© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/20 / 10. Januar 2020

„Männer werden nun aufrecht gehen und Frauen werden lächeln“
Alkohol als Geißel der Gesellschaft: Vor hundert Jahren wurde in den USA die Prohibition eingeführt / Dem Konsum tat das keinen Abbruch
Jan von Flocken

Alkohol sei, so der erste US-Präsident George Washington, „der Quell allen Übels und das Verderben für die Hälfte aller Arbeiter in unserem Lande“. Im Sommer 1794 besaß Washington, selbst einem gutenTropfen zugeneigt, berechtigten Grund für sein Verdikt. 7.000 Schnapsbrenner hatten sich in Pennsylvania zusammengerottet und drohten mit bewaffnetem Aufstand. Ursache war eine von der Bundesregierung ausgerufene Steuer auf hochprozentigen Alkohol. Der Präsident setzte schon 13.000 Mann Miliz gegen diese „Whiskey-Rebellion“ in Marsch, da kapitulierten die Aufständischen in letzter Minute.

Seither bildete der Schnapskonsum ein ständiges Politikum in den USA. Bereits 1808 trat der erste Abstinenzlerverein auf den Plan. Der Bundesstaat Maine führte 1849 erstmals die Prohibition ein. Obwohl noch ein Dutzend Staaten dem folgten, wurde das Verbot immer wieder aufgehoben oder unterlaufen. Ein neues Stadium erreichte der Streit mit der 1893 gegründeten „Anti-Saloon-Liga“, die maßgeblich von der „Christlichen Abstinenzler-Union der Frauen“ beeinflußt wurde. Alkoholkonsum machte man für sämtliche sozialen Mißstände verantwortlich, insbesondere für Kriminalität, Korruption und Gewalttätigkeit. Kneipen galten als „Zuflucht von Faulenzern und Gotteslästerern“. Durch ein Alkoholverbot sollten auch die Kinder vor bezecht prügelnden Vätern geschützt werden.

Auch die Prohibition konnte den Alkohol nicht bannen

Popularität erlangte die Prohibition vor allem in den ländlichen Gebieten der Nordstaaten; deren Bewohner wollten dem als unmoralisch empfundenen Lebenswandel in den Großstädten Einhalt gebieten. Radikale Puritaner sahen ihre christlichen Werte und damit auch den maßgeblichen Einfluß auf die Menschen schwinden. Ein letzter Versuch, diese Autorität zu erhalten, sollte das nationale Verbot von Alkohol sein.

 Mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg 1917 fürchteten die Frauenverbände ein Überschwappen von lockeren Sitten und Trinkgewohnheiten der Europäer nach Übersee. So war es kein Zufall, daß noch im selben Jahr der 18. Verfassungszusatz vom Kongreß angenommen und 1919 mit einer Dreiviertel-Mehrheit ratifiziert wurde. Sein Wortlaut: „Es wird die Erzeugung, der Verkauf oder die Versendung alkoholischer Getränke innerhalb des Gebietes der Vereinigten Staaten, ihre Einfuhr in oder ihre Ausfuhr aus den Vereinigten Staaten und allen Gebieten, die ihrer Hoheit unterstehen, für menschlichen Genuß hiermit verboten.“ Dies galt für alle Getränke mit mehr als 0,5 Prozent Alkoholgehalt. Am 16. Januar 1920 trat der Artikel in Kraft. Die Aufnahme der Prohibition in die Verfassung ermächtigte die US-Bundesbehörden zur strafrechtlichen Verfolgung von Verstößen, vorrangig dem Schmuggel.

Ihr Ziel, den Alkohol aus dem Leben der Amerikaner zu verbannen, erreichte die Prohibition zu keinem Zeitpunkt. Wer genügend Geld besaß, legte sich rechtzeitig einen großen Weinkeller an; der Konsum an sich war ja nicht verboten, nur Herstellung, Transport und Verkauf. Die US-Bürger zeigten sich äußerst erfinderisch: Meßwein aus christlichen Gemeinden wurde in großem Stil zweckentfremdet, ebenso Industriealkohol, der weiter hergestellt werden durfte. Einige Ärzte machten gute Geschäfte mit dem Verkauf von medizinischem Alkohol. 

Als ergiebigste Quelle kam „Moon-shine“ auf, heimlich gebrannter Schnaps. Dessen Konsum war freilich riskant, denn die Qualität der Schwarzgetränke sank rapide. Schnell produzierter Schnaps enthielt häufig nicht nur Methanol, das zur Erblindung und zum Tod führen konnte. Auch die Brennvorrichtungen entsprachen nicht den üblichen Hygienestandards, so daß die Getränke oft mit Schwermetallen verunreinigt waren. Entsprechend übel geriet der Geschmack des Schnapses. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich in den USA übrigens die Kunst des Cocktailmixens. 

Ebenso rasant etablierte sich auch das organisierte Verbrechen. Da mit dem Schmuggel von Alkohol Millionen zu verdienen waren, traten ganze Gangstersyndikate an, die sich oft blutig bekämpften. Die Karrieren von Al Capone oder „Lucky“ Luciano begannen zu jener Zeit. Vor 100 Jahren jubilierte der Massenprediger William Sunday: „Das Reich der Tränen ist vorbei. Bald werden die Slums der Armenviertel nur noch eine Erinnerung sein. Wir werden die Gefängnisse in Fabriken umwandeln und die Gerichtsgebäude in Lagerhallen. Männer werden nun aufrecht gehen und Frauen werden lächeln. Die Hölle wird auf ewig zum Vermieten angeboten.“ Der geistliche Herr irrte in jeder Hinsicht, und 1933 wurde die Prohibition wieder aufgehoben.