© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/20 / 24. Januar 2020

Sind sie einmal da, wird man sie schwer los
Invasive Arten sind eine der fünf wesentlichen Gefahren für die weltweite Artenvielfalt
Dieter Menke

Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt die globale Vernetzung der Kontinente, die erst mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges unterbrochen wurde. Parallel dazu ging die Anzahl der fern von ihren Ursprungsräumen auftauchenden gebietsfremden Arten, den Neobiota, sprungartig in die Höhe. Mit der Dynamik der zweiten, nach Ende des Kalten Krieges ungeahnte Dynamik entwickelnden zweiten Globalisierung breiteten sich auch die Neobiota weiter rasant aus. Bisher wurden auf dem Globus 13.168 Pflanzenarten gezählt, die außerhalb ihres Ursprungsgebiets aufgetaucht sind. Das entspricht etwa der Gesamtzahl der in Europa vorkommenden Pflanzenarten.

Den Verlust an heimischen Arten damit kompensieren?

Dabei sind es nicht exotische Pflanzen wie das Indische Springkraut, das mittlerweile an vielen Uferböschungen wuchert, sondern Symboltiere wie der nordamerikanische Waschbär oder die seit 2007 an den Küsten Niedersachsens anzutreffende Asiatische Pinsel-Felsenkrabbe, die einer breiteren Öffentlichkeit signalisieren, daß blinde Passagiere an der Bordwand, in Ballasttanks oder Schiffscontainern reisende, unbeabsichtigt eingeschleppte Arten auf dem Vormarsch sind. 800 Neobiota finden sich im Bundesgebiet, doch Hanno Seebens schätzt, ihre Zahl liege „deutlich höher“.

Wie die meisten seiner Kollegen, ist sich der am Frankfurter Senckenberg-Forschungszentrum tätige Ökologe noch nicht sicher, wie diese zoologische und botanische Variante von „Einwanderung“ zu bewerten sei (Senckenberg. Natur–Forschung–Museum, 10-12/19). Denn deren Konsequenzen seien vielgestaltig und nicht immer einfach zu durchschauen. Nur vordergründig lasse sich als bereichernder Gewinn ansehen, „daß wir durch neu hinzugekommene Arten den Verlust an (verdrängten) heimischen Arten kompensieren können“.

Denn Biodiversität werde nicht nur vor der eigenen Haustür gemessen, sondern beschreibe die Vielfalt an regionaler Einzigartigkeit, also die Unterschiede zwischen den Regionen der Erde. Die es zu bewahren gelte, um der „Monotonisierung der Welt“ (Stefan Zweig) entgegenzuwirken, die sich realisiere, wenn weit entfernte Lebensgemeinschaften sich immer ähnlicher sähen und die regionale Einzigartigkeit schwinde. Daher habe der in Bonn angesiedelte Weltbiodiversitätsrat (IPBES) den Import von Neobiota als „eine der fünf wesentlichen Gefahren der globalen Biodiversität“ identifiziert.

So klar negativ beurteilen die komplizierten Effekte des Phänomens derzeit vor allem Forst- und Agrarexperten, die invasive Arten als Schädlinge bekämpfen. Bei Eindringlingen wie der Pinsel-Felsenkrabbe, die die einheimische Strandkrabbe verdrängt, oder anderen Exoten, die europäische Krebsarten an den Rand der Ausrottung bringen, hänge die Bewertung jedoch von der Perspektive ab, je nachdem, ob man Angler, Feinschmecker oder Biologe sei. Seebens arbeitet jedenfalls daran, den Zustrom einzudämmen. Mittels eines Computermodells, das Verkehrswege und -frequenz von drei Millionen Schiffsbewegungen mit Umweltdaten verknüpft und die Einwanderung neuer Arten prognostizieren soll.

Da es nahezu unmöglich sei, große Populationen wieder zu eliminieren, könnten solche Prognosen der präventiven Eindämmung dienen. Australien und Neuseeland hätten die Problematik früh erkannt und reagierten mit strikten Kontrollen der Zufuhrwege. Das weltoffene Europa hingegen sei von „solchen Standards noch weit entfernt“.