© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/20 / 24. Januar 2020

Kein transatlantischer Gottseibeiuns
Der US-Journalist Doug Wead hat einen anderen Blick auf die Präsidentschaft von Donald Trump
Ludwig Witzani

Zu den ärgerlichen Begleiterscheingungen politischer Kontroversen  gehört das sogenannte „virtue sig-nalling“. Darunter versteht man die Unsitte, bei jeder sich bietenden Gelegenheit dem Gesprächspartnern gefragt oder ungefragt die eigene Moral unter die Nase zu reiben. Diese Expressionen haben natürlich nichts mit Informationen zu tun, sondern dokumentieren den Wunsch, die eigene Zugehörigkeit zum herrschenden Mainstream zu zeigen. 

Positiv konnotierte „Virtue signalling“-Topoi sind „Nachhaltigkeit“, „Vielfalt“ „Weltoffenheit“ oder „Soziale Gerechtigkeit“. Negatives virtue Signalling betreffen die „AfD“, „Pegida“, „rechts“ oder „Putin“. Kein negatives „virtue signalling“ kommt jedoch an pejorativer Kraft dem Trump-Topoi gleich. Kindergärtnerinnen, Krankenschwestern, Schüler, Studenten, Journalisten oder Lehrer, Dicke und Dünne, Junge und Alte, Gebildete und Ungebildete, Konservative und Progressive finden zueinander in einer großen Volksgemeinschaft der habituell ausgedrückten Verachtung. Nur Emmanuel Goldstein, die literarische Feindfigur in George Orwells „1984“ kommt Donald Trump an kollektiver Verachtung gleich.   

Einkommen von 90 Prozent der US-Bürger ist gestiegen

Das vorliegende Buch des ehemaligen New York Times-Autors Doug Wead über „die wahre Geschichte“ der Präsidentschaft Trumps versucht dieses vorherrschende Bild eines transatlantischen Gottseibeiuns zu konterkarieren. In 22 Kapiteln und auf knapp fünfhundert Seiten bietet der Autor ein völlig anderes Bild der Trump-Präsidentschaft, wobei ein Protagonist sichtbar wird, der mit dem Donald Trump, wie ihn die europäische Mainstreampresse seit Jahren vorführt, kaum etwas gemeinsam hat. Ein mitfühlender Trump, der sich anders als Obama für die Befreiung der zahllosen US-Geiseln einsetzt, die in der ganzen Welt gefangengehalten werden? Ein demokratischer Trump, der vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen dem menschenverachtenden Mullah-Regime, das auf seine eigene Bevölkerung schießen läßt, die Leviten liest? Ein wirtschaftlich erfolgreicher Präsident, unter dem die Kurse an der Wallstreet neue Höchststände und die Arbeitslosenzahlen neue Tiefstwerte erreichen? Das hat der deutsche Leser in dieser Kompaktheit noch nicht gelesen, und das Erstaunlichste an den Fakten ist: sie stimmen. 

„It’s the economy, stupid“, lautete das Erfolgsrezept Bill Clintons. Daran gemessen, kann Donald Trump auf eine beachtliche Leistungsbilanz verweisen. Er hat durch seine Steuerreform die Auslagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland gestoppt und zusammen mit Kanada und Mexiko einen im Vergleich zur alten Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) für die USA erheblich vorteilhafteren Deal ausgehandelt. Laut den Daten der US-Finanzbehörden sind die Einkommen von 90 Prozent der US- Bürger unter Trumps Präsidentschaft  gestiegen – bei den Reichsten vielleicht stärker als in der Unterschicht, doch der Aufschwung erfaßt nahezu alle Bevölkerungsschichten. Sogar auf dem Feld der Außenpolitik ist das prophezeite Desaster ausgeblieben. Im Gegenteil: Im Konflikt mit dem Iran hat sich Trump letztlich als geschickt erwiesen. Im Verhältnis zu Nordkorea hat man die Phase des Säbelrasselns verlassen und ist in die Phase der Verhandlungen eingetreten. Sogar im Handelsstreit mit China deutet sich aktuell eine Lösung an. 

Warum dann der unbändige Haß der etablierten Eliten auf Donald Trump, der sich mittlerweile bis zu einem Impeachment-Verfahren gesteigert hat? Nach Meinung des Autors speist sich dieser Haß aus der fundamentalen Angst des Establishments vor einem gänzlich anderen Politikmodell. Denn das Politikmodell, das Trump – und mit gewissen Einschränkungen auch Boris Johnson oder Jair Bolsonaro – verkörpern, ist genau das Gegenteil der Anywhere-Demokratie der neoliberalen Eliten. 

Es ist das Modell einer populistischen Regierung, die sich vollkommen unbekümmert durch die heiligen Kühe des Mainstreams zuerst an den Bedürfnissen der eigenen Bevölkerung orientiert. Kein Zweifel, daß dieses Modell bei der Wählerschaft verfängt. Fast 15 Millionen Amerikaner hatten bis 2016 ihre Jobs durch chinesische Exporte und die Auslagerung von Produktionsstätten nach Mexiko und in andere Billiglohnländer verloren. Dagegen nichts unternommen zu haben und die arbeitende amerikanische Bevölkerung mit diesen weltwirtschaftlichen Schleusenöffnungen allein gelassen zu haben, war die größte Hypothek der Obama-Clinton-Regierung. Insofern traf Trumps Wahlkampfslogan „Make America great again“ genau den Nerv einer US-amerikanischen Bevölkerung, die sich dem drohenden sozialen Abstieg gegenübersah.  

Allerdings soll auch nicht verschwiegen werden, daß Doug Wead in seiner Begeisterung für Donald Trump manch kritische Betrachtung vermissen läßt. Über die enorme Ausweitung der Staatsverschuldung ist in dem vorliegenden Buch wenig zu lesen. Über den rüden Ton, mit dem Trump seine Gegner angeht, auch über sein mitunter befremdliches Auftreten, das gerade für Konservative schwer erträglich ist, wird der gnädige Schleier der Nichterwähnung gelegt. Für den Autor scheint dergleichen allerdings zweitrangig zu sein, denn – so der Tenor seiner Darstellung – bei einem Präsidenten kommt es nicht darauf an, ob dem Publikum sein Auftreten und sein Standing gefällt – in dieser Hinsicht wird Barack Obama immer unschlagbar bleiben –, sondern darauf, welche Ergebnisse seine Politik für seine Wähler erbringt. Und in dieser Hinsicht braucht sich Donald Trump nicht hinter seinen Vorgängern zu verstecken. Für Doug Wead gehört die Trump-Ära sogar zu den bislang  erfolgreichsten Präsidentschaften der neueren US-amerikanischen Geschichte.

Inwieweit sich der Leser diese Bewertungen und Lesarten zu eigen macht, bleibt ihm selbst überlassen. Aber als ergänzende, korrigierende Informationsquelle gegenüber der Einseitigkeit des allgegenwärtigen Trump-Bashings ist das Buch sein Geld auf jeden Fall wert.  

Doug Wead: Donald Trump. Die wahre Geschichte seiner Präsidentschaft. Finanzbuchverlag, München 2020, gebunden, 489 Seiten, Abbildungen, 24,99 Euro