© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Zeitschriftenkritik: Historische Urteilskraft
Koloniale Vergangenheitsbewältigung
Werner Olles

Die erste Ausgabe des über 100 Seiten starken Magazins des Deutschen Historischen Museums Historische Urteilskraft befaßt sich in ihrem Titelthema mit den Kulturgütern, die während der Kolonialzeit zwischen 1894 und 1915 von Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, ins Kaiserreich verbracht wurden, um hier in Museen und Ausstellungen gezeigt zu werden. In der Zeit des Kolonialismus eine durchaus übliche Sache, allerdings ist es auch verständlich, daß die inzwischen selbständig gewordenen ehemaligen Kolonien ihre Kulturschätze wieder zurückhaben wollen. Das geht in der Regel nicht ohne zähe Verhandlungen und Friktionen, Frankreich weigert sich beispielsweise die ins Mutterland überführten Kulturgüter zurückzugeben. Deutsche Museen sind dagegen verhandlungsbereit, auch wenn die Trennung von Kulturschätzen, die inzwischen über hundert Jahre in ihrem Besitz sind, schwer fällt.

Neben den kolonialen Objekten geht es aber auch um Grundsätzliches. War die Niederschlagung des „Herero-Aufstandes“ 1904 ein Völkermord? Vorausgegangen waren immerhin Überfälle auf Farmen und Handelsstationen, bei denen deutsche Siedler, auch Frauen und Kinder, unterschiedslos ermordet wurden. Raphael Gross, Direktor des deutschen Historischen Museums und vormals Direktor des Jüdischen Museums und des Fritz-Bauer-Instituts in Frankfurt am Main, läßt bereits in seiner Einleitung daran keinen Zweifel. Tatsächlich spricht das Auswärtige Amt von „Völkermord“, Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) von „Greueltaten“, während der deutsche Botschafter in Namibia einen „Genozid“ erwähnt, „der Gegenstand eines Verhandlungsprozesses (ist)“. Ruprecht Polenz, „Sondergesandter für die deutsch-namibische Vergangenheitsbewältigung“ und ehemaliger CDU-Generalsekretär, ist mit seinem Urteil bereits fertig: „Es ist ein Völkermord, da gibt es nichts mehr zu verhandeln, das ist Übereinstimmung.“ Das ist es unter Historikern zwar keineswegs, aber Polenz läßt sich nicht beirren und plädiert dafür, sich an der „Landreform“ in Namibia zu beteiligen, die auf der Basis eines staatlichen Vorkaufsrechts basiert. Dies bedeutet jedoch nichts anderes als eine Quasi-Enteignung der deutschen Farmer. Diese Zwangsmaßnahmen sollen laut Polenz „von deutscher Seite aus auch finanziell unterstützt werden“.

Gerhard Scheit tadelt in seinem Beitrag „Weltmarkt und Weltverschwörung“ den Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke, da dieser in seinem Buch eine „raumorientierte Wirtschaftspolitik“, „wirtschaftsouveräne Staaten“, ein „Investitionsverbot raumfremden Kapitals“ und ein „Migrationsverbot raumfremder Bevölkerungen“ ins Gespräch bringe. Damit wandele er auf den Spuren Carl Schmitts und dessen „Interventionsverbot raumfremder Mächte“ und sei eine „erste Form der Großraumtheorie“. Große Güte!

Vielleicht sollte sich das Magazin der Einfachheit halber in „Historische Flachheit“ umbenennen.

Kontakt: Deutsches Historisches Museum, Unter den Linden 2, 10117 Berlin. Das Einzelheft kostet 10 Euro, erhältlich unter verkauf@dhm.de oder im Buchhandel.  www.dhm.de