© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/20 / 24. Januar 2020

Grundgesetz für Gotteskrieger?
Verfassungsbeschwerde: Karlsruhe prüft, was der Bundesnachrichtendienst darf
Jörg Kürschner

Die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht über die Befugnisse des Bundesnachrichtendienstes (BND) war geprägt vom Spannungsverhältnis zwischen den Sicherheitsinteressen des Staates und der behaupteten Geltung des Grundgesetzes für Ausländer im Ausland. Ende April wird das Urteil des höchsten deutschen Gerichts über das BND-Gesetz erwartet. Bei mehr als 5.000 Verfassungsbeschwerden jährlich sind mündliche, zumal zweitägige Verhandlungen über die Klagen eher selten. Beobachter ziehen daraus den Schluß, das Gericht werde ein Grundsatzurteil fällen; zu Lasten des Auslandsnachrichtendienstes. Die intensiven Nachfragen der Richter und deren umfangreiche Verhandlungsgliederung verstärkten diesen Eindruck zusätzlich.

Es geht um die Frage, ob sich Ausländer im Ausland auf das deutsche Grundgesetz berufen können, wenn der BND ihre Kommunikation, also etwa Telefonate, E-Mails, Briefe, Chatnachrichten ohne Anlaß und Begründung überwacht. Gegen diese weitreichende Befugnis, Datenströme über Suchbegriffe, sogenannte Selektoren, zu filtern, haben die in Paris ansässige Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) sowie ausländische Journalisten Verfassungsbeschwerde erhoben. Die „globale Massenüberwachung“ höhle das deutsche Redaktionsgeheimnis aus, wenn etwa bei internationalen Recherchen Partnermedien abgehört werden, befürchtet Geschäftsführer Christian Mihr. Der Quellenschutz sei gefährdet, wenn der BND seine Erkenntnisse mit befreundeten Diensten austausche. Die Kläger berufen sich auf das Fernmeldegeheimnis und die Pressefreiheit des Grundgesetzes. Nach dem Wortlaut seien diese Rechte nicht auf Deutsche beschränkt.

Vertreter des BND und der Bundesregierung widersprachen einer weltweiten Geltung des Grundgesetzes für alle Ausländer. Das führe zu weit. Die Kommunikation etwa der Taliban, die deutsche Soldaten in Afghanistan angreifen, könne nicht von der deutschen Verfassung geschützt sein. Über die Konsequenzen einer solchen Rechtsauffassung müsse man sich im klaren sein, warnte der Bevollmächtigte der Regierung, Joachim Wieland.

Beweise können die        Kläger nicht vorlegen

Verwiesen wurde auch auf die Möglichkeit, Terroristen könnten sich zum Schutz Journalistenausweise besorgen. Die Berufsbezeichnung „Journalist“ sei nicht geschützt. Eine Beurteilung, ob die Argumentation alle Richter des Ersten Senats hat beeindrucken können, ist kaum möglich. Die Fragen der Senatsmitglieder sind meist neutral formuliert, lassen allenfalls Tendenzen erkennen.

Das Sicherheitsinteresse Deutschlands stand erwartungsgemäß im Mittelpunkt der Ausführungen von Kanzleramtschef Helge Braun (CDU). Informationen über den Irak oder die Straße von Hormus könnten über Krieg und Frieden entscheiden. „Wir brauchen ein eigenes Bild innerhalb weniger Stunden“. BND-Chef Bruno Kahl warnte, die Fernmeldeaufklärung sei wichtig in der Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten. Der BND müsse liefern, um selbst an Informationen zu kommen. Die strategische Fernmeldeaufklärung sei unverzichtbar, um den gesetzlichen Auftrag des Dienstes erfüllen zu können.

ROG stellte das Recht des BND auf Auslandsaufklärung grundsätzlich nicht in Frage, hält aber die Überwachung ohne jeden Verdacht für rechtswidrig. Prozeßvertreter Matthias Bäcker sagte, Journalisten dürften nicht überwacht werden, da sie ähnlich wie Geistliche oder Rechtsanwälte vertrauliche Gespräche führten. Würden sie angezapft, werde die Pressefreiheit verletzt. Er bezweifelte zudem, daß die Filterung abgehörter Kommunikation von Inländern und Ausländern funktioniere. Nachrichten, bei denen Deutsche beteiligt sein könnten, müßten ausgesondert werden, da sie gegenüber Ausländern erweiterte Rechte genießen, nämlich die Grundrechte. Ihre Überwachung ist nur sehr eingeschränkt möglich (G-10-Gesetz). Erst wenn eine Kommission dieser im Einzelfall zugestimmt hat, muß das Bundesinnenministerium den Lauschangriff noch formell anordnen. Danach kann der BND tätig werden.

Beweise, daß Journalisten zu Unrecht ausgespäht wurden, konnten die Kläger in Karlsruhe nicht vorlegen. Das BND-Gesetz war 2017 geändert worden, unter Zustimmung der späteren Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). Zuvor waren Einzelheiten über die Zusammenarbeit des BND mit dem amerikanischen Geheimdienst NSA bekannt geworden. Danach hatte auch der BND Journalisten angezapft. Medienberichten zufolge waren die BBC, mindestens ein Anschluß der New York Times in Afghanistan sowie der Nachrichtenagentur Reuters in Afghanistan, Pakistan und Nigeria betroffen. Es ist deshalb denkbar, daß das Bundesverfassungsgericht die Rechte der 6.500 BND-Mitarbeiter einschränkt. Ein Ende jeglicher Auslandsüberwachung durch den deutschen Nachrichtendienst gilt als ausgeschlossen.