© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/20 / 24. Januar 2020

Kreuzzug gegen die Tech-Riesen
US-Wirtschaft: Der politische Gegenwind nimmt zu / Werden Apple, Amazon, Facebook, Google und Microsoft zerschlagen?
Elliot Neaman

Die Präsidentschaftsbewerberin Elizabeth Warren will Amazon, Google und Facebook via Kartellrecht zerschlagen – wie 1911 John Rockefellers Standard Oil Company. Ihr innerparteilicher Konkurrent Bernie Sanders glaubt: „Wir leben in einer Ära von Monopolen, die jeden Aspekt unseres Lebens kontrollieren. Es ist Zeit, diese Macht zurückzuerobern.“ Und Donald Trump verlangt von Apple Zugang zu iPhones von möglichen Straftätern.

Den Tech-Invasoren wehrlos ausgeliefert?

Der Gegenwind für die US-Technologiekonzerne nimmt zu – und das ist allein dem Wahlkampf geschuldet. Argumente liefert beispielsweise Shoshana Zuboff, die sich im Zuge ihrer bald 40jährigen Harvard-Karriere auf den Zusammenhang zwischen digitaler Revolution und menschlicher Entwicklung spezialisiert hat. In ihrem Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ analysiert die Sozialpsychologin die Strategien von Amazon, Facebook und Google zur Sicherung ihrer Marktführerschaft – und vergleicht diese mit der Ausbreitung fremder Tier- und Pflanzenarten in einem Gebiet ohne natürliche Feinde: Die einheimischen Arten sind den Invasoren wehrlos ausgeliefert und werden verdrängt oder vernichtet.

Die Verheißung einer vernetzten Welt, in der sich Kreativität, soziale Kohäsion und Meinung frei entfalten können, sei eine Illusion gewesen, die den Tech-Riesen ermöglicht habe, Unmengen persönlicher Daten zu erfassen und gewinnbringend zu verwerten. Auch das libertäre Ideal eines unregulierten Raums, in dem sich „Netzbürger“ frei von staatlicher Kontrolle und Überwachung bewegen können, habe sich in sein dystopisches Gegenteil verkehrt: Autoritäre Staaten nutzen das Internet als Instrument der Überwachung – in einem Ausmaß, das sich kein George Orwell je hätte träumen lassen.

Und die Kritik kommt inzwischen aus dem Tech-Sektor selbst: Die Unternehmer und Entwickler, die sich inzwischen zu millionenschweren Branchenführern gemausert haben, wissen am besten, welche gefährlichen Werkzeuge in den Black Boxes urheberrechtlich geschützter Software lauern. So finanziert die Hewlett-Foundation Projekte, die darauf abzielen, Konzerne wie Facebook und Amazon aufgrund ihrer Monopolstellung zu zerschlagen.

Facebook-Mitgründer Chris Hughes will mit dem „Economic Security Project“ die Rolle der Technologie bei der Vertiefung sozio-ökonomischer Ungleichheit erforschen und entsprechend gegensteuern. Ähnlichen Projekten haben sich George Soros oder eBay-Gründer Pierre Omidyar verpflichtet.

Auch der milliardenschwere Risikokapital-Anleger Roger McNamee will gegensteuern. Den Grundstein zu seinem Vermögen legte der heute 63jährige als Analyst bei der Vermögensverwaltung T. Rowe Price mit Investitionen in Electronic Arts, heute einer der größten Hersteller von Computerspielen. Es folgten Pionierinvestitionen in Netscape und Amazon sowie die Gründung der Beteiligungsgesellschaft Silver Lake Partners. McNamee investierte in Facebook und brachte Mark Zuckerberg davon ab, seine Firma für eine Milliarde Dollar an Yahoo zu verkaufen. Heute ist Facebook 630 Milliarden Dollar wert, der Google-Mutterkonzern Alphabet knackte vorige Woche die Eine-Billion-Dollar-Grenze. Apple und Amazon haben dies 2018 geschafft, Microsoft folgte 2019.

Schon im Zuge des Präsidentschaftswahlkampfs 2016 schlug McNamees Sympathie in herbe Kritik um. Heute ist er überzeugt, daß Facebook durch „Fake News“ dazu beitrug, Donald Trump ins Weiße Haus zu bringen. Seiner Diagnose nach sind Facebook-Anzeigen und die Einmischung ausländischer Interessen in die US-Innenpolitik jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Den Kern des Problems sieht er in der Struktur der Social-Media-Netzwerke selbst, deren Geschäftsmodell auf der gewinnbringenden Verwertung personenbezogener Daten beruht. Das Argument kostenloser Internetleistungen hält er für verharmlosend: Erhellender sei die Analogie mit Bergbauunternehmen, die Rohstoffe aus der Erde holen und mit hohem Profit weiterverkaufen. Während jedoch eine Zeche geschlossen wird, wenn alle Mineralien abgebaut sind, schürfen die Tech-Unternehmen gnadenlos weiter. Ihre personalisierten Konsumverhaltensprofile werden die menschlichen Nutzer, auf denen sie beruhen, um Lebenszeiten überdauern – als „Daten-Voodoo-Puppen“, wie McNamee sie bezeichnet.

Mehr Datenschutz durch neue Gesetze in Kalifornien

Ebendiese Warnung ist die Kernbotschaft seines Buches „Zucked: Waking up to the Facebook Catastrophe“, das seit Ende November auch in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Die Facebook-Gefahr: Wie Mark Zuckerbergs Schöpfung die Demokratie bedroht“ erhältlich ist. Seit 2019 das Original erschien, ist McNamee – wenn er nicht gerade als Sachverständiger vor dem US-Kongreß aussagt – auf Lesereise unterwegs, um ein Publikum für die Bedrohungen zu sensibilisieren, die vom Monopol der Tech-Riesen ausgehen.

Von der einst gehegten Hoffnung, Mark Zuckerberg könnte sich eines Besseren besinnen und Facebook reformieren, hat sich McNamee verabschiedet. Nicht zuletzt seinem Einfluß ist es zu verdanken, daß Elizabeth Warren die Zerschlagung von Facebook fordert. McNamees Kritik macht auch vor Amazon und Google nicht halt. Apple hält er immerhin das Bekenntnis zum Datenschutz zugute, merkt jedoch an, daß das Unternehmen nicht auf die Verwertung von Benutzerdaten angewiesen sei.

Inzwischen wird gegen Facebook von seiten des Justizministeriums und mehrerer weiterer Regierungsbehörden auf zentral- und bundesstaatlicher Ebene wegen Verdachts auf Verstöße gegen das Kartellrecht ermittelt. US-Justizminister William Barr ist vor allem die starke Verschlüsselung ein Dorn im Auge, mit deren Hilfe Drogenkartelle und Kinderpornographie-Ringe sich dem Zugriff der Justiz entziehen könnten.

Inwieweit die umfassenden Reformen, die McNamee fordert – bis hin zu einem Verbot des Handels mit Daten von Privatpersonen (einschließlich Finanzdaten und anderer Identifikatoren, Standort, Browserverlauf, E-Mail-Adresse usw.) –, politisch durchsetzungsfähig wären, ist schwer einzuschätzen. Online-Anbieter dürften diese Daten dann nur noch zur eigenen Verwendung erfassen, nicht jedoch weitergeben oder verkaufen. Dadurch würde das Geschäftsmodell von Unternehmen wie Google und Facebook, die ihre Einnahmen durch Werbung erwirtschaften, mit einem Schlag ausgelöscht.

Gegen derartige Pläne setzen die Tech-Riesen sich mit den beträchtlichen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Wehr und haben bereits ganze Heere von Lobbyisten nach Washington entsandt, die den politischen Verantwortlichen vergegenwärtigen sollen, wie töricht es wäre, sich der riesigen digitalen Henne zu entledigen, deren goldene Eier nicht nur in Form von Steuergeldern die Staatskasse aufstocken, sondern auch Wahlkämpfe finanzieren.

Eine strengere Regulierung des Sektors durch Aufsichtsbehörden, so das Argument, würde Innovation und Fortschritt knebeln. Von umfassenden Vorschriften zum Schutz der Privatsphäre nach dem Muster der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist man in den USA noch weit entfernt. Kaum ein Experte rechnet ernsthaft damit, daß die US-Regierung Schritte zur Zerschlagung von Facebook, Google und Amazon ergreift. Sehr viel wahrscheinlicher ist, daß Kompromisse gefunden werden, die den gröbsten Wildwest-Praktiken der Tech-Riesen ein Ende setzen.






Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt europäische Geschichte an der University of San Francisco.

Roger McNamee: Die Facebook-Gefahr – Wie Mark Zuckerbergs Schöpfung die Demokratie bedroht. Plassen Verlag, Kulmbach 2019, gebunden,384 Seiten, 22,99 Euro