© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/20 / 24. Januar 2020

Alles wie gehabt
Bürgermeisterwahl: Sachsens Kriminalitätshochburg Leipzig wird aller Voraussicht nach in SPD-Hand bleiben / CDU stellt schwachen Gegenkandidaten
Paul Leonhard

Leipzig, der mitteldeutsche Motor des Wirtschaftsaufschwungs, wird wohl auch die kommenden sieben Jahre von einem Oberbürgermeister mit SPD-Parteibuch regiert. Das legt eine repräsentative Umfrage nahe, die die Wiederwahl des amtierenden Stadtchefs, Burkhard Jung, prophezeit. Danach würde der Sozialdemokrat im ersten Wahlgang am 2. Februar 34 Prozent der Wählerstimmen erhalten, während sein ärgster Konkurrent, der sächsische Wissenschafts- und vormalige Justizminister Sebastian Gemkow (CDU), lediglich auf 20 Prozent kommt. Von den übrigen sechs Kandidaten würden lediglich noch Franziska Riekewald (Linke, 14 Prozent), Katharina Krefft (Grüne, 14 Prozent) und Christoph Neumann (AfD, 10 Prozent) zweistellige Ergebnisse erhalten. Im entscheidenden zweiten Wahlgang legen alle Szenarien einen Wahlsieg Jungs nahe.

Die mit mehr als 600.000 Einwohnern – mehr gab es in Leipzig nur 1930 – achtgrößte deutsche Stadt tickt munter links. Sie fühlt sich hip, cool und im Aufwärtstrend. Sie ist Fußballhochburg, Mittelpunkt einer eigenen Kunstszene, Hochschulstandort und politisch streng auf Linie. Im 70köpfigen Stadtrat sind seit den Kommunalwahlen 2019 Linke und Grüne mit jeweils 15 Stimmen am stärksten vertreten. Die CDU verlor sechs ihrer bis dahin 19 Sitze.

Hatte die Sachsen-Union in den vergangenen Jahren wenigstens gekämpft, um den Sozialdemokraten das Oberbürgermeisteramt abzujagen, so ist der gerade erst zum Wissenschaftsminister bestellte Gemkow ein schwacher Kandidat. Der 41jährige ist gebürtiger Leipziger, und sein Vater war hier bis 1994 Ordnungsdezernent, aber sein Wahlkampf ist lasch: Statt den Leipziger Filz aufzudecken und mehr Transparenz bei der Vergabe der knappen Kitaplätze zu fordern, formuliert Gemkow, daß die Verwaltung den Bürgern dienen müsse, daß es mehr Politessen und Straßenkehrer brauche, daß mehr Sozialwohnungen zu bauen seien und ein „kluger Mix aller Verkehrsarten“ besser sei als mehr Verbote. Mit jedem Satz macht der Minister den 472.000 Wahlberechtigten klar, daß ihm die lokale Sachkenntnis fehlt. Den Linksextremisten in Connewitz will er klarmachen, „daß sie sich an die Regeln des Zusammenlebens zu halten haben“. Dabei ist der Szenestadtteil längst nicht der einzige Schwerpunkt in der Kriminalitätshochburg Leipzig.

Linke Eitelkeiten könnten für Überraschung sorgen

Jurist Gemkow wagt es auch nicht, die Schwachstellen des Amtsinhabers zu benennen. So hatten die Leipziger ihrem OB 2018 sehr übel genommen, daß er seinen mit einem Jahressalär von 154.087,56 Euro (Besoldungsstufe B10) dotierten Posten zugunsten eines anderen, noch viel besser bezahlten, aufzugeben bereit war. Jung wollte Präsident des Ostdeutschen Sparkassenverbandes werden. Allerdings unterlag der zur Fahnenflucht bereite Sozialdemokrat in der entscheidenden Vorstandssitzung dem Amtsinhaber. Auch den Skandal um den illegalen Verkauf herrenloser Grundstücke durch die Stadtverwaltung, der Leipzig 2012 erschütterte – OB Jung ist seit März 2006 im Amt – läßt Gemkow ruhen.

Dabei hatte Jung, der erst alles bestritten hatte, schließlich einräumen müssen, daß in mindestens 157 Fällen fahrlässig mit dem Eigentum Fremder umgegangen worden war. Es mußte entschädigt und ein Verwahrkonto für noch zu erwartende Forderungen eingerichtet werden. Auch der – beispielsweise im Vergleich zu Dresden – hohe Schuldenstand der Stadt wird im Wahlkampf nicht thematisiert, obwohl Jung die vollständige Entschuldung versprochen hatte.

Stattdessen träumen die OB-Kandidaten von neuen sozialen Geschenken an die Einwohner. Die Grüne will Fußgängern und Radfahrern bei der Verkehrsplanung Vorrang geben, die Linke „ein soziales, familienfreundliches, ökologisches, tolerantes Leipzig“ und das 365-Euro-Jahresticket für Busse und Bahnen. Auch hier ist Jung weiter. Wenn Leipzig ÖPNV-Modellstadt werde und damit Bundesförderung erhalte, werde das Ticket 2021 Realität. Der 61jährige Amtsinhaber selbst besetzt die Themen Klimaschutz und Schulneubau.

All das klingt nach einem „Weiter so“ in der seit 30 Jahren SPD-regierten Stadt. Die habe sich „toll entwickelt“, findet auch Gemkow, der es als sein Anliegen bezeichnet, „die Stadt für die Zukunft so zu gestalten, daß sie auch mit weiterem Wachstum lebenswert, weltoffen und sicher bleibt“. 

Eine winzige Chance, Amtsinhaber Jung zu entthronen, bestehen für Gemkow in linken Eitelkeiten. Sollten bei der Stichwahl am 1. März Krefft und Riekewald erneut antreten, könnte es für den Christdemokraten reichen. Fest steht: Die größte Herausforderung für den neuen OB wird der September 2020 sein. Dann findet der EU-China-Gipfel in Leipzig statt. Schlagzeilen sind garantiert. Nicht nur weil die New York Times Leipzig als einen von 52 Orten vorgestellt hat, den man in diesem Jahr unbedingt gesehen haben muß.