© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Mut zur Peinlichkeit
Kino I: Die Verfilmung des Aufstiegs von Udo Lindenberg spiegelt bundesdeutsche Zeitgeschichte
Dietmar Mehrens

In Fällen, wo das reale Vorbild für die Verfilmung eines Lebens noch nicht das Zeitliche gesegnet hat, ist immer die Gefahr groß, daß das Gesamtbild aufgehübscht wird und die eher unerfreulichen Seiten dezent ausgeblendet bleiben. Dieser Gefahr ist die Filmbiographie „Lindenberg! Mach dein Ding“ von Hermine Huntgeburth eindeutig nicht erlegen. Das liegt ganz ohne Frage an Udo Lindenberg selbst, dem man sicherlich manches vorwerfen kann, aber extrem ausgeprägte Eitelkeit eher nicht. Das zeigt auch das bereits im November bei Edel-Books erschienene gleichnamige Buch zum Film, das bisher unveröffentlichte Privatfotos mit Filmbildern mischt und sogar Aufnahmen aus Libyen enthält.

In der libyschen Wüste beginnt auch der Lindenberg-Film. Die erste Einstellung zeigt einen erschöpften Musiker unter gnadenloser Wüstensonne, ein geschickter Kunstgriff von Regisseurin Huntgeburth („Effi Briest“), der zeigt, daß es hier um einen Musiker geht, bei dem das Extravagante und Unerwartete Programm ist. Mehr aus einer Verlegenheit heraus war Lindenberg im zarten Alter von siebzehn Jahren bei den US-Streitkräften in Tripolis im Einsatz. Die Amerikaner unterhielten dort eine Luftwaffenbasis. Lindenbergs Jazz-Band sorgte für die Unterhaltung der Soldaten. Als Gage gab es bescheidene 200 Dollar im Monat.

Aller Anfang ist schwer, doch schon in Libyen galt: „Ich hab’ niemals dran gezweifelt, daß wir das überstehen. Augen zu und durch – wir kriegen das hin.“ So lautet eine Textzeile aus Lindenbergs jüngstem Musikvideo, das auch Bestandteil des Films ist. Seit Libyen ist viel passiert: Dreieinhalb Stunden lang stand der damals 72jährige im Juli 2018 für seinen zweiten „MTV Unplugged“-Konzertmitschnitt in Hamburg auf der Bühne und ließ sich feiern. Niemals dran gezweifelt? Im Rückblick ist das immer leicht gesagt. Tatsächlich sah es im Leben der Rocklegende oft nicht so aus, als ob er es überstehen und hinbekommen würde. Mit Grausen erinnert sich der Fan an Lindenbergs Zusammenbruch ausgerechnet im Jahr des Mauerfalls 1989, den der Panikrocker mit „Sonderzug nach Pankow“ und „Mädchen aus Ost-Berlin“ mit herbeigesungen hatte.

Schlagzeuger im Hamburger Rotlichtviertel

Auch die Anfänge im westfälischen Gronau ließen keine großen Sprünge erwarten. „Wir Lindenbergs werden Klempner und sonst nichts“, erklärt der oft betrunkene und selten zu Motivationsspritzen aufgelegte Vater (Charly Hübner). Doch als er im Kino „Die Glenn Miller Story“ (1954) mit James Stewart sieht, ist für den Jungen klar: „Ich komm’ mal ganz groß raus.“

In Gronau himmelt er auch eine junge Turmspringerin an, das reale Vorbild für seine Ballade „Cello“. Ein Cello, so Udo später, als die Liebelei längst passé ist, habe sich musikalisch besser umsetzen lassen als der Wassersport.

Mit einem gehörigen Maß Mut zur Peinlichkeit verkörpert der erst 23 Jahre alte Theater- und TV-Mime Jan Bülow die Deutschrock-Legende auf ihrem fettnäpfchengesäumten Weg nach oben. In Hamburgs Rotlichtviertel versucht der junge Mann sich an der Seite seines Kumpels Steffi (Max von der Groeben) als Schlagzeuger. Viel Zählbares kommt nicht dabei heraus. Stattdessen: Abhängigkeiten und Affären in der Hamburger Halbwelt. Die bittere Bilanz der verkannten Genies: „Realität ist nur ’ne Illusion, die sich durch Mangel an Alkohol einstellt.“

Schließlich schlittert der mäßig erfolgreiche Kiez-Trommler in eine unglückliche Ost-West-Liebesgeschichte mit Petra (Saskia Rosendahl). Die gibt ihm zwar den Laufpaß, aber auch die Inspiration zu einem seiner ersten großen Hits: „Mädchen aus Ost-Berlin“.

Wegbereiter für deutsche Rockmusik  

Mit regelmäßigen Auftritten im legendären Onkel Pö und der Entdeckung durch die Teldec kommt die Wende. Den Mann von der Plattenfirma verkörpert, passend zum Haupthandlungsort Hamburg, Detlev Buck, ein echtes norddeutsches Urgestein, das sichtlich Spaß an seiner Rolle hat. Als bärbeißiger Geschäftsmann in der durchtriebenen Musikbranche findet er in Lindenberg einen mindestens ebenbürtigen Verhandlungspartner. Nachdem die Teldec die Langspielplatte „Alles klar auf der Andrea Doria“ herausgebracht hat, endet 1973 die Zeit im Boheme-Prekariat – und nach fast zweieinhalb Stunden auch der Film. Lindenberg hat in die Erfolgsspur gefunden. Daß es danach hinterm Horizont noch sehr viel weiter ging, ist zwar bekannt, muß aber, um den Rahmen nicht zu sprengen, anderswo erzählt werden.

Udo Lindenbergs größtes Verdienst – und ein wichtiges Subthema des Films – war sein Widerstand gegen englische Liedtexte. Der Rocker und sein Panik-Orchester hatten zwar keine Lust auf Schlager, aber als man ihm in typischer Achtundsechziger-Engstirnigkeit einzureden versucht, Rockmusik sei in der „Sprache der Täter“ nicht möglich, bleibt er stur. „Die Nazis haben uns die Sprache geklaut“, hält ihm ein Bandkollege vor. „Dann klau’n wir sie uns eben wieder zurück“, kontert Udo – und wird zum Wegbereiter für Rock in deutscher Sprache.

Kinostart ist am 16. Januar  www.lindenberg-film.de