© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Ist unser Kosmopolitismus genetisch bedingt?
Der britische Soziobiologe Edward Dutton versucht zu erklären, warum die Europäer ihre Grenzen öffneten
Martin Hans

Warum nahmen europäische Länder im Jahr 2015 die meisten Migranten auf, während sich arabische Staaten und Israel abschotteten – trotz kultureller und geographischer Nähe? Diese Frage ergründet der britische Anthropologe Edward Dutton in seinem Werk „Race Differences in Ethnocentrism“ und kommt zum Ergebnis, daß die Europäer kosmopolitischer seien als Araber, Nordafrikaner, Asiaten oder Juden.

Duttons Feder ist ein mutiges Buch entsprungen, das jeder lesen sollte, der die Migrationspolitik der Europäer verstehen möchte. Der promovierter Theologe, der seit 2012 zur biologischen Anthropologie von Religion forscht, ist Herausgeber der umstrittenen Fachzeitschrift Mankind Quarterly. Wissenschaftler im Umfeld dieses Journals argumentieren, daß genetische Vererbung eine zentrale Rolle spielt bei der Erklärung von menschlichem Verhalten und Charakter. So schreibt Dutton, daß Ethnozentrismus zu etwa fünfzig Prozent erblich sei.

Der Brite unterscheidet zwischen positivem und negativem Ethnozentrismus. Positiv bezieht sich auf den Stolz auf die eigene Gruppe und die Bereitschaft, Opfer für diese zu erbringen – zum Beispiel Patriotismus. Negativer Ethnozentrismus meint Vorurteile oder Ablehnung von Nicht-Gruppenmitgliedern, wie Gewalt gegen Ausländer oder Xenophobie.

Dutton untersuchte den World Value Survey von 2014 (zu deutsch: Weltweite Werte-Erhebung), an dem 57 Staaten teilnahmen. Die Teilnehmer wurden befragt, ob sie für ihr Land kämpfen würden, ob sie auf ihre Nationalität stolz seien und ob sie einen Migranten als Nachbar haben wollten. Ergebnis: Araber, Juden und Ostasiaten waren positiv und negativ ethnozentrischer als Europäer. Studien wiesen sogar nach, daß Asiaten bestimmte Gensequenzen öfter besitzen, die mit ethnozentrischem Verhalten einhergehen. 

Eine Erklärung für den europäischen Kosmopolitismus ist laut Dutton die „genetische Ähnlichkeitstheorie“ des Briten J. Philippe Rushton. Organismen kooperieren demnach intensiver miteinander, je genetisch ähnlicher sie sich sind. Menschen erkennen genetische Nähe anhand körperlicher oder psychischer Merkmale, die in großem Maß erblich sind. Zahlreiche Studien belegen diese Theorie: Freunde oder Lebenspartner ähneln sich am meisten bei stark erblichen Merkmalen wie Intelligenz. 

Ethnische Vielfalt verringert Konsens für Wohlfahrtsstaat

Ethnische Konflikte kommen in einem Land häufiger vor, je multiethnischer die Bevölkerung ist. Bürger unterstützen einen Wohlfahrtsstaat in geringerem Maß, wenn die ethnische Vielfalt zunimmt. Da Europäer einen vergleichsweise großen Genpool aufwiesen – die genetische Distanz zwischen einzelnen Europäern ist im Schnitt weit – kooperieren sie laut Dutton seltener miteinander, sind also weniger positiv ethnozentrisch.

Auch Fortpflanzungsstrategien beeinflussen ethnozentrisches Verhalten. Afrikaner, Araber und Südasiaten verfolgen eine sogenannte r-Strategie: Sie zeugen viel Nachwuchs, in den sie wenige Mittel investieren. Dies liegt an der warmen und kaum voraussagbaren Umwelt, in der sie den biologischen Evolutionsprozeß durchliefen. In einer anspruchsvollen und voraussagbaren Umwelt, in der alle Ressourcen erschlossen sind und kein Bevölkerungswachstum möglich ist, beginnen Individuen gegeneinander zu konkurrieren – evolutionsgeschichtlich zum Beispiel in Europa und Nord-asien. Europäer und Nordasiaten waren gezwungen, zu einer K-Strategie zu wechseln – wenig Nachwuchs, aber hohe Investition in die Kinder.

K-Strategen müssen in ihrer Gruppe kooperieren, um in der Kälte zu überleben. Sie sind positiv ethnozentrisch. Da Nordasiaten in einer kälteren und anspruchsvolleren Umwelt evolvierten, sind sie laut Dutton positiv ethnozentrischer als die Europäer. Araber neigen zu einer r-Strategie, tendierten aber wegen der Sitte, auch in der weiteren Familie zu heiraten, zum Ethnozentrismus. Diese Tradition verkleinere den Genpool und erhöhe das Vertrauen in muslimischen Gesellschaften. 

Eine weitere Ursache ist die frühe Industrialisierung Nordwesteuropas. Durch eine bessere Ernährung und medizinische Versorgung überlebten viele Kinder mit „tückischen“ Mutationen, erläutert Dutton. Da sich 84 Prozent des menschlichen Genoms auf das Gehirn bezogen, verursachten diese genetischen Mutationen nicht nur körperliche Leiden, sondern auch maladaptive Überzeugungen – wie Atheismus, Antinatalismus, extremer Altruismus oder geringer Ethnozentrismus. In vorindustriellen Zeiten wären Menschen mit diesen politisch eher linken Überzeugungen wegen ihrer Mutationen verstorben.

Die tückischen Mutationen sammelten sich von Generation zu Generation an: Je länger der natürliche Selektionsdruck nachgelassen habe, desto höher der Mutationsgrad einer Gruppe. Dieses sogenannte „Social epistasis amplification“-Modell – entwickelt vom britischen Evolutionspsychologen Michael Woodley of Menie – erkläre, warum die Nordwesteuropäer so wenig ethnozentrisch seien: Nordwesteuropa industrialisierte sich vor allen anderen Regionen der Welt, einschließlich Osteuropa. 

Streß, Religion, Alter und Intelligenz beeinflußten ethnozentrisches Verhalten ebenfalls. Intelligente und Alte seien weltbürgerlicher eingestellt, religiöse Menschen und Personen unter Streß seien dagegen ethnozentrisch. Die Europäer sind verhältnismäßig alt, intelligent, wenig religiös und stehen unter geringem Streß – all das treibe sie zum Kosmopolitismus.

Multikulti-Masseneinwanderung gleiche „dem Einführen wilder Tiere in einen Zoo voller gezähmter Geschöpfe“, schließt Dutton pessimistisch. Computermodelle zeigten, daß sich ethnozentrische Gruppen gegen kosmopolitische durchsetzten und diese dominierten. Historisch hätten sich die Europäer durch eine Genie-Strategie im Gruppenwettbewerb behauptet. Die vielen Genies kompensierten mit ihren Innovationen den vergleichsweise geringen Ethnozentrismus. Doch seit etwa 1850 würden die Europäer weniger ethnozentrisch, und die Genierate pro Kopf gehe zurück. Einziger Lichtblick für die Zukunft: Multiethnische Gesellschaften seien konfliktreicher und gestreßter, wodurch die Europäer wieder ethnozentrischer würden.

Edward Dutton: Race Differences in Ethnocentrism. Arktos Media Ltd., London 2019, gebunden, 278 Seiten, 33,50 Euro