© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/20 / 17. Januar 2020

Der Flaneur
Wiedersehen am Tresen
Gil Barkei

Vor einer studentisch aber eher klassisch geprägten Bar treffe ich zufällig auf eine alte Schulfreundin, die sich gerade eine Zigarette ansteckt: „Jahre nichts gehört!“ 

Wie sich beim gemeinsamen Hereingehen herausstellt, ist sie eine der Barkeeperinnen. Fachkundig erklärt sie mir den „Drink der Woche“ und die Zutaten und Zubereitungsmethoden der selbst hergestellten Gin- und Bitter-Infusionen.

Ist der Kurze aufs Haus für die alten oder die aktuellen Zeiten?

Wo und als was ich denn jetzt arbeite, lauten zwei der Standardfragen, die mich zwischen Mixbewegungen und der Aufnahme von Kundenbestellungen an meinem Tresenplatz erreichen. „Redakteur bei der Wochenzeitung JUNGEN FREIHEIT hier in Berlin“, antworte ich und stelle mich bereits, wie so oft an diesem Punkt, auf die folgende Diskussion samt den üblichen Vorwürfen ein. Schon einige Wochenendabende und Unterhaltungen waren nach solchen „Outings 2.0“ dahin und endeten im Streit. Doch der Aufprall bleibt aus, stattdessen verpufft meine innere Anspannung. „Ahh, ja kenne ich, folge ich auf Facebook“, sagt sie so unerwartet wie unaufgeregt, während sie ein Tablett eines Kellners mit gefüllten Gläsern zustellt. „Paar gute Artikel dabei.“ Es sei ja auch nicht mehr feierlich, was hier teilweise ablaufe. 

Unter dem gedämpften Licht der Thekenbeleuchtung folgt der Austausch ethanolschwangerer Anekdoten zu den Höhen und Tiefen der vergangenen Schul-, Ausbildungs- und Studienzeiten, die Neunziger, die Nuller Jahre und das Hier und Jetzt. 

Der Laden brummt. Gebrauchte Gläser werden durch frisch gemixte Kreationen ausgetauscht, aber zwischen dem Herumwirbeln mit Eiswürfeln, Shakern und Rührlöffeln macht meine alte Bekannte zwischendurch schnell zwei kleine Schnapsgläser voll und schiebt mir eines rüber. „Geht aufs Haus!“ zwinkert sie mir zu, und ich habe das Gefühl, daß der Kurze für die alten und aktuellen Zeiten gleichermaßen ist.