© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Umwelt
Pariser Blob
Paul Leonhard

Wer in Paris weilt, sollte den Zoo besuchen. Dort ist gleich neben dem Schildkrötengehege der Blob zu sehen. Die neue Attraktion, die einem Kohlblatt ähnelt, ist nach einem außerirdischen Schleim aus einem US-Horrorfilm benannt, der alles auffrißt, was ihm in die Quere kommt. Das Pariser Wesen ist wählerischer. Es kann sich an seine Umgebung anpassen und weiß, bei welchen Materialien es sich lohnt, diese zu besetzen. Schließlich lebt es seit mindestens 500 Millionen Jahren auf der Erde. Der Blob hat kein Gehirn, kann aber interagieren und sogar aus einem Labyrinth herausfinden, wie japanische Forscher nachgewiesen haben. Es hat keinen Magen und kann trotzdem verdauen. „Dieses Lebewesen gehört zu den Mysterien der Natur“, sagt Bruno David, als Direktor des Pariser Naturkundemuseums auch für den Zoo zuständig. Der gelbe, schleimige Einzeller ist weder Tier noch Pflanze, dürfte aber Liebling der Queer-Bewegung werden. Schließlich ist er äußerst kreativ.

Über den Einzeller, der sich bewegen kann, staunen Zoobesucher wie Wissenschaftler.

Es gibt 720 Paarungstypen. Viele sind Zwischenformen von männlich oder weiblich. Überdies kann sich der Blob pro Stunde vier Zentimeter fortbewegen – und er hat bereits einen Fluchtversuch gestartet. Nachdem er Schimmel und Proteine in den ihm vorgesetzten Haferflocken und Pilzen verdaut hatte, verließ der hungrige Blob die Petrischale, um nach Eßbarem zu suchen. Das Wesen, das in der Natur auf altem feuchten Holz lebt, bildet ein mehr als einen Quadratmeter großes schleimiges Geflecht. Hat es Nahrung gefunden, bildet es sich wieder zurück. Über den Einzeller staunen Zoobesucher wie Wissenschaftler. „Es sieht aus wie ein Pilz, aber handelt wie ein Tier“, sagt David. Auch wenn der Blob ein Schleimpilz der Gattung Physarum polycephalum ist, hat der Zoo drei Gärtner mit seiner Pflege beauftragt – doch eine Pflanze ist es nicht.