© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Unbequeme Möbel steigern die geistige Produktivität
Goethes Betriebsgeheimnis
(dg)

An einen „sehr angenehmen Eindruck“ erinnerte sich Johann Peter Eckermann, den er empfangen habe, als er im Juni 1823 Goethes Haus am Weimarer Frauenplan zum ersten Mal betrat. Ohne glänzend zu sein, sei doch alles „höchst edel und einfach“ gewesen. Solche „Einfachheit“ war der 1792 in Winsen an der Luhe geborene, sich bei Goethe um einen Sekretärsposten bewerbende  Autodidakt und Gelegenheitsdichter gewohnt. Nur sei es keine „edle Einfachheit“ gewesen, wie die Bochumer Germanistin Natalie Binczek betont (Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 3/2019), sondern äußerste Dürftigkeit, die Kindheit und Jugend Eckermanns geprägt hatte, der bildungsfern aufwuchs als Sohn eines Hausierers, dessen größter Reichtum eine Kuh war. Mit dem Kontrast zwischen jener kümmerlichen Hütte seiner Herkunft und dem herrschaftlichen Haus des Dichters, das bis zum Tod Goethes am 22. März 1832 Eckermanns Arbeitsplatz blieb, wählt Binczek einen ungewöhnlichen Zugang zu Eckermanns in den Kanon der Weltliteratur eingegangenen „Gesprächen mit Goethe“. „Sofa, Tisch und Stuhl“, die im Text immer wieder erwähnten, von der Forschung nie beachteten Möbel des Geheimrats, würden für „höchste Aktivität“ in seiner Weimarer Dichterwerkstatt keine geringe Rolle spielen. So habe Goethe etwa mit der Klage über die Fehlinvestition für einen bequemen, aber untauglichen Lehnstuhl Eckermann ein Betriebsgeheimnis verraten: die grundsätzliche Ablehnung von „Bequemlichkeit“. „Prächtige Zimmer und elegante Hausgeräte“ hemmten die geistige Produktivität und seien „etwas für Leute, die keine Gedanken haben und haben mögen“. 


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