© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/20 / 03. Januar 2020

Mehr Reaktionäres wagen
Magische Selbstbeschwörungen: Klimahysterie in einer aufgeklärten Gesellschaft
Thorsten Hinz

Angeblich leben wir inmitten der voll entfalteten Aufklärung, die das finstere Mittelalter hinter sich gelassen, die rote und braune Diktatur überwunden hat und sich nun auf dem globalen Siegeszug befindet. Doch was ist das für eine Aufklärung, in der das politische Leben, der öffentliche Diskurs vom Kult um Klima-Greta, von „Fridays for Future“, von „Extinction Rebellion“, von einer monothematischen medialen Dauerberieselung beherrscht werden? In der im bayerischen Psychotherapeutenjournal „psychotherapeutische Interventionen“ gegen sogenannte Klimaleugner gefordert werden, da sie an einer „existentiellen Neurose“ litten? Passend dazu der Vorschlag, „Grüne Hausnummern“ für klimagerechte Lebensweise zu verleihen. Das liefe auf ein Sozialpunktesystem hinaus, in dem man Teilhabe an öffentlichen Gütern durch parteinahes Wohlverhalten verdienen muß.

Das wahnhafte Wiedertäufertum anno 1534 in Münster rückt nahe und Exzesse wie in der chinesischen Kulturrevolution erscheinen möglich. Vergleichbare Empfindungen formulierte der Chronist Serenus Zeitblom aus Thomas Manns „Faustus“-Roman, als er 1943 über seine Stadt Kaisersaschern schrieb: „Aber in der Luft war etwas hängengeblieben von der Verfassung des Menschengemütes in den letzten Jahrzehnten des fünfzehnten Jahrhunderts, Hysterie des ausgehenden Mittelalters, etwas von latenter seelischer Epidemie: Sonderbar zu sagen von einer verständig-nüchternen modernen Stadt (…) – möge es gewagt klingen, aber man konnte sich denken, daß plötzlich eine Kinderzug-Bewegung, ein Sankt-Veits-Tanz, das visionär-kommunistische Predigen irgendeines ‘Hänselein’ mit Scheiterhaufen der Weltlichkeit, Kreuzwunder-Erscheinungen und mystischem Herumziehen des Volkes hier ausbräche.“ Was dann doch nicht geschah, weil die Polizei es nicht zugelassen hätte und die Zeit einfach nicht danach war.

Greta Thunberg gilt als höchste Berufungsinstanz

Wohlgemerkt, diese Textpassage betrifft noch das rechtsstaatlich und liberal verfaßte Kaiserrreich. Von der Erzählzeit des Chronisten, von 1943 aus gesehen, erwies es sich jedoch als eine Latenzphase: „Und doch! Wozu nicht alles hat in unseren Tagen die Polizei stillgehalten – wiederum im Einverständnis mit der Zeit, die nachgerade dergleichen sehr wohl wieder zuläßt.“ Der NS-Staat „wiederholt mit Enthusiasmus symbolische Handlungen, die etwas Finsteres und dem Geist der Neuzeit ins Gesicht Schlagendes an sich haben ...“

In klügeren Zeiten wird man über den Kult um Greta wohl Ähnliches sagen. Für eine angeblich objektive Naturwissenschaft ist sie Rammbock, Legitimationsquelle und höchste Berufungsinstanz. Wie die Pythia von Delphi durch die Dämpfe aus einer Erdspalte in Trance versetzt wurde, aus der heraus sie ihre Orakelsprüche kundtat, verdankt Greta ihre Seher-Fähigkeit der Asperger-Krankheit, die ihr Gehirn „anders verdrahtet“, wie die Süddeutsche Zeitung wußte. Die Krankheit stellt sie zudem unter Diskriminierungsschutz und macht sie  zusammen mit der – gleichfalls krankheitsbedingten – Jungmädchen-Anmutung zur Wiedergängerin der antiken Heiligen.

Weltrettung durch autoritäre Globalsteuerung

Nur wenigen ist bewußt, daß die geschürte Klima-Hysterie ein Mittel zum Zweck ist. Wenn Städte in Deutschland und Europa und sogar das Europäische Parlament den „Klimanotstand“ verkünden, dann wird absehbar ein universelles Ermächtigungsgesetz zur Behebung der Not von Himmel, Erde und Menschheit plausibel. Am Ende stünde das unmittelbare Durchgriffsrecht eines Global-Regimes auf die aller staatlichen Schutzmechanismen beraubten Individuen.

Leidtragende wären vor allem die Bewohner der nördlichen Hemisphäre. Bereits heute finden inner- und zwischenstaatliche Vermögensumschichtungen sowie Bevölkerungstransfers von Süd nach Nord statt. Da die Industrieländer den Klimawandel verursacht hätten, so die Argumentation, sei die Aufnahme der nach Europa drängenden „Klimaflüchtlinge“ eine Frage globaler Gerechtigkeit. Das dringlichste Problem der Dritten Welt, die Bevölkerungsexplosion, wird dabei unterschlagen.

Die Dialektik aus „menschengemachtem Klimawandel“ einerseits und Weltrettung durch autoritäre Globalsteuerung andererseits stellt die aktuelle Version totaler Machbarkeit und menschlicher Hybris dar. Und wie so oft geht Deutschland beherzt voran.

Die Regression der Klima-Gläubigen ist kein Dementi von Moderne und Aufklärung, sondern eine ihrer riskanten Möglichkeiten. Auch der Kommunismus und Nationalsozialismus waren moderne Bewegungen, die mit Teilwahrheiten und wissenschaftlichen Versatzstücken operierten. Horkheimer und Adorno haben in der 1944 publizierten „Dialektik der Aufklärung“ dargelegt, daß die Befreiung aus mythischen Denkmustern in neue Zwänge führt und die „dialektische Verschlingung von Aufklärung und Herrschaft, das Doppelverhältnis des Fortschritts zu Grausamkeit und Befreiung“ das Potential besitzt, in neue Barbarei umzuschlagen. Denn „je weiter die magische Illusion entschwindet, um so unerbittlicher hält Wiederholung unter dem Titel Gesetzlichkeit den Menschen (…) fest“.

Klassenkampf, Rassenkampf und nun eben der Kampf gegen den vermeintlich ausschließlich menschengemachten Klimawandel verwandeln die Welt in eine unentrinnbare, mythische Funktion der neuen Art. Das vermeintlich „Tatsächliche behält recht, die Erkenntnis beschränkt sich auf seine Wiederholung, der Gedanke macht sich zur bloßen Tautologie“. Daher mahnen die Autoren im Vorwort, „die rastlose Selbstzerstörung der Aufklärung zwingt das Denken dazu, sich auch die letzte Arglosigkeit gegenüber den Gewohnheiten und Richtungen des Zeitgeistes zu verbieten“.

Doch wo können das Mißtrauen und der Widerspruch gegen den Zeitgeist heute öffentlich gemacht werden? In den Parlamenten findet nichts statt, was den Namen „Debatte“ verdient. Die Universitäten haben sich als Ort der freien Forschung und des zwanglosen Austauschs von Argumenten aufgegeben. Die großen Medien sind Instrumente zur Suggestion und Manipulation. Die sozialen Medien werden zunehmend kontrolliert. Und was den Kulturbetrieb angeht, hat sich das vernichtende Urteil von Adorno und Horkheimer als beständig erwiesen: „Im Zeitalter der dreihundert Grundworte verschwindet die Fähigkeit zur Anstrengung des Urteilens und damit der Unterschied zwischen wahr und falsch.“ Damit wird „(die) Irrationalität der widerstandslosen und emsigen Anpassung an die Realität (...) für den Einzelnen vernünftiger als die Vernunft“. Was als Widerstand zelebriert wird, ist camouflierter Opportunismus. Das gilt gerade für jene Theatermacher, Literaten, Kabarettisten, die sich am lautesten auf die Werte der Aufklärung und der Demokratie berufen.

Vielleicht muß man sich doch wieder auf Traditionen rückbesinnen, die der zu Beginn der 1990er Jahre vielzitierte, heute randständige Publizist Richard Herzinger als „deutsche Zivilisationskritik und (...) neues Antiwestlertum“ verdammte. Der Kulturbetrieb war damals alarmiert durch den „Anschwellenden Bocksgesang“ von Botho Strauß, der „die Verhöhnung des Eros, die Verhöhnung des Soldaten, die Verhöhnung von Kirche, Tradition und Autorität“ geißelte. Gott sei für Strauß nicht tot, wunderte sich der Soziologe Stefan Breuer 1995 in seinem – übrigens kenntnisreichen – Buch „Ästhetischer Fundamentalismus. Stefan George und der deutsche Antimodernismus“. Dahinter stünde die Weigerung, „die Zumutungen von Aufklärung und Moderne anzunehmen“. Außerdem seien ein „pathogener Narzißmus“ sowie „quasireligiöse und sektenförmige Züge“ am Werk, die sich um das „Charisma“ des Dichter-Künders herum entfalteten. Breuer kreierte dafür den Modebegriff „ästhetischer Fundamentalismus“.

Das Land ist verrückt geworden

Heute liest man das als die unfreiwillige Selbstparodie eines gelernten Bundesbürgers, der sich fälschlich auf der Höhe der Zeit wähnte. Es verhält sich umgekehrt. Das Land ist verrückt geworden. Die politisch-mediale Klasse agiert heute wie eine Klima- und-Endzeit-Sekte, und das Charisma einer fundamentalistischen Asperger-Kranken bildet den emblematischen Bezugspunkt des Politischen. Breuers Verwunderung darüber, daß pünktlich zur Wiedervereinigung eine Tradition wiederauflebte, „die in der Bundesrepublik gänzlich abgerissen schien“, läßt sich ebenfalls leicht beheben: Mit dem Eintritt der Bundesrepublik in die äußere Souveränität wurde die Unbeholfenheit, Schutzlosigkeit und der Illusionismus einer Verwaltungseinheit offensichtlich, die eine kommunikative Konsens-Gesellschaft statt Staat und Nation sein wollte. Es fand statt, was Karl Kraus 1933 so formuliert hatte: „Das Wort erstarb, als jene Welt erwachte.“ Ersetzt wurde es durch magische Selbstbeschwörungen.

Strauß gehörte zu den ersten, die die Lage seismographisch erfaßten. Sein „Bocksgesang“ besagt über die heutigen Kulturkonflikte mehr, als Soziologen, Kultur- Integrations- und sonstige Experten seither herausgefunden haben. Die aufgegriffene Tradition ist auch nicht antiaufklärerisch oder antimodern. Sie berücksichtigt vielmehr mit Adorno und Horkheimer, daß die alten Mythen ebenfalls geronnene Aufklärung und gespeicherte Erkenntnis sind, die man nicht ungestraft ignoriert. Vielleicht muß man, um „das Doppelverhältnis des Fortschritts zu Grausamkeit und Befreiung“ wieder ins Lot zu bringen, 2020 mehr Reaktionäres wagen.