© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/20 / 24. Januar 2020

„In anderen Ländern undenkbar“
Interview: Der frühere BND-Chef und Ex-Geheimdienstkoordinator August Hanning über den Rechtsstreit
Jörg Kürschner

Herr Dr. Hanning, das BND-Gesetz steht in Karlsruhe auf dem Prüfstand. Journalisten-Organisationen wollen das Recht des BND einschränken, die Kommunikation von Ausländern im Ausland zu überwachen. Befürchten Sie eine Beeinträchtigung unserer inneren und äußeren Sicherheit?

Hanning: Der BND ist eine wichtige Säule der deutschen Sicherheitsarchitektur. Die Funkaufklärung – in der Fachsprache Signal Intelligence – ist für die Arbeit des BND ein sehr wichtiges Beschaffungsinstrument. Kein Nachrichtendienst kann den folgenden Gesetzmäßigkeiten entrinnen: Je stärker die Möglichkeiten bei der Gewinnung von Informationen eingeschränkt werden, um so größer ist die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit. Und, je höher der Kontrollaufwand, um so geringer ist die Effizienz. Deshalb ist das Verfahren in Karlsruhe für unsere innere und äußere Sicherheit von erheblicher Bedeutung.

Die Beschwerdeführer rügen insbesondere, die anlaßlose Überwachung verstoße gegen das Grundgesetz (Fernmeldegeheimnis).

Hanning: Das Grundgesetz ist keine UN-Charta und sein Geltungsbereich ist nach meiner Ansicht auf das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Im Hinblick auf die „anlaßlose Erfassung“ gilt folgendes: In der Praxis können Sie als Nachrichtendienst nicht von vornherein erkennen, welche Kommunikation von Bedeutung ist. Dies ist in der Praxis eigentlich nur ein ganz minimaler Prozentsatz im Promillebereich. Nachrichtendienste stehen deshalb vor der Notwendigkeit, aus einer Vielzahl von Informationen die relevanten Erkenntnisse auszusondern: Die berühmten Stecknadeln im Heuhaufen zu finden. Dies setzt aber voraus, daß sie auf den „Heuhaufen“ Zugriff haben.

Können Sie umreißen, in welchen Bereichen während Ihrer Amtszeit durch BND-Aufklärung Gefahren von Menschen abgewendet werden konnten?

Hanning: Mit Hilfe der Funkaufklärung konnten zahlreiche Anschläge auf Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan verhindert werden. Der BND war maßgeblich daran beteiligt, daß die Lieferung von Komponenten zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen aus Deutschland aufgeklärt und verhindert werden konnte. Mit Hilfe der Funkaufklärung konnten auch Terroranschläge in Deutschland rechtzeitig entdeckt und verhindert werden.

Mußten Sie als BND-Präsident bei der Weitergabe von Erkenntnissen an die Bundesregierung abwägen zwischen Grundrechten des Einzelnen und den Sicherheitsinteressen des Staates?

Hanning: Nein, die Bundesregierung interessierte sich bei der Vorbereitung politischer Entscheidungen in aller Regel nicht für Einzelpersonen, Erkenntnisse über Einzelpersonen wurden – soweit deutsche Sicherheitsinteressen betroffen waren – direkt auf vertraulichem Weg der Bundeswehr oder den deutschen Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt. Innerhalb Deutschlands gelten dann im Umgang mit personenbezogenen Daten die deutschen Datenschutzgesetze.

„Reporter ohne Grenzen“ argumentiert, die Befugnisse des BND verletzten das Redaktionsgeheimnis, wenn der Dienst bei internationalen Recherchen ausländische Partnermedien abhört. Gilt das Grundgesetz auch für Ausländer im Ausland?

Hanning: Der BND interessiert sich bei der Gewinnung von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln nicht für die Arbeit oder redaktionelle Interna ausländischer Journalisten. Deren Ziel ist ja die Veröffentlichung ihrer Erkenntnisse und Berichte, die man dann aus offenen und frei zugänglichen Quellen erschließen kann.

Während der mündlichen Verhandlung hieß es von seiten des BND, wenn bei der „Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung“ Daten von Deutschen anfielen, würden diese aussortiert. Ist das technisch überhaupt möglich?

Hanning: Ja, dies ist ohne großen Aufwand möglich und wird auch praktiziert.

BND-Vertreter haben in Karlsruhe dargelegt, von rund 154.000 abgefangenen E-Mails, Telefonaten etc. seien nur etwa 260 relevant. Ein Sturm im Wasserglas?

Hanning: Nein, auch wenn die ausgefilterten Erkenntnisse zahlenmäßig gering erscheinen mögen, so können sie doch ganz wesentliche Erkenntnisse liefern.

Die Politik hat auf die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht eher verhalten reagiert. Auch von der Bundeskanzlerin war nichts zu hören, obwohl doch der BND dem Kanzleramt berichtet ...

Hanning: Ja, ich glaube, daß es bei diesem Verfahren um wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland geht, und ich hätte mir in einer Sicherheitslage, die sich sowohl innerhalb Deutschlands als auch weltweit eher negativ entwickelt, deutlichere Hinweise an das Bundesverfassungsgericht gewünscht. Im übrigen gilt: Auch im Bereich der Nachrichtendienste sind deutsche Alleingänge wenig hilfreich. Ein Verfahren, wie jetzt aktuell in Karlsruhe, wäre in anderen westlichen Ländern undenkbar. Wir Deutschen können nicht auf Dauer erwarten, daß andere Länder und Nachrichtendienste für uns die Hausaufgaben erledigen.






Dr. jur. August Hanning, Jahrgang 1946, war von 1998 bis 2005 Präsident des Bundesnachrichtendienstes und anschließend (bis 2009) Staatssekretär (parteilos) im Bundesinnenministerium.