© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/20 / 31. Januar 2020

Islamisten stehen vor den Toren der Macht
Frankreich: Debatte um Radikalisierung des Islam / 150 Gebietskörperschaften in den Händen von Salafisten, doch die Regierung Macron tut sich schwer
Friedrich-Thorsten Müller

In Frankreich soll ein Untersuchungsausschuß des Senats ergründen, wie es um die Radikalisierung des Islams im Lande steht. Auslöser dafür war das Attentat in der Polizeipräfektur von Paris im vergangenen Oktober, bei dem ein Konvertit vier Polizisten mit einem Messer ermordete. 

Klare Worte findet in diesem Zusammenhang die als Zeugin angehörte Journalistin und Essayistin Zineb El Rhazoui. Nach ihrer Beobachtung steht die sogar in vielen arabischen Ländern verbotene Muslimbruderschaft „vor den Toren der Macht“. 

Insbesondere die vom französischen Staat unterstützte „Muslimische Vereinigung für einen französischen Islam“ (AMIF) wird von ihr scharf kritisiert. Diese soll in Frankreich eigentlich vom Ausland finanziell unabhängige islamische Strukturen und einen „Euroislam“ schaffen. Tatsächlich arbeite der Verband nach El Rhazouis Beobachtung aber daran, über kurz oder lang „den Islamismus über die republikanischen Werte zu stellen“. Dafür bediene man sich einer vom Muslimbruder Youssef al-Qaradâwî entwickelten „Scharia für muslimische Minderheiten“. 

Diese sieht vor, vorübergehend sogar den Schleier abzulegen, wenn es dazu dient „die aktuelle Mehrheitsgesellschaft zu infiltrieren, bei der Bildung muslimischer Eliten mitzuhelfen und Institutionen einen muslimischen Stempel aufzudrücken“. 

Nach Ansicht der früheren Charlie Hebdo-Mitarbeiterin und Islamkritikerin El Rhazoui ist es ein „großer historischer Fehler, Frankreichs Muslime der AMIF auszuliefern“.

Mit diesen drastischen Äußerungen reiht sich El Rhazoui aktuell in eine ganze Serie ähnlicher Befunde ein. Erst im Dezember hatte eine Langzeitstudie des Pariser Islamwissenschaftlers Bernard Rougier erschreckende Fortschritte bei der Etablierung einer muslimischen Parallelgesellschaft zutage befördert.

Sorge um Stigmatisierung der Muslime 

Rougier beauftragte sprachkundige Studenten, das Alltagsgeschehen in Moscheegemeinden über vier Jahre hinweg zu beobachten. Aber auch Cafés, islamische Bibliotheken, Fußballfelder und Social-Media-Gruppen wurden dabei unter die Lupe genommen. 

Rougier beschreibt in seinem Buch „Die vom Islamismus eroberten Gebiete“ detailliert, wie religiöse Agitatoren, vor allem den Problemvierteln ihre Wertvorstellungen aufzwingen. Frauen ohne Schleier riskierten dort, auf offener Straße vergewaltigt zu werden.

 Wie kürzlich das Journal de Dimanche (JDD) berichtete, sollen nach einer geheimen Analyse des Inlandsgeheimdienstes (DGSI) bereits 150 Gebietskörperschaften in der Hand von Islamisten sein. Darunter zu verstehen ist zum Beispiel, daß dort „störende Personen“ ohne Aussicht auf wirkungsvollen staatlichen Schutz zum Wegzug genötigt werden oder die Wohnungsvergabe von Angehörigen der Moscheegemeinden kontrolliert wird. Die jeweiligen Bürgermeister sind ohne Zustimmung der jeweiligen Moschee nicht mehr handlungsfähig.

Aber abgesehen von den Vorstädten von Paris, Lyon und Marseille, die bekanntermaßen von dem Phänomen betroffen sind, stehen mehrere Städte im nördlichen Departement Nord im Visier des Inlandsgeheimdienstes. In Maubeuge beispielsweise erhielt die Union der französischen Muslimdemokraten (UDMF) in einem Wahllokal 40 Prozent der Stimmen. 

Eine „alarmierende Situation“, ähnlich der im Ballungsraum Denain oder in Roubaix, wo „die Situation beunruhigende Ausmaße annimmt“, erklärte ein vom JDD zitierter Präfekt. Zu diesen vom salafistischen Islam „gehaltenen“ Gebieten gehören auch weniger erwartete Körperschaften, wie etwa in der Haute-Savoie oder in den Gemeinden Ain, Annemasse, Bourg-en-Bresse, Oyonnax oder Bourgoin-Jallieu. 

Angesicht der Ausmaße will die Regierung Emmanuel Macron den betreffenden Stadtregierungen einen Aktionsplan vorlegen. Doch zwischen dem Anstieg des Phänomens, der Abschottung der Verwaltungen und der „Gefahr der Stigmatisierung der Muslime“ erweist sich die Aufgabe mehr als heikel.