© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/20 / 03. Januar 2020

Im Bann des Meistergauklers
Literarische Kleinodien: Michael Klonovsky hat eine Sammlung funkensprühender Essays vorgelegt und unseren Rezensenten damit schwer begeistert
Matthias Matussek

Zu dieser mehr als nur vergnüglichen, sondern auch hochintelligenten, scharfsinnigen, polemischen, kunstkennerischen und seelentiefen Sammlung von Klonovsky-Pretiosen – um gleich mal mit der Tür ins Haus zu fallen – konnte der Wiener Karolinger-Verlag kein schöneres Titelbild wählen. 

Es handelt sich um ein Gemälde von Hieronymus Bosch, eher ein altmeisterlicher, hochmeisterlicher Cartoon mit dem Titel „Der Zauberkünstler“: der Gaukler, der ein Goldkügelchen zwischen den spitzen Fingern seiner Rechten hält, der tumbe Alte, der sich mißtrauisch hinbeugt und draufglotzt, während ihn die Spießgesellen im Publikum, ein Bebrillter, ein Junge, um den Geldbeutel erleichtern. Unten sitzt ein dressierter Affe, der auf seinen Einsatz wartet. Hochkomik.

Der Leser von Klonovskys Buch hat mit der ganzen dargestellten schrägen Truppe zu rechnen, dem Witz und dem Ablenkungsmanöver, dem blinden Einverständnis ebenso wie mit der routinierten Gnadenlosigkeit in der Begegnung mit der Dummheit. Denn der Autor ist alle Figuren in einer.

Das in die Höhe gehaltene Goldkügelchen könnte durchaus den Titel des Buches illustrieren: „Der fehlende Hoden des Führers“. 

Kaum einer wird da widerstehen können, denn mittlerweile hat sich herumgesprochen, daß Michael Klonovsky für die Restles und Reschkes im Lande zwar zu den politisch Anrüchigen gehört – er schreibt Reden für den AfD-Chef Alexander Gauland –, aber mit seinem Witz und seiner enzyklopädischen Bildung gaukelt er dann doch mehrere Etagen über der intellektuell und politisch so gewöhnlichen Jagdmeute.

Mit seinen Essaybänden und Romanen – gerade wieder hochaktuell die Neuauflage seines Wenderomans „Land der Wunder“ – hat er unter den Denkenden im Lande eine Art Kultgemeinde um sich geschart (unschwer zu erraten, daß ich dazu zähle), die er nahezu täglich pflegt mit seinem Online-Tagebuch „acta diurna“, das man sich als Karl Kraussche Fackel im Web vorzustellen hat: Aphorismen, Kritik am Pressebetrieb, Entlarvungen der täglichen Lüge durch Stilkritik sowie, wenn es sein muß, den Knüppel auf die hartschädelige Dummheit.

Zwar ist die vorliegende Sammlung ausgewiesen als „Vermischte Essais“, aber ob nun alle Beiträge dieser Wundertüte Essays sind oder auch mal Humoresken oder Polemiken druntergemischt werden … Soweit ich mich erinnere, hat Adorno in seinem Essay über den „Essay als Form“ (1958) keine allzu strengen Regeln aufgestellt. Also, der Essay beginnt nicht bei Adam und Eva, sondern bei dem, was ihm aufgeht, und er bricht dort ab, wo er die Lust verliert. Klonovsky verfährt ebenso.

So nimmt er beispielsweise das „Ressentiment“ gegen seine Zuschreibung als rechts in Schutz, belegt eher im Gegenteil, daß es eine genuin linke Heimat hat. Oder er stellt die sehr richtige Frage „Gab es Moses? – und wenn nicht, warum doch?“ und erweist sich in deren Beantwortung als profunder Kenner der Ägyptologie (er schrieb einen Krimi mit dem Titel „Der Ramses-Code“) – um in einem Postscriptum lässig nachzureichen, daß ihm der „Positivismis der Wissenschaft auf den Keks geht“, und sich damit nur eine Idee gröber als Goethe auszudrücken, der das das gleiche gesagt hat.

Die Frage dagegen, ob der Führer nur einen Hoden hatte, wird nach allen Regeln der historischen Quellenstudien erwogen und beantwortet, ja, sie muß geradezu ins kalte Licht der Wissenschaft gezerrt werden, denn anders als die auf ihre Weise in einer körperlichen Examinierung immerhin vorstellbaren Mao, Stalin, Churchill, Bismarck wäre ein nackter Hitler, „als wenn der Teufel sein Fell abzöge. Es ist surreal, irgendwie nicht vorstellbar, egal ob mit einem oder zwei Hoden.“

Das sind so die erfrischenden argumentativen Taschenspielereien, die den Leser genauso schmunzeln lassen wie das Publikum auf Boschs Gemälde oder einfach heilsam irritieren.

Die Frage, die besonders uns Deutsche interessiert, nämlich was Geschichte ist und ob man aus ihr lernen könne, muß, seit Schiller sie zum ersten Mal seinen Studenten in Jena vortrug, unbeantwortet bleiben, zumindest nach Klonovsky – einen Sinn mag er nicht in ihr entdecken außer jenem, der ihr nachträglich eingefügt wird, mit Schlegels „rückwärts gewandter Prophetie“,  die in unserem Lande auf das ewige Scherbengericht hinausläuft.

 Geschichte besteht, wie es zu Beginn von Thomas Manns „Josephs“-Roman heißt (Klonovsky verrät ihn als seine Lieblingslektüre und liegt auch damit unbestreitbar richtig), aus Schichtungen, die auf Schichtungen liegen, ad infinitum, der Einfluß einzelner Großer ist höchst zweifelhaft, und wenn, dann nicht in der von ihnen intendierten Weise. Letztlich können wir nur sagen: Sie passiert. Weshalb all die „Nie wieder!“-Litaneien und -Vergleichsrituale zum Dümmsten und polittaktisch Infamsten gehören, das sich unsere Festakt- und Gedächtnisfeier-Routine so leistet, denn sie schreckt nicht davor zurück, noch die schlimmste Tragödie zu politischem Kleingeld zu verarbeiten.

Womit Klonovsky in zwei Horror-Tableaus stößt, in einen Vergleich, besser: in eine parallele Lektüre von Wassili Grossmanns „Leben und Schicksal“ und Jonathan Littells „Die Wohlgesinnten“, ersterer ein Roman über das Inferno von Stalingrad,  geschrieben aus der Sicht des Opfers, ach, der Opfer, denn Grossmann leidet sowohl mit den armen russischen wie den deutschen, den Kämpfern, den Lagerhäftlingen, dem Priester, der die Notmesse zelebriert, und dem Verräter, der um seinen Lohn gebracht wird, ein Brausen aus Geschützlärm und Herzschlägen. 

Daneben stellt Klonovsky Littells kalt-ästhetisierenden Bericht eines Mittäters und Dandys, der nahezu kopfschüttelnd die Trichterbildung in den ukrainischen Städten zum Abtransport der Juden beschreibt, so leicht das alles, so rätselhaft widerstandslos.

Hier wird deutlich, daß Klonovskys Herz für Grossmann und dessen unfaßbaren Humanismus schlägt, aber sein polemischer Kopf rennt selbstverständlich sympathisierend mit Littell gegen das naserümpfende Urteil der Feuilletons, die Littells großartige Provokation nicht einmal mit spitzen Fingern anfassen wollten.

Was noch? Eine Liebeserklärung an den österreichischen Komponisten Anton Bruckner, dieses vom Leben echt mies behandelte zölibatäre Genie, Gipfel und Schlußtein symphonischer Kunst, kurz und bewegt, sowie eine Hommage auf Richard Wagner, den Revolutionär, den Umstürzler, den Kunstpriester, den Klonovsky zunächst einmal von dem Mißverständnis befreit, er sei der Troubadour der Rechten gewesen. Er kam von weit, weit links, „man würde Wagner nicht sonderlich fehlinterpretieren, wenn man ihn als Protofeministen“ (all diese starken Frauen von Brünhild bis Sieglinde) „und im Jahrhundert fehlgegangenen 68er bezeichnete“. Hm, nun gut. Bei dieser Gelegenheit sei angemerkt, daß Adorno in seinem Essay zum Essay ausdrücklich das Stilmittel der Zuspitzung und Übertreibung billigt.

Klonovsky weiter: Und von dort, eben von linksaußen, brachte Wagner auch den Antisemitismus mit und zitiert Marx: „Die Emanzipation vom Schacher und vom Geld, also vom praktischen, realen Judentum, wäre die Selbstemanzipation unserer Zeit (…) Wir erkennen also im Judentum ein allgemeines gegenwärtiges antisoziales Elemen (…)“

Die Grundannahme bei Wagner, so Klonovsky, müsse sein: „Andere Komponisten schrieben Musik, um ihr Publikum zu unterhalten oder zu enthusiasmieren. Wagner schrieb, weil er eine andere Gesellschaft wollte.“ Nehmt das, verschmockte linke Regietheaterlegastheniker mit euren Holocaust-Anspielungen in „Ring“-Inszenierungen!

Mein persönlicher Favorit der Sammlung indes ist die gutgelaunte Abrechnung mit der „Kampfkunst des Transzendentaldemokraten Jürgen Habermas“ unter dem Titel „Nur ein Diskurs kann uns retten“. Die Habermassche Entdeckung, ja Essenz der Demokratie darf in aller Schlichtheit auf den Kernspruch der Paartherapie heruntergebrochen werden: Wir müssen reden. Und zwar gleichberechtigt und herrschaftsfrei.

Damit hat es der fälschlicherweise der adornitischen Frankfurter Schule zugerechnete Habermas zum international renommiertesten deutschen Philosophen gebracht. 

Seine „Theorie des kommunikativen Handelns“  entspreche, so Klonovsky, ungefähr dem, was die Mamis immer gesagt haben, wenn man mit blutiger Nase nach Hause kam: „Kinder, vertragt euch!“

Niklas Luhmann befand schlicht:  „Der Endzustand des Habermasschen Universums ist das Geschwätz.“ Allerdings ist es ein durchaus stacheldrahtbesetztes, ein rigides und intrigengestähltes Diskursmanagement, das Habermas da betreibt.

Wirksam wurde es geradzu modellhaft in der sogenannten Historiker-Debatte, in der die These, die der Geschichtsdenker Ernst Nolte zur Diskussion gestellt hatte, nämlich daß der Bolschewismus mit seinen Todeslagern das Modell für die Nazi-KZs vorgegeben habe, von Habermas, unter Mobilisierung journalistischer und akademischer Hilfstruppen, derartig als Sakrileg verdammt wurde, daß der Name Nolte gründlich verbrannt war und diejenigen, die ihm, wie halbherzig auch immer, zur Seite gestanden hatten, als nicht länger satiskationsfähig galten.

Jürgen Habermas träumt vom geeinten Europa, ja letztlich vom Kantschen ewigen Frieden, und er kann durchaus rabiat und ausschließend werden, sollte ihm jemand dabei in die Quere kommen. Sein öffentlicher Erfolg ist um so rätselhafter, als er seine Thesen und Argumente in einer soziologischen Ingenieurs- und Bürokratensprache vorzubringen pflegt, was Klonovsky zu dem schönen Aperçu verleitet, daß der deutsche Philosoph in alle Weltsprachen übersetzt sei – außer ins Deutsche.

Etliche weitere Texte in diesem Buch sind lesenswert und auf eine eigenartige Weise durchwirkt von dem Bestreben, das wahrhaft Schöne und Menschliche und Edle zu retten gegen die Vulgarität der Konsolenkultur und der linken Verlotterungen bürgerlicher Werte (auch wenn ihm eine unheimliche Faszination für Anarchie anzumerken ist). Vieles wäre noch zu erwähnen, wie die biographische Vignette über Churchill, das aufnahmewache Schlendern durch die Pinakothek, die Liebeserklärung an Houellebecqs Dekadenz … doch irgendwann muß selbst eine Liebhaber-Rezension ihren Schluß finden. Also kurzum: Kaufen. Lesen. Staunen.

Michael Klonovsky: Der fehlende Hoden des Führers. Vermischte Essais. Karolinger Verlag, Wien 2019, broschiert, 240 Seiten, 23 Euro