© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Drum prüfe, ob sie prüfen dürfen
„Verdachtsfall“: Die AfD verklagt den Verfassungsschutz
Christian Vollradt

Seit dieser Woche ist es amtlich: Die AfD hat beim Verwaltungsgericht in Köln zwei Klagen gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingereicht. Pünktlich zum Ende der einjährigen Frist will die Partei dem Inlandsnachrichtendienst damit die im Januar 2019 bekanntgebenen Einstufungen des „Flügels“ und ihrer Jugendorganisation Junge Alternative (JA) als sogenannte „rechtsextreme Verdachtsfälle“ untersagen lassen. Die Kölner Richter hatten bereits im Februar vergangenen Jahres einem Antrag der AfD stattgegeben und es der Behörde per einstweiliger Anordnung untersagt, die Partei weiterhin öffentlich als „Prüffall“ zu bezeichnen.

Nun gehen die Anwälte der AfD quasi zweigleisig gegen das BfV vor. Zum einen formal, indem sie argumentieren, daß es sich beim „Flügel“ um eine organisatorisch nicht klar definierte Gruppierung innerhalb der Partei handle. „Der ‘Flügel’ ist kein Verein oder eine offiziell anerkannte Teilorganisation der Klägerin. Beim ‘Flügel’ handelt es sich vielmehr um überhaupt keine Organisation, sondern allenfalls um eine vage Sammelbezeichnung für einzelne, wechselnde, nirgendwo definierte Mitglieder der Klägerin von unbekannter Anzahl und Identität.“ Während die AfD also gar nicht wisse, wer sich dem „Flügel“ zurechne, glaube der Verfassungsschutz hierüber mehr Informationen zu haben. Dabei arbeite er aber nicht mit belastbaren Fakten, sondern mit bloßen Vermutungen (etwa 7.000 Personen). 

Und das, obwohl die Folgen durchaus gravierend sind. Denn durch die Einordnung als Verdachtsfall dürfe der Verfassungsschutz den Flügel und seine Mitglieder mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwachen – bis hin zum Abschöpfen ihrer Kommunikation oder dem Einsatz von V-Leuten. Da aber nicht klar sei, wer genau Mitglied des Flügels sei und wer nicht, drohe diese Maßnahme nun allen Parteimitgliedern. „Die offizielle Handlung“ des Nachrichtendienstes sei „unbestreitbar geeignet, die Klägerin in der Achtung der Öffentlichkeit herabzusetzen“. Denn der Vorwurf an eine Partei, verfassungsfeindlich bzw. extremistisch zu sein, stelle „die politische Existenzberechtigung der Partei in Abrede“, indem er impliziere, daß die Partei verboten werden könne. „Wer einen solchen Vorwurf erhebt, muß sich also seiner Sache sicher sein“, heißt es in der Klageschrift. 

Doch auch inhaltlich positioniert sich die AfD gegen die Vorwürfe des Verfassungsschutzes. So habe die Parteijugend noch vor der öffentlichen Einstufung als Verdachtsfall verschiedene Maßnahmen eingeleitet, um dem entgegenzuwirken. Indem etwa der Landesverband Niedersachsen aufgelöst wurde, nachdem es dort zu Grenzüberschreitungen gekommen war (JF 33/18). Zudem gelte für die gesamte Partei – also auch für den „Flügel“ und die JA – eine zwölfseitige Unvereinbarkeitsliste. Für die Erstellung dieser Liste habe die AfD „proaktiv Berichte des Bundesamtes sowie der Landesbehörden für Verfassungsschutz ausgewertet und zugrunde gelegt.“ Insofern habe man „Sicherungsmechanismen installiert, um ‘extremen’ und vor allem ‘extremistischen’ Personen Einhalt gebieten zu können.“ Mit dieser Liste, betonen die Juristen der AfD, grenze sich die Partei „also nicht nur bewußt von extremistischen Organisationen ab, sondern positioniert sich auch eindeutig gegen diese Vereinigungen.“

Vehement wehren sich die Autoren der Klageschrift gegen die Unterstellung, die Partei vertrete einen rassistischen Volksbegriff. Die AfD „strebt keinen Ausschluß oder ähnliches von Personen aus dem ‘Staatsvolk’ aufgrund ihrer Ethnie an“, betonen sie. Eine bloße Ablehnung des „Multikulturalismus als Leitvorstellung“ könne man nicht als extremistisch bewerten. Es sei rechtlich zulässig, sich dafür einzusetzen, „daß eine bestehende Bevölkerungsstruktur im wesentlichen erhalten bleibt“, heißt es in der Klageschrift. Sogar wer radikale Zielvorstellungen realisieren wolle, müsse nicht befürchten, „daß er vom Verfassungsschutz beobachtet wird – solange er die Grundprinzipien der Verfassungsordnung anerkennt.“ Bei Äußerungen oder Handlungen einfacher Mitglieder sei „eine Zurechnung zudem nur dann möglich, wenn diese in einem politischen Kontext stehen und die Partei sie gebilligt oder geduldet“ habe.

Erst müssen die Richter die Klage annehmen

Bereits im November vergangenen Jahres hatte der Leiter der parteiinternen Arbeitsgruppe „Verfassungsschutz“, Roland Hartwig, eine Untersuchung des von der Partei beauftragten Staats- und Verfassungsrechtlers Dietrich Murswiek vorgestellt (JF 47/19). Er kam darin zum Ergebnis, daß „weniger als 20 Prozent der vom Verfassungsschutz als relevant“ eingestuften Aussagen der AfD tatsächlich „verfassungsschutzrechtlich relevant“ zu bewerten seien.

Eine der ersten Hürden, die die Klage der AfD nun nehmen muß, ist die Zulassung durch das Kölner Verwaltungsgericht. Ob das der Fall sein wird, läßt sich nicht mit Bestimmtheit vorhersagen. Folgen die Verwaltungsrichter der Argumentation, es handle sich um eine „öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art“? Viele Argumente in der Klageschrift beziehen sich nämlich auf Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts. Und selbst wenn die Klage angenommen wird: Wie lange wird sich das Verfahren wohl hinziehen? 

Das Damoklesschwert „Beobachtung durch den Verfassungsschutz“ schreckt insbesondere Beamte ab (Seite 4) und könnte zu einer Austrittswelle führen und so gar, wie manche Mitglieder befürchten, eine Radikalisierung bewirken. Dann würde es auch nichts nützen, wenn die AfD später, nach vielen Jahren und Instanzen, tatsächlich recht bekommen sollte.