© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/20 / 31. Januar 2020

So schnell beschließen die Preußen nicht
Grundrente: Heil zieht seinen Entwurf vorerst zurück
Paul Rosen

Höhere Steuern für Reiche, höhere Renten für viele – die Sozialdemokraten ackern auf allen Feldern, um ihre miserablen Umfragewerte zu verbessern. Ein sozialdemokratisches Lieblingsprojekt ist die „Grundrente“. Schon im November hatte die SPD der Union in der Großen Koalition die Zusage dafür abgerungen. Nach den damaligen Vereinbarungen sollten langjährig Versicherte mit unterdurchschnittlichem Einkommen einen Rentenbonus bis zu 400 Euro monatlich bekommen. Die Koalition vereinbarte zur Finanzierung der auf 1,5 Milliarden Euro jährlich geschätzten Ausgaben die Einführung einer neuen Steuer auf Aktienkäufe – für die SPD ein weiterer Schritt zur Schröpfung von Reichen; für den Wirtschaftsflügel der Union war der Kompromiß beinahe ein Gang nach Canossa.

Es kam, wie es bei faulen Kompromissen immer kommt. Sie fliegen den Verantwortlichen um die Ohren. Die Aktiensteuer, die zusammen mit anderen EU-Ländern eingeführt werden sollte, steht vor dem Scheitern; zuletzt nahm Österreich davon Abschied. Die Union lehnt die Einführung einer Börsenumsatzsteuer im nationalen Alleingang jedoch strikt ab.

Rentenversicherung fällt Minister in den Rücken

Damit noch nicht genug, fiel die Deutsche Rentenversicherung ihrem obersten Chef, dem Sozialminister Hubertus Heil (SPD), bei der Verbändeanhörung im Ministerium in den Rücken. Die Rentenversicherung ließ kein gutes Haar an den Regelungen („zum Teil widersprüchlich“). Die Ermittlung der Grundrentenansprüche werde ein Viertel des Rentenvolumens kosten, was rund 400 Millionen Euro im Jahr wären. Außerdem monierte die Rentenversicherung, daß Ehepaare durch eine Art Zusammenveranlagung gegenüber Paaren ohne Trauschein benachteiligt würden – vermutlich ein Verstoß gegen die Verfassung. Unberücksichtigt bei den Einkommensgrenzen blieben Einnahmen aus Minijobs und von Kapitaleinkünften, die mit Abgeltungssteuer besteuert worden seien. Das hätte zur Folge, daß vermögende Aktionäre Grundrente bekommen würden.

Die Kritik wollte nicht enden. So befürchtete der Wirtschaftsrat der CDU, daß Heil die Zahl der Grundrentenempfänger wie schon bei der Rente mit 63 heruntergerechnet habe, denn die Rentenversicherung habe Heils Zahlenangaben nicht bestätigen können oder wollen. Carsten Linnemann, Vorsitzender der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, sah in der Stellungnahme der Rentenversicherung einen „schweren Schlag für den Arbeitsminister“ und stellte fest: „Die verfassungsrechtlichen Bedenken und die Probleme bei der Umsetzung wiegen so schwer, daß die Umsetzung der Grundrente immer unwahrscheinlicher wird.“

Im Unterschied zum Koalitionskompromiß vom November, wo der Wirtschaftsflügel eine Niederlage einstecken mußte, ist jetzt Heil auf der Verliererstrecke. Kleinlaut mußte das Sozialministerium einräumen, daß der für den vergangenen Mittwoch geplante Kabinettsbeschluß vertagt worden sei. Den Unionsministerien sei die Frist für ihre Stellungnahme zu kurz gewesen. Das war allerdings nur die halbe Wahrheit: In Wirklichkeit hatte besonders Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schwere Bedenken erhoben. So verwies Spahn auf den fehlenden automatischen Datenabgleich zwischen Renten- und Finanzverwaltung. Bisher müssen die Unterlagen per Post hin- und hergeschickt werden. Der Aufwand war schon von der Rentenversicherung als nicht zu bewältigen dargestellt worden. 

Auch die CDU-Ministerien vertraten die Ansicht, daß die Berechnungen bis zum geplanten Inkrafttreten der Grundrente bis zum Beginn nächsten Jahres nicht durchgeführt werden könnten. Außerdem beginne in Heils Entwurf die Gleitzeit für die Grundrente mit 33 Arbeitsjahren zu früh, so die Unionskritik.

Die sich verschlechternde Großwetterlage in der Koalition ließ den inneren Widerstand in der Union wachsen. Inzwischen meldete sich Fraktionsvize Andreas Jung zu Wort und verlangte Steuersenkungen für die Wirtschaft, die im internationalen Wettbewerb nicht mehr mithalten könne. Auch die hohen Strompreise müßten gesenkt werden.

Der Wirtschaftsflügel hat es Finanzminister Olaf Scholz (SPD) nicht verziehen, daß der sich beim Soli-Abbau weitgehend behaupten konnte: Obwohl die Bundeskassen voll sind und 2019 ein Überschuß von 13,5 Milliarden Euro erzielt wurde, kommt die Soli-Senkung erst ab 2021 – aber ausgerechnet die hoch belasteten Unternehmen und Mittelständler gehen leer aus. Jung, der in der Fraktion weit mehr als den Wirtschaftsflügel hinter sich hat, verlangt Korrekturen: „Wir müssen jetzt der Eintrübung der Wirtschaftsentwicklung etwas entgegensetzen, bevor es zu spät ist.“

Doch die SPD denkt gar nicht daran, Steuern zu senken. Scholz hat inzwischen einen Gesetzentwurf, der wenigstens kleine steuerliche Verbesserungen für Unternehmen vorsah, auf Eis gelegt. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans mauert auch: „Die Grundrente muß kommen, egal wie. Außerdem muß eine Finanztransaktionssteuer kommen, so oder so.“

In der Vergangenheit hatte die SPD einen mächtigen Verbündeten: das Kanzleramt. Regierungschefin Angela Merkel ließ beinahe jeden sozialdemokratischen Wunsch Realität werden, um die Koalition zu retten. Diesmal ist der Widerstand in den CDU-Reihen jedoch größer als beim Soli oder bei der Belegausgabepflicht für Bäckereien (auch eine SPD-Forderung). Der Grundrentenstreit wird damit zum Fall Merkel und zeigen, ob die Kanzlerin noch genügend Autorität hat oder ob das Koalitionsgebäude krachend einstürzen wird.