© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/20 / 24. Januar 2020

Der Teufel steckt hinter allem
Kino: „Die Wolf-Gäng“ von Tim Trageser inszeniert Okkultes als Kinderkram
Dietmar Mehrens

Wer die Gesellschaft von morgen kennen will, muß sich die Kinder von heute anschauen oder – ersatzweise – das, was die sich anschauen. Das Genre des Kinofilms für Kinder erlebt seit dem Beginn des neuen Jahrtausends ein Blüte –  „Die wilden Kerle“, „Die wilden Hühner“, „Die drei ???“, „Fünf Freunde“, „Hanni und Nanni“, kaum eine erfolgreiche Kinderbuchreihe, egal ob von heute oder von gestern, ist vor deutschen Filmproduzenten sicher. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, etwa an dysfunktionale Familien und schwindelerregende Scheidungsraten, die dafür sorgen, daß Kinder am Wochenende zu Papa kommen und Papa sich irgendwas einfallen lassen muß, um dem Nachwuchs etwas zu bieten – am besten was Lustiges und was ganz toll Spannendes. Unter solchen Umständen können fünf Freunde schon mal im „Tal der Dinosaurier“ landen, obwohl Enid Blyton ihre Junior-Detektive in keinem ihrer Bücher je dorthin geschickt hat. 

Nun hat der deutsche Film die Romane von Wolfgang Hohlbein entdeckt. Der 1953 in Weimar geborene Schriftsteller ist mit 44 Millionen im In- und Ausland gedruckten Büchern Deutschlands erfolgreichster Fantasy-Autor. Sein Durchbruch gelang ihm 1983 mit „Märchenmond“. In Zusammenarbeit mit Dieter Winkler und seiner Tochter Rebecca entstand die Jugendbuchreihe „Die Wolf-Gäng“, die es nun auch auf die Leinwand geschafft hat.

Wie bei den „Drei ???“ gibt es drei jugendliche Helden, die in ein turbulentes Abenteuer verwickelt werden. Nur ist bei der „Wolf-Gäng“ auch ein Mädchen mit von der Partie. Das Mädchen heißt Faye (Johanna Schraml) und freundet sich mit Vlad (Aaron Kissiov) und Wolf (Arsseni Bultmann) an.

Alle drei verbindet ein Makel, der sie zum Gespött ihrer Mitschüler macht. Faye leidet unter Flugangst, Vlad kann kein Blut sehen, und Wolf hat eine Tierhaarallergie. Was in einer normalen Schule noch unbeanstandet durchgehen würde, wird an der Crailsfeldener Zauberschule, einer Art deutschem Hogwarts, zum Problem: Crailsfelden ist nämlich ein Ort, an dem nur Zauberwesen leben: Trolle, Feen, Vampire, Zombies und so weiter. Faye sollte also eigentlich wie eine Hexe oder Fee durch die Luft sausen, Vlad beim Anblick von Blut Lust auf mehr bekommen und Wolf als Werwolf mit der eigenen Körperbehaarung entspannt umgehen können.

Devise: Lieber gut geklaut als schlecht erfunden

Daß das Gegenteil der Fall ist, macht die drei Kinder an der Crailsfeldener Zauberschule zu Außenseitern und Diskriminierungsopfern. Das gemeinsam Erlittene aber schweißt Faye, Vlad und Wolf zusammen. So schaffen es die drei besonderen Kinder nicht nur, ihren Widersachern Pickelgesicht, Schweinebacke und Hackfresse Paroli zu bieten, sondern auch, eine hinterhältige Verschwörung aufzudecken, wobei einem geheimnisvollen Kristall, den Vlad um den Hals trägt, eine Schlüsselrolle zukommt. Denn: Gemeinschaft macht stark. Wenn das mal keine zeitgemäße Botschaft ist!

„Wenn sich dein Körper darauf erst mal eingestellt hat, geht das wie von selbst. Bis dahin kriegst du Schonkost“, kommentiert Vlads Vater (Rick Kavanian) die substantiellen Probleme seines Sohnes, sich vampirgemäß zu ernähren. Das ist die Art Humor, auf die sich einstellen muß, wer sich dafür entscheidet, die „Wolf-Gäng“ mit seinen Kindern anzuschauen. Der Film hat seine lustigen Momente und die Inszenierung der Phantasiewelt von Crailshausen genügt dank reichlich Computertricktechnik den Anforderungen, die an das Unterhaltungskino der Gegenwart gestellt werden. Kein Drehtag verging ohne Spezialeffekte. Für Regisseur Tim Trageser hieß das: „Ich mußte ganz anders an die Sache herangehen, als ich das sonst tue. Ich arbeite eigentlich sehr gerne intuitiv.“ Das geht natürlich nicht, wenn in die abgedrehte Szene später noch visuelle Effekte eingefügt werden müssen. Doch es sind nicht die digital erzeugten Gruseleffekte, die verstören. Denn die bleiben immer schön kindgerecht. Was beim Anschauen von „Die Wolf-Gäng“ am meisten verstört, ist der eklatante Eklektizsmus der Autoren.

Lieber gut geklaut als schlecht erfunden: Es ist nicht das erste Mal, daß sich Filmschaffende nach dieser Universal-Devise aller kreativen Berufe zu helfen wissen. Hier aber wird so unverfroren geklaut, wie man es auch im Film noch nicht oft gesehen hat. Bei der Zauberschule hat unübersehbar Hogwarts aus den „Harry Potter“-Büchern Pate gestanden. Vampire, die wie normale Sterbliche zur Schule gehen, kennt man aus den „Bis(s)“-Büchern von Stephenie Meyer. Und der Bann, der verhindert, daß die Kinder Crailsfelden verlassen können, und die Art, wie er gebrochen wird, erinnern verdächtig an Otfried Preußlers „Krabat“. Selbst Louis Ziffer als Tarnname für den Teufel (Christian

Berkel in der Rolle als Bürgermeister), der – als hätte man’s nicht geahnt – hinter allem steckt, ist ein alter Hut aus „Angel Heart“ (1987) mit Mickey Rourke. 

Kinostart ist am 23. Januar