© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/20 / 10. Januar 2020

Mit dem Bunten ging es schnell vorbei
Vor 40 Jahren fand in Karlsruhe die Gründungsversammlung der Grünen statt / Konservative wurden schnell an den Rand gedrängt
Rolf Stolz

Eine Generation lang hatte es nach dem Zweiten Weltkrieg keine einzige erfolgreiche Parteineugründung gegeben – neue Parteien wie die Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP) oder die NPD nach ihrem kurzen Aufschwung zwischen 1966 und 1969 waren schnell wieder verschwunden oder wurden ebenso bedeutungslos wie das Zentrum oder die Flüchtlingspartei BHE. Also wurde den Grünen ihr späterer Erfolg nicht an der Wiege gesungen, als sie sich am 13. Januar 1980 in Karlsruhe gründeten. 

Warum überlebten sie, warum überstanden sie die Niederlage in ihrer ersten Bundestagswahl im Oktober 1980 (kümmerliche 1,5 Prozent) und den Weggang zunächst der konservativen Mitbegründer ab Sommer 1980, dann nach 1990 auch der ultralinken? Warum half weder Holger Börners „Dachlatten-Taktik“ noch die spätere Umarmungsstrategie der SPD, sie kleinzuhalten oder sogar zu erdrücken? Die Antwort auf diese Fragen ergibt sich bereits aus der Vorgeschichte dieser Partei, die als Bewegungspartei, als „Anti-Parteien-Partei“ (Petra Kelly) begann. 

Der Parteigründung ging ein Aufschwung lokaler Umwelt-Bürgerinitiativen und des 1972 entstandenen Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) voraus, das gründliche Scheitern der Linken sowohl in den verschiedenen Partei-Aufbau-Organisationen als auch in der innerparteilichen Opposition der SPD. Vorbereitet von einer im Juni 1978 beim „Deutschen Umwelttreffen“ in Troisdorf gewählten Koordinationsgruppe gründeten im März 1979 in Frankfurt etwa 500 Engagierte meist aus dem konservativ-bürgerlichen Lager die ausschließlich zur Teilnahme an den Europawahlen im Juni gebildete „Sonstige Politische Vereinigung – SPV Die Grünen“. Das war ein loses Bündnis von Grüppchen und Einzelpersonen wie der gerade erst aus der SPD ausgetretenen Petra Kelly. Linke Organisationen wie die Berliner „Alternative Liste“ verhielten sich zunächst abwartend bis blockierend. 

Als aber die SPV mit 3,2 Prozent und knapp 900.000 Stimmen einen Achtungserfolg erzielte, begann ein Teil der Linken auf das grüne Pferd zu setzen. Von Oktober bis Dezember 1979 stieg die Mitgliederzahl der SPV von 2.800 auf 10.000. Als auch noch bei der Karlsruhe vorbereitenden Versammlung in Offenbach im November mit knapper Mehrheit (348 zu 311) ein Unvereinbarkeitsbeschluß gegenüber den K-Gruppen verhindert wurde, verstärkte dies den Zustrom, was bald schon die Machtverhältnisse verändern sollte. 

Eine Regenbogenkoalition von konservativ bis links

Die 68er-Bewegung hatte Zigtausende in ein diffuses Gefühl versetzt, daß Rebellion berechtigt sei. Andererseits gab es noch eine große Offenheit jenseits politischer Korrektheit ohne Antifa-Hysterie, die wie alles ihre Kehrseite hatte: Man glaubte an das Gute im Menschen und vergaß, daß gelegentlich auch Kriminelle, Päderasten, Agenten und Provokateure sich ein grünes Mäntelchen umhängten. Jedenfalls kamen Menschen aus ganz verschiedenen Richtungen zusammen: alte Kämpfer aus den neutralistischen Organisationen der fünfziger Jahre, Pazifisten und Feministinnen, Jungkommunisten und alte Ex-Kommunisten, Naturschützer und Jugendbewegte und manche sonst. 

Nicht allein die Vertreter der „Bunten Listen“ waren bunt. Schon die Bundesprogrammkommission, die ab Herbst 1979 das im März 1980 von der zweiten Bundesversammlung beschlossene und bis 2002 gültige „Saarbrücker Bundesprogramm“ ausarbeitete, war eine durchaus effektive Regenbogen-Koalition: Von Herbert Gruhl, seit 1969 bis zu seinem Austritt 1978 Bundestagsabgeordneter der CDU, dem mit dem Buch „Ein Planet wird geplündert“ (1975) ebenso konservativen wie grundstürzenden Vordenker einer ökologischen Wende, bis zu Jürgen Reents, der von den FDP-Jungdemokraten zum Kommunistischen Bund gewechselt war oder Corny Littmann, damals schon Schwulenaktivist, später Theaterbesitzer und Präsident des FC Sankt Pauli. 

Das Ergebnis der zweitägigen Bundesversammlung in Karlsruhe beschränkte sich allerdings rein auf die Gründung. Um die Millionen-Erstattung der Europawahlkampfkosten nicht zu verlieren, durfte in Karlsruhe keine Neugründung einer Partei, sondern nur eine Umgründung der SPV stattfinden. Über das schon weitgehend fertige Programm wurde gar nicht erst gesprochen. Der alte Vorstand der SPV blieb geschäftsführend erhalten: das Triumvirat der Sprecher Herbert Gruhl, Helmut Neddermeyer, August Haußleiter. In Saarbrücken wurden im März August Haußleiter, Petra Kelly und Norbert Mann zu Sprechern gewählt. In Dortmund trat im Juni Haußleiter nach einer infamen Hetzkampagne der Presse zurück – Gruhl kandidierte und unterlag dem linken Dieter Burgmann. 

Das alles beherrschende Thema in Karlsruhe war die Verabschiedung einer Satzung, die unter unendlichen Mühen gelang. Wichtigstes Ergebnis in dieser Satzungsdebatte war die Entscheidung über das Stimmrecht der Vertreter der Bunten Listen, deren Protagonist der Hamburger Henning Venske war. Es wurde abgelehnt, was zum Auszug der Bunten führte. Abgelehnt wurde auch die Doppelmitgliedschaft in den Grünen und einer anderen Partei, wobei dies aber angesichts der baldigen Liquidierung der ML-Parteien nur eine sehr geringe Bedeutung hatte. Anders als die AfD heute nahmen die Grünen ehemalige NPD-Mitglieder ohne Beanstandungen auf, und diese verhielten sich auf Dauer ausgesprochen partei- und grundgesetzkonform. 

Die Grünen mußten sich in den geänderten Zeiten ändern und an die politische Realität anpassen. Was sie nicht aufgeben mußten, aber aufgegeben haben, das sind die unverändert gültigen Grundwerte der grünen Anfangszeit: Primat der Ökologie (ersetzt durch Klimawahn und Detailreparaturen), Verteidigung einer Friedens-, Unabhängigkeits- und Neutralitätspolitik (ersetzt durch Nato-Treue und Mitmarschieren in fremden Kriegen), Verteidigung der Kultur (ersetzt durch antideutschen Selbsthaß, Genderismus und PC-Neusprech), Verteidigung der direkten Demokratie und der Basisdemokratie (ersetzt durch gewöhnlichen Ämterschacher) und soziale Solidarität (ersetzt durch Luxusspielchen einer verzogenen FFF-Jugend). 






Rolf Stolz war 1979 Mitglied der linkssozialistischen „Vereinigten Linken“ und der Kölner Grünen. Wenig später nahm er als Mitglied der Bundesprogrammkommission an der Gründungsversammlung in Karlsruhe teil.