© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/20 / 10. Januar 2020

Rot. Stadt. Böller
Debatte nach Silvester-Krawallen in Leipzig: Trotz der Eskalationen und zahlreicher verletzter Ordnungshüter neigen Politiker und Medien zur Verharmlosung linksextremer Gewalt
Paul Leonhard

Die Medienstrategie der Linksautonomen ist erneut aufgegangen. Bereits am zweiten Tag nach der Straßenschlacht zu Silvester im Leipziger Szenestadtteil Connewitz, bei der mehrere Polizisten von linken Randalierern gezielt verletzt wurden, ist der Staat in  der Defensive. Hieß es noch in den ersten Schlagzeilen, daß Chaoten Polizisten töten wollten, wird jetzt öffentlich die Polizeitaktik in Frage gestellt, etwa von der neuen SPD-Bundesvorsitzenden Saskia Esken. Der Leipziger Polizeipräsident Torsten Schultze hätte doch wissen müssen, so der Vorwurf unter anderem der Linken-Politikerin Juliane Nagel (siehe Seite 3), daß die linke Szene allergisch auf Uniformen reagiere und dann mit Gewalt agiere. Die Polizei habe Connewitz geradezu „belagert“, beklagte die Leipziger Abgeordnete. Auf Twitter schrieb sie zudem noch von „ekelhafter Polizeigewalt“, „rassistischer Kontrolle“ und „Schikane“.

Angesichts der Stimmung, die linke Politiker verbreiten, dürften auch den ersten Einschätzungen von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der angesichts der Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper gegen die Bereitsschaftspolizisten von „linkem Terror“ sprach, und seines Innenministers Roland Wöller (beide CDU), es habe sich um „bewußte und gezielte Angriffe auf Menschenleben“ gehandelt, kaum Taten folgen, die dafür sorgen, daß im Stadtteil Connewitz die linksautonome Szene in die Schranken verwiesen wird. Dort ist man noch immer stolz darauf, nach internen Zählungen der Aktionen gegen Polizisten zum Randalemeister Deutschlands gekürt worden zu sein, noch vor Hamburg und Frankfurt am Main.

Warnung vor neuem        Linksterrorismus

Die Linksextremisten würden in Leipzig so offensiv auftreten, weil sie sich von einem rot-grünen Milieu gedeckt fühlen, sagte Klaus Schroeder, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, dem MDR. Es fehle an einer eindeutigen Distanzierung von politisch motivierter Gewalt seitens vor Ort tätiger Politik der Linken und der Grünen. 

Immerhin wurden im Zuge der Ermittlungen bisher 16 Strafverfahren eröffnet und gegen vier Männer wegen tätlicher Angriffe auf Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung Haftbefehle vollstreckt. Mit welcher Gewalt Linksautonome gegen Polizisten vorgegangen sind, zeigt eine 78 Sekunden lange Videosequenz. Zu sehen sind Dunkelgekleidete, die Polizisten von hinten angreifen und zu Boden treten. Auch werden Raketen auf die Beamten geschossen. Ein bereits am Boden liegenden Uniformierter wird weiter getreten.

Tatsächlich sei „rohe Gewalt gegen die Polizisten ausgeübt“ worden, räumt die Berliner Tageszeitung taz ein, aber es sei „eher eine Spontantat“ nach einem Festnahmeversuch. Es habe „keinen orchestrierten Angriff einer großen Gruppe auf die Polizisten“ gegeben, sekundiert die Zeit. Damit wird Polizeipräsident Schultze bezichtigt, übertrieben zu haben, als er von einem „geplanten und organisierten Angriff“ sprach.

Da große Teile der öffentlichen Meinung mit grundlegenden Zielen der Linksextremisten, wie beispielsweise dem Kampf gegen Spekulanten, symphatisierten, würden auch deren Gewalttaten milder betrachtet, so Politikwissenschaftler Schroeder. So trägt aus Sicht von Ulla Jelpe, innenpolitische Sprecherin der Linken, die Polizei eine Mitschuld an dem Gewaltexzeß, „denn die regelrechte Belagerung des ganzen Stadtteils durch die Polizei, willkürliche Kontrollen von Passanten und das martialische Auftreten behelmter Trupps inmitten der Feiernden bewirkt das Gegenteil von Deeskalation“. Sie sei überzeugt, daß „ein Weniger an Polizei in dieser Silvesternacht zu einem Mehr an Sicherheit in Connewitz geführt“ hätte.

Die Vorkommnisse in der Leipziger Silvesternacht gelten als typisch für deutsche Krawall-Hochburgen, wo die sogenannten Autonomen ihre Macht über ihren Kiez demonstrieren wollen. Einer der Brennpunkte ist dabei traditionell Connewitz, wo es in den vergangenen Wochen Brandanschläge auf Baustellen, Behörden und Autos gegeben hat. Nach Einschätzung des sächsischen Verfassungsschutzes habe sich die Zahl konspirativ vorbereiteter linker Straftaten 2018 in der Messestadt verdoppelt.

Als eine neue Dimension linker Gewalt gilt dabei der Überfall auf eine Mitarbeiterin einer Immobilienfirma in deren privater Wohnung in Leipzig im vergangenen Jahr (JF 47/19). Der war Anlaß, eine Sonderkommission der Polizei gegen Linksextremismus zu gründen, die auch zu den jüngsten Vorfällen ermittelt.

Die Attacken erinnerten ihn an „linksterroristische Strukturen in den siebziger Jahren“, warnte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. Bezeichnenderweise hatte die SPD-Bundestagsabgeordnete Kirsten Lühmann in einem offenen Brief die Äußerungen ihrer Parteivorsitzenden Saskia Esken zur Leipziger Silvesternacht als die Gewalt gegen Polizisten relativierend kritisiert. Lühmann will im Frühjahr gegen CDU-Mitglied Wendt antreten und neue Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft werden. 

Eine Zerschlagung des „Leipziger Terror-Netzwerks der Antifa“ forderte unterdessen Sebastian Wippel, Fraktionsvize der AfD im Landtag und selbst Polizist. Und eine Mehrheit der Deutschen (53 Prozent) ist der Meinung, daß linksextreme Gewalt hierzulande unterschätzt wird, ergab eine Insa-Umfrage im Auftrag der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. Bei den Anhängern der Parteien sind die Wähler von CDU/CSU (68 Prozent), AfD (77 Prozent) und FDP (72 Prozent) mit deutlicher Mehrheit der Meinung, daß die linksextreme Gewalt stärker beachtet werden müßte. Von den Wählern der SPD meinten dies nur 45 Prozent, von Anhängern der Grünen 43 Prozent und von denen der Linkspartei 35 Prozent. 

Auch der Chef des Hamburger Verfassungsschutzes, Torsten Voß, warnte angesichts der Leipziger Krawalle vor einem neuen Linksterrorismus. Die Szene richte sich nicht mehr nur gegen Sachen wie Wohnungen, Parteibüros oder Fahrzeuge, sondern mittlerweile auch direkt gegen das Leben und die Gesundheit von Menschen, so Voß gegenüber der Welt am Sonntag.