© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Sozialistisch ist schlimmer als autoritär
Grenzgänger rechten Denkens, Teil 2: Friedrich August von Hayek, ein liberaler Kritiker des Liberalismus und des Nationalsozialismus
Wolfram Ender

Der Neoliberale Friedrich August von Hayek ist einer der weltweit bedeutendsten Theoretiker einer liberalen Wirtschaftsordnung, wie auch der ihm 1974 verliehene Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften belegt. Auch Hayek verdient es, in der Reihe der Autoren untersucht zu werden, die anhand der zeitgenössischen Schriften der Weimarer Republik kritisch gegenüberstanden, aber gleichzeitig in geistiger Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus standen.

Heute vorwiegend als Wirtschaftstheoretiker verehrt, ist Hayek auch einer der hervorragenden politischen Denker des 20. Jahrhunderts. Auch er, enttäuscht vom Scheitern der Weimarer Republik, versuchte, den Nationalsozialismus aus zeitgenössischer Sicht zu erklären. Um diese heute weniger beachtete NS-Deutung Hayeks, die auf einer eindeutigen Ablehnung des Nationalsozialismus basiert, nicht um eine Würdigung seines Gesamtwerks, soll es im Folgenden gehen. 

Hayek, 1899 in Wien geboren, verstarb nach einer internationalen wissenschaftlichen Karriere (Wien, 1931 London School of Economics, 1950 Chicago, 1962 Freiburg, 1969 Salzburg) 1922 in Freiburg. Während Hayek, der erste Impulse der Selbstkritik des Liberalismus setzt, sich in seinem übrigen Werk ökonomischen Fragen und dem Problem der Freiheit widmet, die er von ökonomischen Voraussetzungen (freier Markt) abhängig macht, ist sein politischstes Buch „Der Weg zur Knechtschaft“, weltweit bekannt und auch Nichtökonomen ein Begriff. Es erschien zuerst 1944 in englischer Sprache, ein Jahr später auf deutsch, wurde in zehn Sprachen übersetzt und erlebte bis zur Taschenbuchausgabe 1976 mehrere Neuauflagen. Hayek will ein „politisches Buch“ schreiben, ist sich aber unschlüssig, ob die Politik oder die Wirtschaft den Primat habe: Bald sieht Hayek in der „Freiheit der Wirtschaft“ die Voraussetzung für die politische Freiheit, bald ist die freie Wirtschaft ein „Nebenprodukt“ politischer Freiheit. Sicher ist jedenfalls, daß Hayeks Werk bis in die bundesdeutschen Wahlkämpfe, die der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß 1980 unter Berufung auf Hayek mit dem Slogan „Freiheit statt Sozialismus“ führte, politische Wirkung gezeitigt hat. 

Für Hayek ist „Sozialismus“ der verallgemeinernde Oberbegriff. Dabei kehrt er bewußt die marxistische Faschismusdeutung einfach gegen den Marxismus. Nicht der Kapitalismus sei mit dem Faschismus identisch, sondern Nationalsozialismus und Faschismus seien die „zwangsläufige Folge“ des Sozialismus, den er sogar als „Hauptfeind“ tituliert. Es handele sich nur um „rivalisierende sozialistische Parteien“, um „verschiedene Spielarten des Kollektivismus“.

Hayek betont immer wieder, daß es den „amoralischen Machttrieb“ des Totalitarismus keineswegs nur in Deutschland, sondern überall gebe und auch nach dem Krieg geben werde. Erstaunlicherweise sieht er England, an dessen Adresse das Buch als Warnung gerichtet ist, besonders gefährdet. Keineswegs anerkennt er in der englischen liberal-demokratischen Tradition eine Alternative zum NS-System: England sei im Begriff, die schädliche Entwicklung, die Deutschland, Italien und Rußland schon hinter sich hätten, nur langsamer nachzuholen.

Nachdem Hayek den Nationalsozialismus so fest in die europäische Umwelt und Geschichte eingebettet, damit aber von seinen spezifisch deutschen Voraussetzungen gelöst hat, spricht er unvermittelt von einem „krassen Bruch“ mit der abendländischen Kultur. Zugleich deutet sich auch bei ihm die Unterschätzung des Ideologischen aus ökonomischer Sicht an: Nur die Methoden des Nationalsozialismus seien schlecht, nicht die Ziele. Nicht die „Brutalität“ mache seine kriegerische Expansion „notwendig“, sondern sein planender Eingriff in die Wirtschaft. Nur der internationale Freihandel könne also nach dem Krieg die Entstehung „von vielen national-sozialistischen Staaten“ verhindern.

Seine verallgemeinernde Deutung hindert Hayek nicht daran, gute Beobachtungen zur antiwestlichen preußisch-deutschen Sonderentwicklung und vor allem zur typisch deutschen Tradition eines konservativ-antimarxistischen „Mittelstandssozialismus“ zu machen. Doch kritisiert er an Preußen nicht den Militarismus, sondern Planung und „Sozialismus“. Dem marxistischen Sozialismus konzediert er durchaus, daß er es „aufrichtig“ mit der Freiheit meine und einen „liberalen Gehalt“ habe, andererseits reiht Hayek dann Arbeiterführer wie Ferdinand Lassalle oder Demokraten wie Walther Rathenau – er habe eine „totalitäre Wirtschaftspolitik“ vertreten – und Friedrich Naumann in eine Ahnenreihe Hitlers. Das gleiche gilt, wenn er trotz ihres treffenden theoretischen Ansatzes Konservative von Spengler bis Jünger mit der irreführenden Begründung verteufelt, daß sie „eigentlich sozialistische Urheber“ hätten.

Mit der Demokratie geht Hayek hart ins Gericht. In Weimar sei der Liberalismus lange vor 1933 durch den diktatorischen Sozialismus vernichtet worden, Hitler sei „legal“ an die Macht gelangt. Im Widerspruch zu Karl Mannheim hält Hayek, soweit er überhaupt die Demokratie akzeptiert, diese für unvereinbar mit jeder Planwirtschaft. Sonst führe sie notwendig in die „plebiszitäre Diktatur“, könnte wie die „schlimmste Diktatur“ sein. Die politischen Systeme nach seinem ökonomischen Maßstab relativierend stellt er fest, ein „autokratisches Regiment“ könne oft mehr „kulturelle und geistige Freiheit“ bieten als der „Demokratismus“. Dabei sieht er Freiheit und „Rechtsstaat“ durch die sozialistische Forderung nach „Verteilungsgerechtigkeit“ bedroht.

Kritik eher gegen die Linke als die Rechte gerichtet

Sein gegenüber dem Altliberalen Ludwig Mises modifiziertes Liberalismuskonzept äußert sich in seiner Kritik am zu starren „Laissezfaire“. Er hält Eingriffe zugunsten des Wettbewerbs und für den Staat wettbewerbsfreie Sphären für nötig. Monopolen wie Gewerkschaften wirft er vor, zumindest ungewollt den Totalitarismus zu fördern. Insgesamt fällt an Hayek auf, daß er, der im liberalen Lager weiter rechts steht, seine Kritik mittels des Begriffes des „Sozialismus“ eher gegen die Linke als die Rechte richtet.

Hayek hat nach dem Krieg in seinem politischen Grundwerk „Die Verfassung der Freiheit“ Rousseau und die Französische Revolution kritisiert, welche in eine „totalitäre Demokratie“ münden könnte. Seinen positiven Liberalismusbegriff sah er indessen in der Amerikanischen Revolution und in der englischen Entwicklung verwirklicht.