© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/20 / 10. Januar 2020

Die Logik des Systems außer Kraft setzen
Weltenrettung leichtgemacht: Naomi Klein ist eine Expertin für alles und nur ihr „Green New Deal“ hilft
Dirk Glaser

Laut Zensus von 2011 hatte Deutschland damals 80,33 Millionen Einwohner, 505.925 davon waren als „Schutzsuchende“ im Ausländerzentralregister (AZR) registriert. Sieben Jahre später lag die Bevölkerungszahl bereits bei 83,02 Millionen – vor allem dank nun 1,78 Millionen „Schutzsuchenden“ und diversem Familiennachzug. Wie viele Milliarden diese Massenmigration die Steuerzahler von Bund, Ländern und Gemeinden insgesamt kostet, verrät keine Statistik. Die geplanten 20,8 Milliarden Euro im Bundeshaushalt 2020 sind nur ein Bruchteil davon.

Ein westliches Wohlstandsphänomen

Auch Wohnungsnot, Euro-Verfall oder Gewaltkriminalität sind Randthemen, wenn Greta & Co. abgefeiert werden. „Wir müssen entschieden handeln! Uns bleiben nur noch wenige Jahre, um eine Chance im Kampf gegen den Klimawandel zu haben“, das behauptet nicht die Grüne Jugend, sondern die „Klimastrategie der CSU“. Der CO2-induzierte Weltuntergang bestimmte die Ansprache des Bundespräsidenten und die Neujahrsrede der Bundeskanzlerin.

Daß dies kein deutscher Sonderweg, sondern ein westliches Wohlstandsphänomen ist, zeigt exemplarisch Naomi Klein. Aus einer engagierten jüdischen Familie stammend – der Vater Arzt, die Mutter Feministin und 1968 wegen des Vietnamkrieges zusammen von den USA nach Québec emigriert –, wurde die Kanadierin 1999 mit einer Philippika gegen den Marken-Fetischismus („No Logo“) bekannt. Dank weiterer Beiträge (2002 zusammengefaßt in „Fences and Windows: Dispatches from the Front Lines of the Globalization Debate“) wurde Naomi Klein bald zur „Prophetin“ der Anti-Globalisierungsbewegung gekürt.

Daß sie die „Boycott, Divestment and Sanctions“-Kampagne gegen Israel unterstützte, verstörte ihre Anhänger ebensowenig wie ihr Schwenk von sozialen Fragen zur Klimathematik. Denn es geht weiter um den radikalen Systemwechsel, das Ende des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells. So steht es auch in ihrem neuen Werk mit dem Titel: „Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann“.

Mit neuen Rezepten wartet sie freilich nicht auf. Ist das Buch doch eine Art aktualisierte Taschenausgabe ihres 700-Seiten-Wälzers „Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima“ (JF 25/15). Inhaltlich gewertet, schließt ihr „Green New Deal“ keine fühlbare Lücke im Sachbuchregal, aber er verschafft ihr Redeauftritte im Vorwahlkampf der US-Demokraten, die glauben, mit solchen grünen Heilsversprechen Donald Trump aus dem Weißen Haus verjagen zu können.

Ihr Buch hat einen großen Vorzug: Ohne allzuviel störende Füllprosa gewinnt das schlichte, von weitgehendem Verzicht auf eigene Gedanken zeugende Weltbild der Autorin schärferes Profil – und es offenbart die gemeingefährliche Dürftigkeit grüner Ideologie. Die bei der 49jährigen Weltrettungsveteranin genauso infantil grundiert ist wie beim „Fridays for Future“-Spektakel. Hier wie dort orientiert man sich anhand überschaubarer Gegensätze: Gut und Böse, Schwarz und Weiß, Entweder-Oder.

In jedem Kapitel schlägt sich nieder, welch totalitäres Potential in solchem Denken steckt. Wer nicht zu der „97 Prozent“-Mehrheit der Propagandisten des „menschengemachten Klimawandels“ gehört, ist ein „drittklassiger Wissenschaftler“. Wie eine Studienabbrecherin ohne naturwissenschaftliche Sachkenntnis, nur auf einige Semester Philosophie zurückblickend, das beurteilen will, bleibt Kleins Geheimnis. Ihr alleiniges Kriterium für wissenschaftliche Wahrheit ist offenkundig, was die Mehrheit dafür hält: „Listen to the scientists“ verlangt auch Greta Thunberg. Wer wenig weiß, muß eben viel glauben. Auch, daß der Menschheit nur noch eine Galgenfrist bis 2025 bleibe, wie die Endzeitsekte „Extinction Rebellion“ propagiert, mit der sich Klein solidarisierte.

Höhere Steuern und mehr Regulierungen des Bürgers

Bei der Schilderung ihres Besuchs einer Konferenz des Chicagoer Heartland Instituts, des Think Tanks der „hartnäckigen Klimaleugner“, versammelt Klein dann alle Klischees, die ihr Milieu zwangsläufig hervorbringt. „Alte weiße Männer“ lauschen dort „längst widerlegten Theorien“. Wenn sie nicht vor den auf die Podiumswand projizierten Temperaturkurven einfach „einschlummern“. Was die „Leugner“ motiviert, sei ihre „Verschwörungstheorie“, ihre stärkste Waffe im „Kulturkampf“ konservativer „Fossile“ gegen grüne „Progressive“.

Demnach seien sie überzeugt davon, daß die Klimabewegung die sozialistische Weltrevolution mit anderen Mittel fortsetze. Sie fühlten ihr „marktliberales Glaubenssystem“ bedroht und nähmen an der Umweltschutzbewegung wahr, was schon immer linke Herzensanliegen gewesen seien: Umverteilung von Wohlstand, höhere Steuern, mehr staatliche Interventionen in die Wirtschaft und mehr Regulierungen des Bürgers.

Klein läßt ihrer Verachtung hier freien Lauf, um dann aber eine überraschende Volte zu schlagen. Die Verschwörungstheoretiker lägen gar nicht so falsch. Nur das Etikett „sozialistisch“ passe nicht: Es gehe nicht primär um weniger Erderwärmung, Rohstoffausbeutung, Flächenverbrauch, Regenwaldzerstörung und Meeresverschmutzung, sondern um die „Logik des Wirtschaftssystems“, das auf der „zentralen Annahme“ basiere, die Kapazitäten der Natur könnten unbegrenzt ausgeschöpft werden. Diese Logik müsse außer Kraft gesetzt werden und mit ihr „viele Ideen der westlichen Kultur“, die uns seit der Aufklärung begleiten und die auf dem Glauben an ewiges Wachstum und Fortschritt beruhten. Auch viele Grüne, die mit Windkraft, E-Mobilität und Emissionshandel weiter auf der Fortschrittswelle reiten wollten, hätten die Notwendigkeit eines revolutionären Bruchs noch nicht begriffen.

Wie der zu realisieren ist, darüber schweigt sich Naomi Klein, die linksliberale Expertin für alles, lieber vornehm aus. So scheitert sie auf jedem Sektor der wortreich angeprangerten „Klimabarbarei“, unfähig zur präzisen Lage­analyse. Nie nennt sie Namen, wettert nur gegen anonyme „Konzerne“. Deren ebenso anonyme Globalisierungsstrategen sie als Hauptverantwortliche für die „Klimakrise“, für die „Armut“ des globalen Südens attackiert. Daß daneben die Bevölkerungsexplosion in Afrika eine tragende Rolle spielt, über die bei ihrem „Green New Deal“ zu verhandeln wäre, bleibt ihr, einer der laut Verlagswerbung „bedeutendsten politischen Denkerinnen unserer Zeit“, verborgen.

Naomi Klein ignoriert die Tatsache, daß zumeist nicht umweltbedingtes Elend die Massenmigration der „faktischen Klimaflüchtlinge“ Richtung Nord­amerika und Europa bewirkt, sondern die Gewinn- und die Weltordnungsinteressen „der Konzerne“. In deren Führungsetagen kämpft man nicht für, wie Klein lamentiert, sondern gegen „Abschottung“ und für die globale „Open Society“. Das könnte Naomi Klein, die im Aufsichtsrat der kalifornischen Klima-NGO „350.org“ sitzt, bei der (alt-)linken Sahra Wagenknecht, einer promovierten Volkswirtin, nachlesen („Reichtum ohne Gier“, JF 34/16).

Naomi Klein: Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2019, 351 Seiten, gebunden, 24 Euro

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