© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/20 / 24. Januar 2020

Schlag nach bei Lieschen Müller
Eine Gegenwartsanalyse des Politologen-Ehepaars Marina und Herfried Münkler kommt über das Niveau von Banalitäten nicht hinaus
Doris Neujahr

Das Buch „Abschied vom Abstieg“ von Marina und Herfried Münkler hatte von den Medien eine Menge Vorschußlorbeeren erhalten. Sie waren unverdient, denn statt die im Untertitel angekündigte „Agenda für Deutschland“ zu liefern, bezeugt das 500-Seiten-Opus (inklusive Fußnoten und Literatur-, doch ohne Personenverzeichnis) nur den Abstieg eines prominenten Autorenpaares.

Schon mit der Problem-Beschreibung hapert es. Glaubt man Münkler & Münkler, dann gibt es keine miserable Politik, sondern nur eine falsche Widerspiegelung im Bewußtsein ressentimentgeladener, von Untergangspropheten aufgehetzten Wutbürgern, denen man ein gebieterisches Halt! entgegensetzen müsse. Bezeichnenderweise bleiben die schrillsten und einflußreichsten unter den Endzeit-Schamanen, die Klima-Hysteriker, unerwähnt. Die Münklers wissen eben, was sich in der Merkel-Republik gehört und was nicht.

Zu allem Übel leiden sie an einem Sarrazin- und Sieferle-Komplex. So sind sie sich nicht zu schade, Rolf Peter Sieferles „Finis Germania“ in einer Anmerkung einen „grammatisch falschen Titel“ zu unterstellen und diesen „selbst ein Zeichen des Niedergangs“ zu nennen. An sein Werk „Das Migrationsproblem. Über die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung“ aber wagen sie sich nicht heran. Man kann das auch als intellektuelle Feigheit bezeichnen. 

Auch Thilo Sarrazin sei nur der „Protagonist einer ethnisch-kulturalistischen Angstwelle“, denn anstatt in den muslimischen Zuwanderern eine „Bildungsreserve“ zu erkennen, unterstelle er ihnen eine vom Islam hergeleitete „Bildungsaversion“. 

Eine „Ausgrenzungspolitik“ verhinderte die Integration

In Wahrheit seien die Bildungs- und Sozialdefizite muslimischer Kinder auf die „nativistische Identitäts- und kulturalistische Ausgrenzungspolitik“ der deutschen Gesellschaft zurückzuführen. Merkwürdig nur, daß die Kinder vietnamesischer Vertragsarbeiter, die ebenfalls nicht auf Rosen gebettet waren, trotzdem meist gute Schüler und sozial gänzlich unauffällig sind. Was die Münklers zur Unlust an Brüssel, zum Zustand der Demokratie, der politischen Klasse oder des Sozialstaats beizusteuern, übersteigt das Niveau von Banalitäten ebenfalls nur unwesentlich.

Einem Arzt, der bereits bei der Anam-nese versagt, wird man keine Krankenbehandlung anvertrauen. Ein Welt-Leser kommentierte ein Interview, in dem die Münklers ihre Agenda-Thesen darlegten, mit dem Satz: „Es ist so peinlich, wenn die ideelle Verfaßtheit von Lieschen Müller sich mit einem gebildeten, professoralen Habitus paart.“ Mehr gibt es dazu in der Tat nicht zu sagen.

Marina und Herfried Münkler: Abschied vom Abstieg. Eine Agenda für Deutschland.Rowohlt Verlag, Berlin 2019, gebunden, 512 Seiten, 24 Euro