© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

„Wir knicken nicht vor Peking ein“
Taiwan: Präsidentin Tsai Ing-wen wiedergewählt / Hongkong-Aufstand schadete der Kuomintang-Opposition / Angst vor feindlicher Übernahme
Marius R. Winter

Ihr Wahlsieg war deutlich: 57,1 Prozent stimmten am 11. Januar für die taiwanesische Präsidentin Tsai Ing-wen. Das war nur ein Prozentpunkt mehr als 2016, doch gleichzeitig stieg die Wahlbeteiligung von 66,3 auf 74,9 Prozent. Ihr Herausforderer, Han Kuo-yu von der bis zum Jahr 2000 dauerregierenden Staatspartei Kuomintang (KMT), kam nur auf 38,6 Prozent – und das, obwohl diesmal kein ernstzunehmender dritter Kandidat angetreten war.

Und die 63jährige richtete am Wahlabend eine klare Botschaft an die benachbarte große Volksrepublik: Das Wahlergebnis zeige, daß die Taiwaner das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ von KP- und Staatschef Xi Jinping ablehnten. „Ich hoffe, daß die Pekinger Regierung versteht, daß wir nicht vor Drohungen und Einschüchterungen einknicken werden“, so Tsai Ing-wen.

Eine entschlossene Patriotin im Amt bestätigt

Die Republik China auf Taiwan ist, obwohl faktisch unabhängig, seit 1971 kein UN-Mitglied mehr, da der damalige US-Präsident Richard Nixon das Pekinger Mao-Regime dem treuen kleinen Verbündeten vorzog. Die amerikanische Niederlage in Vietnam verhinderte die Kehrtwende allerdings nicht mehr. Unter Jimmy Carter brach Washington sogar die diplomatischen Kontakte ab und wandte sich Peking noch mehr zu. Für Taiwan hatte das dramatische Folgen: Das Land wird mittlerweile nur noch von 15 Staaten offiziell anerkannt.

Aber seit 1987 das 38 Jahre währende Kriegsrecht aufgehoben wurde und 1996 die ersten freien Wahlen stattfanden, hat sich der bis 1945 zu Japan gehörende Inselstaat zu einer lebendigen Demokratie entwickelt – und zu einem Tigerstaat: Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf lag 2019 mit 24.827 Dollar zweieinhalbmal höher als in der Volksrepublik (10.098 Dollar), und es ist nur noch wenig entfernt von Südkorea (31.430).

Tsai Ing-wen von der 1986 gegründeten Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) ist eine beeindruckende Persönlichkeit: eine entschlossene Patriotin, die ihr Land nach Kräften zu schützen versucht – und zwar gegen den übermächtigen Gegner, die Volksrepublik China, der Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet. Peking droht nicht nur mit militärischer Gewalt und einer feindlichen Übernahme der taiwanischen Wirtschaft – Manipulation und Beeinflussung von Medien, Politik und Wählern gehören auch zum KP-Repertoire. Ein kürzlich erlassenes Anti-Infiltrationsgesetz soll chinesische Übergriffe und Pekinger „Fake News“ verhindern. Auf das unter Donald Trump bekräftigte Schutzversprechen der USA wird Taiwan dennoch weiterhin existentiell angewiesen bleiben.

Obwohl ein Jahr jünger als die amtierende Präsidentin, ist der unterlegene KMT-Kandidat Han Kuo-yu, Bürgermeister der 2,8-Millionenstadt-Stadt Kaohsiung, Vertreter der „alten“ Elite von General und Präsident Tschiang Kai Schek, die sich mit zwei Millionen Anhängern 1949 vor den Kommunisten von Festlandschina nach Taiwan rettete. Unter dem 1975 verstorbenen Tschiang Kai Schek erhob die Regierung Taiwan jahrzehntelang Anspruch auf ganz China – was längst eine Ilussion ist. Han Kuo-yu und die KMT bekennen sich klar zum „einen China“, sie sind gegen eine Unabhängigkeit. Das erklärt, warum die KMT Peking lieber ist – der blutige chinesische Bürgerkrieg (1927–1949) ist schließlich lange her. Und Tschiang Kai Schek war ebenfalls kein westlicher Demokrat.

Han hat einen rasanten Aufstieg erlebt. 2018 gewann er überraschend die Bürgermeisterwahlen in Kaohsiung, der zweitgrößten Stadt des Landes, wobei er sich erfolgreich als „Politneuling“ gerierte – obwohl er bereits von 1993 bis 2002 einen Pralamentssitz innegehabt hatte. Entgegen seinem Versprechen, seine Amtszeit als Bürgermeister nicht vorzeitig zu beenden, ließ er sich im Juli 2019 zum KMT-Präsidentschaftskandidaten küren. Seitdem ist seine Popularität eingebrochen, was nicht nur auf Patzer bei öffentlichen Auftritten oder auf sein allzu einseitig auf Rotchina ausgerichtetes Wirtschaftskonzept zurückzuführen ist, sondern auch auf das sehr schlechte Bild, das seine Partei in den vergangenen Monaten abgab. 

Hier spielten die anhaltenden Proteste in Hongkong eine Hauptrolle, denn sie führten vielen chinafreundlichen Taiwanern drastisch vor Augen, was es bedeutet, von der KP Chinas beherrscht zu werden. Daß sich KMT-Politiker ähnlich über die Demonstranten äußerten („Chaoten, Randalierer“) wie die Pekinger Machthaber, schadete auch Han Kuo-yu – ebenso wie die Tatsache, daß die KMT einen Ex-General für die Parlamentswahl nominierte, dem enge Kontakte zur kommunistischen „Volksbefreiungsarmee“ nachgesagt werden.

Dennoch war der DPP-Sieg bei der gleichzeitig stattgefundenen Wahl zum 113sitzigem Legislativ-Yuan nicht so klar wie erwartet: Es gab nur noch 61 statt 68 Sitzen. Die KMT erreichte 38 – drei mehr als 2016. Und der große Abstand ist allein dem dominanten Mehrheitswahlrecht à la Japan zu verdanken: 79 Sitze werden direkt, nur 34 nach Parteistimmanteilen vergeben. Hier lag die DPP mit 33,9 Prozent nur noch 0,6 Prozentpunkte vor der KMT. Der DPP halfen aber die erklärten Unabhängigkeitsbefürworter: Die Wähler der Volkspartei (TPP/11,2 Prozent; gegründet 2019 von Ko Wen-je, Bürgermeister der Hauptstadt Taipeh) und der New Power Party (NPP/7,8 Prozent) stimmten in den Direktwahlkreisen immer gegen die „Peking-treue“ KMT.

Der Metal-Musiker und NPP-Mitgründer Freddy Lim (JF 3/19) hat seine Partei übrigens vor einem halben Jahr verlassen. Die NPP-Mehrheit forderte einen eigenen Präsidentschaftskandidaten, während Lim aus „Staatsräson“ für Tsai-Ing-wen votierte. Da er zudem wieder eine Absprache mit der DPP traf, konnte er nun als unabhängiger Abgeordneter sein Parlamentsdirektmandat gegen einen KMT-Mann verteidigen.