© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Planlos zwischen den Stühlen
Militärische Auslandseinsätze müssen der Logik klar definierter nationaler Interessen folgen
Michael Paulwitz

Der iranisch-amerikanische Schlagabtausch im Irak und die anschließende Debatte um die Fortsetzung der „Ausbildungsmission“ der Bundeswehr im Zweistromland hat es schmerzhaft an den Tag gebracht: Die deutsche Politik hat keinen Plan, was genau sie mit ihrem Militär anfangen will, weder in der Heimat noch im Ausland.

Rund viertausend Bundeswehrsoldaten sind derzeit in zwölf Missionen auf drei Kontinenten im Einsatz: im Kosovo und im Mittelmeer, im Libanon, Irak und in Afghanistan, im Jemen und am Horn von Afrika, im Nord- und Südsudan, in Mali und in der Westsahara. Sie sollen mal beobachten und mal ausbilden, mal überwachen und mal „stabilisieren“, Piraterie bekämpfen oder Schleuser und Schlepper im Auge haben; seit neuestem führen Politiker gern auch mal die „Bekämpfung von Fluchtursachen“ an.

Das kostet nicht nur viel Geld. Es bringt Menschen, Material und Logistik an ihre Grenzen, und manchen Soldaten kostet es auch die Gesundheit oder gar das Leben. Das gehört zum Soldatenberuf. Ob aber die gesteckten Ziele erreicht werden, ob sie überhaupt erreicht werden können, ob die Ausstattung der Missionen ihrem Auftrag entspricht und ob dieser den zu entrichtenden Preis wert ist, das wird in den schablonenhaft geführten öffentlichen Pseudo-Debatten und bei den routinemäßig anstehenden Verlängerungen durch das Parlament regelmäßig nicht zu Ende diskutiert.

Bei den meisten dieser Einsätze darf man diese Fragen getrost verneinen. Einige Dutzend oder hundert Bundeswehrsoldaten bringen keine Migrantenströme zum Versiegen und stabilisieren kein im Chaos versinkendes Land, auch nicht im Verein mit weiteren Verbündeten, und schon gar nicht, wenn eine von dogmatischem Pazifismus gelähmte politische Klasse sie nicht auch mit allen zu Gebote stehenden Waffen kämpfen läßt.

Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Die enge Aufsicht durch die Volksvertretung sollte eigentlich Akzeptanz und Ansehen der Streitkräfte in der Öffentlichkeit heben. In der Praxis führt sie freilich oft dazu, daß über Struktur und Einsatz der Bundeswehr nach tagespolitischen Opportunitäten und ideologischen Voreingenommenheiten entschieden wird.

Auf radikallinker Seite pflegt man einen militanten Pazifismus, der die Armee am liebsten ganz aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängen, austrocknen und in letzter Konsequenz auflösen möchte. Die Ex-Volkspartei SPD nähert sich in ihrem Abstieg zur linken Sekte zügig solchen Extrempositionen an.

Im grünen Zeitgeist, der mit Joschka Fischer das Auslandseinsatz-Tabu schon vor zwei Jahrzehnten mit der „Nie wieder Auschwitz“-Keule abgeräumt hat, schließen dagegen Menschenrechts-Universalismus, Weltenretter-Pathos und die Beschwörung von Internationalismus und Multilateralismus als Selbstzweck trefflich an die Merkelsche Phraseologie an. Dahinter scheinen Opportunismus und Anbiederung an die Forderungen anderer, die mit Symbolpolitik besänftigt werden sollen, oft nur schlecht getarnt hindurch.

Mißt man die einzelnen Bundeswehr-Einsätze an den Politikerworten, sind die ideologischen Seifenblasen schnell geplatzt. Nur ein Beispiel: Verfolgt die Bundeswehr in Mali und der Westsahara tatsächlich deutsche Interessen? Tatsächlich hilft sie wohl eher den Franzosen beim Aufräumen ihrer kolonialen Hinterlassenschaften. Wer regelmäßig in der Pose der Moralgroßmacht nach internationalen Einsätzen ruft, selbst nur minimale oder gar keine Beiträge liefern mag, die aber mit um so großspurigerer Rhetorik abfeiert, als rettete man die Welt im Alleingang, macht sich rasch lächerlich. Wer kaum einsatzfähige Panzer, Flugzeuge, Schiffe und U-Boote hat, der hat auch unter „multilateralen“ Vorzeichen schlechte Karten und taugt nicht einmal glaubwürdig zum ernsthaften Vermittler.

Der erste Schritt zur Wiederherstellung sicherheitspolitischer Ernsthaftigkeit wäre daher, die Fähigkeit zur Erfüllung des verfassungsmäßigen Auftrags der Landesverteidigung zurückzugewinnen. Zu lange war die Bundeswehr unter dem Vorwand der „Friedensdividende“ haushaltspolitisches Stiefkind. Truppenreduzierungen, Strukturreformen, Auflösungen von Einheiten, Verbänden und Standorten und nicht zuletzt die Aussetzung der Wehrpflicht haben viel Erfahrungswissen und Rekrutierungspotential zerstört, ohne die für größere Auslandseinsätze erforderliche hohe Durchschlagskraft zu gewinnen.

Eine Mittelmacht wie Deutschland mit seinem hohen wirtschaftlichen Gewicht muß in der Lage sein, eigene Interessen auch im Ausland militärisch wahrzunehmen. Voraussetzung dafür ist die Enttabuisierung der Geopolitik. Der frühere Bundespräsident Horst Köhler hatte das in einer Bemerkung versucht und wurde dafür abgestraft. Seine Erkenntnis bleibt trotzdem richtig: Der Schutz von Handelswegen auch mit militärischen Mitteln liegt im wohlverstandenen deutschen Interesse. Die Anti-Piraterie-Mission vor den Küsten Somalias ist unter den derzeitigen Auslandseinsätzen der Bundeswehr daher wohl die sinnvollste.

Deutschland kann dabei nicht so global agieren wie die Weltmacht USA, die im zwanzigsten Jahrhundert die Seemacht Großbritannien abgelöst hat. Es muß seinen geostrategischen Raum definieren, in dem es eigene Interessen militärisch wahren kann. Die Abwehr von Migrantenströmen an den Außengrenzen der EU und ihrer afrikanischen Gegenküste sowie der Kampf gegen Schlepper und Schleuser auf dem Mittelmeer gehört zweifellos dazu. Und vier Jahre nach „Willkommensputsch“ und Grenzöffnung darf auch ein Einsatz der Armee zur Überwachung und Sicherung der Staatsgrenzen nicht länger tabu sein.

Eine ernsthafte Debatte über diese Fragen hat noch nicht einmal begonnen. Sie muß aber geführt werden, sollen deutsche Soldaten im Einsatz nicht weiter planlos zwischen allen Stühlen sitzen.