© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/20 / 31. Januar 2020

Und schon wieder einer weniger ...
Abschied: Bundestagsabgeordnete Verena Hartmann verläßt die AfD / Sind die Motive bei Parteiaustritten immer so eindeutig?
Björn Harms

Im Januar 2013 sollte es plötzlich ganz schnell gehen. „Besorgen Sie einen Raum, wir gründen die Partei“, gab der Hamburger Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke dem ehemaligen FAZ-Redakteur Konrad Adam am Telefon zu verstehen – just zu der Zeit, als die Eurokrise gerade ihren Höhepunkt erreicht hatte. So fand sich am 6. Februar 2013 eine illustre, 18köpfige Männerrunde im hessischen Oberursel ein. Die Alternative für Deutschland war geboren. Genau sieben Jahre sind seitdem vergangen, Jahre voller Erfolge, voller Rückschläge, voller Aufbruchsstimmung, bitterer Momente, Parteieintritte – aber auch Parteiaustritte. Von den 18 Gründungsmitgliedern sind nach Recherchen der JUNGEN FREIHEIT heute nur noch sechs Personen Parteimitglied.

Verfassungsschutz als Ballast für die Partei

Insgesamt verließen über 40 Mandatsträger aus dem Bundestag, dem Europaparlament und den Landtagen die AfD, mal freiwillig, mal widerwillig. Am Montag folgte im Bundestag der nächste Absprung: Die sächsische Abgeordnete Verena Hartmann trat aus Partei und Fraktion aus. Die AfD habe eine Richtung eingeschlagen, die sie nicht mehr mittragen könne, begründete Hartmann ihren Schritt. „Der Flügel mit seinem rechtsextremen Gebaren nach innen und außen hat es bis an die Spitze der Partei geschafft.“ Er kämpfe weder fair, noch mit offenem Visier. „Durch Intrigen und Diffamierungen läßt er nur zwei Optionen zu: Unterwerfung oder politische Demontage.“

Doch die Geschichte hat auch eine andere Seite: Hartmann war nach ihrem Einzug in den Bundestag vom sächsischen Landesverband zum Berliner Landesverband gewechselt. Eine Aufstellung für einen aussichtsreichen Listenplatz bei der nächsten Bundestagswahl galt aufgrund von internen Unstimmigkeiten in Berlin als unwahrscheinlich, Hartmanns Mandat wäre 2021 ausgelaufen. Da die 45jährige vor ihrer Abgeordnetentätigkeit als Polizistin arbeitete und sie in diesen Beruf eventuell zurückkehren könnte, dürfte der Druck einer möglichen Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz keine geringe Rolle gespielt haben. 

Im Dezember war der sächsische AfD-Bundestagsabgeordnete Lars Herrmann aus diesen Gründen aus Partei und Fraktion ausgetreten. Er habe als Polizist dienstliche Konsequenzen gefürchtet, sollte die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werden, hieß es damals.

„Da rollt ein riesiges Desaster auf die AfD zu“, warnt nun der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Renner. „Im Frühjahr 2021, wenn vielleicht 20 Leute der bisherigen AfD-Fraktion im Bundestag nicht mehr auf aussichtsreichen Listenplätzen sein werden, dann werden die meisten von denen geballt, mit ähnlichen Begründungen, die Fraktion verlassen. Und das wird für die Reputation der AfD sehr, sehr schädlich werden.“

„Natürlich sind das Verluste, die wir sehr bedauern“, kommentierte der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann, am Dienstag die jüngsten Austritte. Bei einer so jungen Partei sei das aber nicht außergewöhnlich. Fest steht: Auch sieben Jahre nach ihrer Gründung schafft es die AfD nicht, ihren Status als „gärigen Haufen“ zu überwinden. Das gilt auch für die Landesparlamente: Erst in der vergangenen Woche schloß die Berliner AfD den seit 2016 fraktionslosen Abgeordneten Kay Nerstheimer nach einem langwierigen Verfahren aus der Partei aus. Nerstheimer hatte unter anderem Homosexuelle auf Faceboook als „degenerierte Spezies“ und „sozial minderwertig“ beschimpft und war dafür gerichtlich verurteilt worden.

Auch in Hamburg hatte es gewaltig gekracht: Im Oktober 2018 war der damalige Fraktionsvorsitzende der Hamburger AfD, Jörn Kruse, aus der Partei ausgetreten. Vielleicht hätte er diesen Schritt sogar schon früher machen sollen, gibt der Professor für Volkswirtschaftslehre im Gespräch mit der JF zu bedenken. Er bereue den Schritt nicht. 

„Die AfD rückt immer weiter nach rechts außen und wird immer prolliger. Das ist nicht meine Umgebung.“ Ein Hauptproblem sei die Vielzahl an faulen Mitgliedern. „Alle wollen mitquatschen, aber nur sehr sehr, sehr wenige wollen auch mitarbeiten.“ Sein Austritt sei vor allem durch die bundespolitische Richtung begründet. „Die Rechten und einzelne – aber immer noch zu viele und zu einflußreiche – Nazis im Osten sind unerträglich, zumal der Bundesvorstand nicht wirklich führt. So geht die AfD kaputt.“

Einen Monat nach Kruses Abschied in Hamburg, im November 2018, war auch der Brandenburger Landtagsabgeordnete Steffen Königer aus der Partei ausgetreten. Er begründete seinen Rückzug ebenfalls mit dem zunehmenden Rechtskurs der Partei und sprach damals von „sektenartigen Strukturen“. Die Partei entwickle sich zu einem „Sammelbecken von destruktiv gesinnten Menschen“. Doch der Brandenburger AfD-Landesvorsitzende Andreas Kalbitz widerspricht gegenüber der JF. 

Er sieht in Königers Austritt ein Paradebeispiel für viele Enttäuschte, die in der Partei nicht vorankommen. „Dieses Verhalten gehört zu der charakterarmen Erscheinung einiger weniger, die nach persönlichem Versagen im vergeblichen Bemühen um die Erringung einträglicher Mandatsaussichten quasi über Nacht unter dem Vorwand einer vermeintlichen ‘Radikalisierung’ – die am Tag vor der Listenaufstellung noch keine Rolle spielte – die Partei verlassen haben, weil sie ihnen keine Karriereplattform mehr bietet und die eigene Chancenlosigkeit erkannt wurde.“ Worauf Kalbitz anspielt: Kurz vor seinem Austritt hatte sich Königer erfolglos für einen der vorderen Plätze der Kandidatenliste der AfD für die Europawahl 2019 beworben. „Solcherlei ‘Verluste’ finde ich alles andere als bedauerlich“, entgegnet Kalbitz trocken. 

Was die meisten Abgeordneten, die nicht mehr in Partei und Fraktion aktiv sind, eint: Kaum jemand von ihnen hat eine berufliche Zukunft in der Politik. Sie sitzen meist als fraktionslose Abgeordnete ihre Zeit ab und scheiden dann für immer aus den Parlamenten aus. Für die Medien sind die Personen meist nur so lange interessant, wie sie Interna aus der AfD in die Öffentlichkeit zerren.

Auch Wiedereintritte sind bei der AfD möglich

Doch ein Blick zurück auf die Gründungsmitglieder zeigt auch: Es gibt durchaus Fälle, bei denen auf einen Austritt ein späterer Wiedereintritt folgte – so wie im Fall von Jörg Bohne, einem der 18 Männer in Oberursel. Unmittelbar nach dem Treffen hatte er sich über unabgesprochene Änderungen in der Gründungssatzung geärgert, die Bernd Lucke und Konrad Adam vorgenommen hatten. Zeitgleich mit seinem Freund Michael Heendorf, der ebenfalls Gründungsmitglied war und als Entdecker von Frauke Petry galt, trat Bohne im Dezember 2013 aus der Partei aus.

Als ihn 2017 ein Zeit-Journalist besuchte, hieß es, inhaltlich stehe er der heutigen AfD nicht fern, er sei vielmehr persönlich enttäuscht. Einen Rechtsruck könne er nicht erkennen. Auf dem Landesparteitag der AfD Sachsen-Anhalt vor anderthalb Jahren folgte dann die Überraschung: Bohne ist wieder dabei – und bis heute Parteimitglied, wie sein Landesverband der JF bestätigt. Zu den genauen Hintergründen seines Wiedereintritts wolle sich Bohne jedoch nicht äußern.