© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/20 / 10. Januar 2020

Juliane Nagel vertritt quasi die linksextreme Szene von Leipzig-Connewitz im Landtag
Jule Bambule
Paul Leonhard

Schuld sind immer die anderen: Immobilienhaie, die harmlose Hausbesetzer auf die Straße setzen. Polizisten, die friedliche Autonome provozieren (bis diese sich nicht anders zu helfen wissen, als Pflastersteine zu werfen). Wenn im Leipziger Stadtteil Connewitz, Hochburg der Linksextremen Sachsens, die Straße brennt, Büros „entglast“ werden, man sich in Straßenschlachten gegen das „Schweinesystem“ austobt, wenn es so richtig Bambule gibt, dann ist meist auch Juliane „Jule“ Nagel vor Ort. Schließlich ist die Linken-Stadträtin und (seit 2014) Landtagsabgeordnete so etwas wie die parlamentarische Vertreterin der linken Gewaltszene dort. 

Als im Mai Unbekannte mal wieder den Polizeiposten in Connewitz, für dessen Schließung Nagel kämpft, angriffen, postete sie – scheinbar ohne Zusammenhang – ihr Lieblingsplakat: „Widerstand, Bambule, wählt die Jule!“ Wer dabei unter „Bambule“ Krawall versteht, ist selbst schuld. Dialektisch geschult, würde Nagel auf die harmlosere Bedeutung – „ausgelassenes Treiben“ – verweisen und nachschieben: Es gebe für „Antifaschist*innen“ eben viel zu tun, „argumentativ – und aktionsbezogen“. 

Ihr Leben, so die gebürtige Leipzigerin, sei nach einer Phase der Orientierungslosigkeit seit 1999 erfüllt: Damals fand sie bei den SED-Nachfolgern Halt, und seitdem kämpft die 41jährige Politologiestudentin ohne Abschluß für „Gerechtigkeit“, nimmt an Sitzblockaden teil, meldet Demos an. Für „15 Jahre Kampf gegen Nationalismus“ erhielt sie 2013 den „Leipziger Friedenspreis“ aus der linksradikalen Szene, wo sie in zahlreichen Initiativen Mitglied ist. 

Ihr wichtigstes Projekt aber ist Connewitz selbst als ein Experimentierfeld: Hier sollen „solidarische Bündnisse“ erprobt, „Bruchsituationen“ hervorgerufen werden, „in denen eine Umwälzung bestehender Verhältnisse greifbarer wird“. Gesteuert wird alles von Nagels Wahlkreisbüro aus.

Während Kritiker, etwa die Bürgerinitiative „Gohlis sagt Nein“, fragen, ob sie nicht „am Tag die Volksvertreterin gibt und Nachts als Terror-Patin autonomen Fußtruppen ins Gefecht gegen den Rechtsstaat schickt“, sagt Nagel, es gebe „keine Schnittmenge mit gewaltbereiten Gruppen“. So ging sie auch nach ihrer Twitter-Reaktion auf die Randale der Silvesternacht („Ekelhafte Polizeigewalt ... kalkulierte Provokation“) rasch auf Distanz: „Es ist scheiße, wenn Gewalt in so einer Nacht die Oberhand gewinnt.“ 

Einmal aber hat sich die Connewitzerin verplaudert. Da sagte sie dem MDR ins Mikrofon: „Was ich überhaupt nicht vertreten kann und womit ich mich überhaupt nicht identifiziere, ist der Angriff von Polizeibeamten.“ Als aus dem gesprochenen Satz ein geschriebenes Zitat wurde, ließ sie die „sprachliche Ungenauigkeit“ verbessern: Nun heißt es: „Angriffe auf Polizeibeamte“.