sie als Sollertragsteuer bezeichnet. Doch eine ertragreiche Anlage ist bei Niedrigzinsen schwierig. Bei einem Anleihezins von einem Prozent würde die VSt inklusive der Abgeltungssteuer zu einer Belastung von 125 Prozent führen – ein enteignungsgleicher Steuereingriff. Dies macht zugleich die Doppelbesteuerung von Vermögenszuwächsen deutlich: einmal bei der Einkommensentstehung (ESt), sodann bei der Ersparnisbildung (VSt).

Unabhängig davon bewirken eine Inflation von 1,2 Prozent (2019) und Negativzinsen („Verwahrgebühr“) auf Girokonten bereits heute de facto eine VSt auf Finanzanlagen des „Normalbürgers“. Praktische Probleme in der Durchführung betreffen die Erfassung und Bewertung von Vermögen. Der Erhebungsaufwand für die VSt wird gemäß verschiedener Quellen mit 25 bis 50 Prozent des Aufkommens angegeben.

Teuren Hausrat, Schmuck oder Kunstsammlungen zu erfassen, erfordert den gläsernen Bürger. Eine zeitnahe Bewertung ist schwierig und aufwendig, weshalb das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung 1997 zur Nichterhebung der damaligen VSt veranlaßte. Eine VSt wäre eine rückwärtsgerichtete und EU-Harmonisierungsbestrebungen entgegengerichtete Politik.





Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.