© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Nur mal kurz die Welt retten
Libyen-Krise: Die deutsche Regierung will im internationalen Geschehen mehr mitmischen / Multilateralismus ist die Leitlinie des „Berliner Prozesses“
Curd-Torsten Weick

Bundesaußenminister Heiko Maas will keinen Zweifel aufkommen lassen: „Deutsche Außenpolitik ist multilaterale Außenpolitik.“ Nur gemeinsam könne man die aktuellen Herausforderungen meistern, resümierte der SPD-Politiker Ende vergangener Woche über das erste Jahr der deutschen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat. „Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel, Migration“ seien alles Themen, die im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos seien. Themen, die eine „grenzenlose, eine gemeinsame, eine multilaterale Antwort“ bräuchten.

Deutschland habe „wichtige Themen vorangebracht“, ob im „Kampf gegen sexualisierte Gewalt oder beim Thema Abrüstung“. Im zweiten Jahr stünden nun „Abrüstung, Krisenprävention und der Erhalt der internationalen Ordnung“ im Vordergrund. Bereits zum sechsten Mal übernehme Deutschland als nicht-ständiges Mitglied im Sicherheitsrat „besondere Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Welt und für die multilaterale Weltordnung“.

Der „Einsatz für den Multilateralismus“ sei neben dem „souveränen Europa“, der „transatlantischen Partnerschaft“, dem „Engagement für Frieden und Sicherheit“ sowie der „Förderung von Demokratie und Menschenrechten“ eine der vier „Leitplanken deutscher Außenpolitik“.

Doch kann das von Maas vielfach beschworene „Teamplay“ alles sein? „Wir haben keine Angst davor, daß Deutschland die Führung übernimmt, sondern daß es sie nicht übernimmt“, faßte Ivan Krastev, Vorsitzender der unabhängigen Denkfabrik „Centre for Liberal Strategies“ in Sofia, die Befürchtungen Osteuropas zusammen.

Deutschland habe nicht verstanden, wie sehr sich die Welt verändert habe, und halte zu stark am Status quo fest, schrieb der Bulgare im März 2019 auf der 10. „Denk ich an Deutschland-Konferenz“ der Alfred-Herrhausen-Gesellschaft und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung dem Auswärtigen Amt ins Stammbuch. 

Als hätte er sich dies auf die Fahnen geschrieben, ging der deutsche Botschafter in Libyen, Oliver Owcza, am 11. September 2019 via Twitter überraschend in die Offensive: Besorgt über die Situation in dem nordafrikanischen Land teile Deutschland die Ansicht vieler, daß ein erneutes Bemühen um die Stabilisierung notwendig sei. Aufgrund dessen habe Deutschland, aufbauend auf dem Drei-Stufen-Plan des UN-Libyen- Sonderbeauftragten Ghassan Salameh, einen „Konsultationsprozeß mit wichtigen internationalen Partnern eingeleitet“. Bei ausreichenden Vorbereitungsarbeiten könnten diese Bemühungen im Herbst zu einem bedeutenden internationalen Ereignis führen, so der Diplomat.

Maas stellt außenpolitische Leitplanken auf

Eine Woche später bestätigte die Sprecherin des Auswärtigen Amts (AA), Maria Adebahr, daß Deutschland einen Konsultationsmechanismus ins Leben gerufen habe. Im Gegensatz zu Owcza wollte Adebahr „keine Zeitlinie und kein konkretes Datum“ für das angedachte Libyen-Gipfeltreffen in Berlin ankündigen. Dafür sei es zu früh. „Sie sehen uns aber arbeitswillig und mutig, und wir werden weiter in das Thema investieren“, betonte die AA-Sprecherin.

Ein heikles Unterfangen, das fortan unter dem Negriff „Berliner Prozeß“ firmiert. Bereits im September 2017 hatte Salameh seinen Aktionsplan vorgestellt, der das innenpolitische Patt in Libyen auflösen und eine inklusive politische Lösung der Konflikte herbeiführen sollte. Hierzu gehörte eine Ergänzung des Libyschen Politischen Abkommens, die Durchführung einer Nationalkonferenz, die Annahme eines Wahlgesetzes und einer Verfassung und schließlich Parlaments- und Präsidentenwahlen. Doch Versuche von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (Konferenz in Paris, Mai 2018) und von Italiens Regierungschef Giuseppe Conte (Konferenz in Palermo, November 2018), eine politische Lösung des Konfliktes einzuleiten, scheiterten, wie zuletzt ein Treffen zwischen Khalifa Haftar, Oberkommandeur der Tobruker Gegenregierung und Ministerpräsident Fayiz as-Sarradsch in Tripolis in Abu Dhabi (Februar 2019). Nicht einmal die Terminierung der Nationalen Konferenz für Mitte April 2019 gelang.

Nun will Berlin Frieden bringen. „Mit sehr großer Sorge aber blicken wir nach Libyen. Welche schrecklichen Entwicklungen mit dem andauernden Konflikt einhergehen, hat kürzlich der fürchterliche Angriff auf ein Lager mit afrikanischen Flüchtlingen und Migranten gezeigt, der zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert hat“, betonte Bundeskanzlerin Merkel beim Jahresempfang für das Diplomatische Corps am 9. Juli 2019 auf Schloß Meseberg. Vor diesem Hintergrund unterstütze Deutschland die Bemühungen der Vereinten Nationen für einen Waffenstillstand „ohne Vorbedingungen sowie für den Wiedereinstieg in einen politischen Prozeß“, so die CDU-Politikerin weiter. „Wir müssen alles daransetzen, daß es nicht eine Entwicklung gibt, wie wir sie nun seit Jahren in Syrien sehen.“

Doch die Umsetzung des „Berliner Prozesses“ offenbarte Mängel. Zum Beispiel die einseitige Fixierung auf den von der UN anerkannten und militärisch von Ankara unterstützten Ministerpräsidenten Sarradsch. Anfang Mai 2019 empfing Merkel Sarradsch zu einem Gespräch im Bundeskanzleramt. Bei dem Treffen ging es um die militärische Offensive durch Haftars Libysche Nationalarmee.

Hoffen auf Haftars „unvermeidlichen Rückzug“

Ende Oktober 2019 war Libyen erste Station auf Außenminister Maas’ Nord­afrikareise. Der SPD-Politiker führte dabei nach Angaben des AA „Gespräche mit zentralen politischen Akteuren“. So mit Sarradsch sowie mit dem UN-Sondergesandten Ghassan Salamé. Maas’ Fazit: „Nur durch einen politischen Prozeß im Rahmen der Vereinten Nationen kann die aktuelle Krise bewältigt werden“. Doch kurz vor seiner Abreise dann das Drama am Flughafen von Zuwara: Sicherheitskräfte unterbrachen eine Pressekonferenz mit Maas, nachdem ein Flugzeug, von dem sie befürchteten, daß es zu Haftars Streitkräften gehörte, das Gelände überflogen hatte.

Am 11. Dezember, wieder in Berlin, unterstrich die AA-Sprecherin, daß es am Vortag das fünfte Treffen im Rahmen des „Berliner Prozesses“ auf hoher Beamten­ebene gegeben habe. Die Bundesregierung sei bei diesem Treffen ein „gutes Stück vorangekommen“. Berlin wolle „weiter konstruktiv daran arbeiten, geeignete Rahmenbedingungen für die Unterstützung des UN-Sondergesandten Salamé und auch für das Vorankommen in einem innerlibyschen Prozeß zu schaffen“.

Angesichts der Zuspitzung der Lage durch eine Offensive von Haftars Truppen zeigte sich Adebahr vor der Presse dann eher weniger informiert: „Wir haben die Pressemeldungen gesehen, daß das Kabinett von Sarradsch das Abkommen mit der Türkei offenbar in Kraft gesetzt hat. Uns sind aber über diese Pressemeldungen hinaus keine weiteren Fakten dazu bekannt“, erklärte sie am 20. Dezember, nicht ohne die Dynamik des „Berliner Prozesses“ zu loben. „Daß die Lage in Libyen schwierig ist, sehen wir, denke ich, alle. Insofern ist es uns ein Anliegen, diesen Prozeß fortzuführen, weil wir der Überzeugung sind, daß er politisch gelöst werden sollte. Wir rufen alle Beteiligten dazu auf, Waffenembargo und Waffenstillstand einzuhalten.“

Eine Dynamik, die Wolfram Lacher, Libyen-Fachmann der Stiftung Wissenschaft und Politik, nicht sieht. „Die Einleitung des ‘Berlin-Prozesses’ basierte auf der Annahme, daß Haftars ausländische Unterstützer nach monatelangem Krieg zu dem Schluß gekommen waren, daß ein militärischer Sieg unrealistisch sei und sie daher zu Verhandlungen bereit sein würden“, resümierte Lacher. Diese Annahme sei „falsch“ gewesen, wie nicht nur die „Ankunft russischer Söldner“ seit September zeige. „Auch Frankreich, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate scheinen die Verhandlungen lediglich als einen Schritt zur Machtergreifung Haf­tars zu sehen.“ Lachers Fazit im November 2019: Die „politische Unterstützung Frankreichs für den Krieg Haftars“ schade „eindeutig den europäischen Interessen“.

Außenminister Jean-Yves Le Drian hatte bereits im Mai gegenüber dem Figaro ähnliche Vorwürfe zurückgewiesen. Wichtigstes Ziel Frankreichs in der Region sei es, den Terrorismus zu bekämpfen. Schon während der französischen Operation in Mali im Jahr 2013 habe man festgestellt, daß die meisten Waffen aus Libyen gekommen seien und viele Gruppen – angefangen bei der Terrorgruppe Al-Kaida im Islamischen Maghreb (AQIM) – dort Stützpunkte hätten. Auch habe er bei einem privaten Treffen mit Feldmarschall Haftar in Bengasi am 19. März 2019 in allen Gesprächen an die Notwendigkeit einer politischen Lösung erinnert.

„Es stimmt, daß wir glauben, daß er Teil der Lösung ist“, erklärte Le Drian und unterstrich am 5. Januar nochmals die Sorge Frankreichs angesichts der Gefahr einer Eskalation im Zusammenhang mit der „zunehmenden ausländischen militärischen Einmischung“ in Libyen. „Frankreich weist erneut darauf hin, daß der internationale Konsens auf der Berliner Konferenz gestärkt werden muß, um einen Waffenstillstand zu erreichen und die Wiederaufnahme des innerlibyschen Dialogs zu ermöglichen.“

Zwei Tage später ließ Außenminister Maas im Beisein seiner italienischen, britischen und französischen Amtskollegen und dem EU-Außenbeauftragten verlauten: „Wir möchten Länder, die in Libyen Einfluß nehmen, in die Pflicht nehmen, einen Waffenstillstand und das Waffenembargo mitzutragen.“ Parallel dazu stellte Maas erneut ein baldiges Gipfeltreffen in Berlin zur Libyenkrise in Aussicht. Libyens Regierungschef Sarradsch habe bei Gesprächen in Brüssel seine Unterstützung für den „Berliner Prozeß“ erklärt.

Anders sieht das Salah el-Bakkoush. Der ehemalige leitende Berater des Hohen Staatsrats twitterte dazu lapidar: Das Lob für den „Berlin-Prozeß“ bestätige nur, daß die EU, während „Libyer getötet, verstümmelt und aus ihren Häusern vertrieben“ werden, auf einen „angeblich unvermeidlichen Haftar-Sieg wartet“.

Kurz darauf lehnte General Khalifa Haftar einen von Rußland und der Türkei geforderten Waffenstillstand ab. „Unser Kampf gegen terroristische Organisationen, die Tripolis eingenommen haben und von einigen Ländern unterstützt werden, wird bis zum Ende weitergehen“, erklärte Miliz-Sprecher Ahmed al-Mismari. Am Sonntag morgen machte Haftar erst einmal einen Rückzug und akzeptierte dann doch eine Waffenruhe.  Am Motag morgen reisten Sarradsch und Haftar allerdings nicht nach Berlin, sonder nach Moskau.