© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/20 / 24. Januar 2020

Johnson auf der Zielgeraden
Brexit: Kurz vor dem EU-Austritt stellt London Maximalforderungen und setzt Brüssel unter Druck
Josef Hämmerling

Der britische Premierminister Boris Johnson steuert sein Land mit Vollgas aus der EU. Bereits jetzt, wenige Tage vor dem Austritt Großbritanniens aus der EU zum 31. Januar 2020, hat das britische Kabinett unter seiner Führung einen Fahrplan für die Verhandlungen mit der EU aufgestellt. An dessen Ende steht ein harter Brexit, sollten sich die 27 anderen Regierungen nicht auf faire, konstruktive Verhandlungen einstellen. „Sie nehmen uns nicht ernst, und das wird sich in den nächsten Wochen auch nicht ändern“, warnte der britische Schatzkanzler Sajid Javid. 

Eines der Schwerpunktthemen dieser Pläne ist die Migration. Wie derTelegraph erfahren haben will, sollen besonders Migranten mit geringer Ausbildung von dem neuen Gesetz betroffen sein. Für sie sollen sehr hohe Hürden geschaffen werden. So müßte es zum Beispiel in den Bereichen, in denen sie eingesetzt werden sollen, extreme Engpässe geben. Nach Plänen von Innenministerin Priti Patel soll dieses Gesetz auch unmittelbar nach der Übergangsphase in Kraft treten, also zum 1. Januar 2021. Johnsons Vorgängerin Theresa May hatte der EU dagegen allerdings rechtsunverbindlich zugesagt, daß die bisher geltenden  Einwanderungsregeln noch bis zum Ende der gesamten Übergangsphase gelten sollten, also bis zum 31. Dezember 2022. Auch die Wirtschaft hatte sich dafür ausgesprochen.  

Wirtschaftsverbände kritisieren Premier 

Vor allem auch bei den zukünftigen Handelsbeziehungen mit den in der EU verbleibenden Staaten will Johnson schnelle Ergebnisse sehen. So werden nicht nur mit der EU Gespräche über ein Handelsabkommen geführt, sondern gleichzeitig auch mit den Vereinigten Staaten von Amerika, Japan, Australien und vielen anderen Staaten. Man wolle die britische Wirtschaft auch ohne die EU übergangslos in den Welthandel einbinden, heißt es aus Londoner Regierungskreisen. Aber die Bedingungen seien klar: „Es wird keine Angleichung geben, wir werden uns keine Vorschriften machen lassen, wir werden nicht im Binnenmarkt, wir werden nicht in der Zollunion sein, und wir werden dies bis Ende des Jahres durchziehen“, erklärte der britische Schatzkanzler Sajid Javid der Financial Times. 

Dies stieß auf massive Kritik britischer Wirtschaftsverbände. Die Generalsekretärin des Verbands der britischen Industrie, Carolyn Fairbairn, zeigte sich besorgt. Selbst wenn die Loslösung von EU-Regeln für einige Unternehmen Vorteile bringe, sei die Anbindung an die EU-Standards für viele andere wichtig, um Jobs und Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Das gelte vor allem in den wirtschaftlich am stärksten benachteiligten Regionen. Javid konterte, die Unternehmen hätten drei Jahre Zeit gehabt, um sich auf eine Veränderung der Handelsbeziehungen mit dem Kontinent einzustellen. 

„Radikale“ Veränderungen soll es auch im Bereich der Subventionen für die Landwirtschaft geben. In der  bisherigen Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) waren die Zahlungen an die Gesamtmenge der bewirtschafteten Flächen gekoppelt. Nun sollen die britischen Landwirte „öffentliche Gelder für die Sicherung öffentlicher Güter“ erhalten. 

Brüssel dementiert Vorwurf der Verzögerung

Zu diesen öffentlichen Gütern gehören eine bessere Luft- und Wasserqualität, ein verbesserter Zugang zu Leistungen in ländlichen Gebieten, höhere Tierschutzstandards wie auch Maßnahmen zur Reduzierung von Überschwemmungen. Damit werde Großbritannien einen Schritt näher „an eine Zukunft herangeführt, in der die Landwirte angemessen unterstützt werden, um somit innovativer zu wirtschaften und die Umwelt zu schützen“, heißt es in einer Erklärung des britischen Ministeriums für Umwelt, Ernährung und ländliche Entwicklung. Zudem werde man der Landwirtschaftsbranche mit den neuen Initiativen nach Jahren einer „ineffizienten und übermäßig bürokratischen Politik, die den Landwirten von der EU diktiert wurde, neue Impulse geben“. 

EU-Kommissionssprecher Eric Mamer betonte dagegen, die Verhandlungen zu all diesen Themen würden nicht vor Ende Februar starten. Man werde die Verhandlungsrichtlinien erst nach dem erfolgten EU-Austritt erstellen. Es handele sich dabei nicht um eine Verzögerungstaktik, wie von Großbritannien vorgeworfen. „Dies ist einfach die Natur des institutionellen Prozesses und der Konsultationen, die stattfinden müssen, bevor die Verhandlungsrichtlinien offiziell verabschiedet werden können“, sagte Mamer.