© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/20 / 31. Januar 2020

Von Finsterlingen und Lichtgestalten
Eine ebenso fremde wie vertraute Welt: Zur dritten Staffel der Fernsehreihe „Babylon Berlin“
Karlheinz Weißmann

Das erste Bild zeigt den Innenraum der Berliner Börse. Kriminalkommissar Gereon Rath (Volker Bruch) taumelt durch eine chaotische Szenerie. Der Boden ist bedeckt von Papier, das außerdem wie übergroße Schneeflocken durch die Luft wirbelt. Schreibtische und Pulte sind verlassen. Da oder dort sitzt ein Verzweifelter auf dem Boden, und als Rath die Haupttreppe hinuntergeht, hört man ein unheilvolles Geräusch, sieht dann ein paar Schuhe am Rand des Bildschirms auftauchen, bevor die Kamera den Körper des Mannes emporfährt, der sich am Geländer erhängt hat.

Das Ganze stimmt ein auf die Endphase der Weimarer Republik. Beginnend mit dem „Schwarzen Freitag“ 1929, der zuerst eine Börsen-, dann eine Banken-, dann eine Wirtschafts-, dann eine soziale und schließlich eine Staatskrise auslösen wird, die zum Zusammenbruch führt. Das ist der Hintergrund der dritten Staffel von „Babylon Berlin“, die Bühne, auf der agiert wird. Der Selbstmord des „Börsenjobbers“ nimmt jedenfalls nur den Todesfall vorweg, um den es eigentlich geht, als ein herabstürzender Scheinwerfer eine Filmdiva erschlägt. Das Ganze soll als Unfall erscheinen. Aber der Zuschauer weiß mehr als die Polizei. Er konnte den Täter dabei beobachten, wie er den Anschlag vorbereitet und im entscheidenden Augenblick die Befestigung des Scheinwerfers löst. Indes erscheinen die Umstände auch den ermittelnden Beamten unter Führung Raths rasch verdächtig. Und dann öffnen sich die Abgründe unter der Oberfläche des glitzernden Großstadtlebens: Gewalt, Organisierte Kriminalität, Korruption.

Das Geschehen entwickelt sich wie das übrige Geschehen wieder in jenen atemberaubenden Kulissen, die schon das Kennzeichen der beiden ersten Staffeln von „Babylon Berlin“ waren. Die Besetzung ist bis in die Nebenrollen hinein überzeugend. Manche Gestalten, wie etwa Jördis Triebel als kommunistische Armenärztin, haben selbst dann eine ungewöhnliche Präsenz, wenn sie nur ganz kurz auftreten.

Dem Zuschauer wird also Unterhaltung auf hohem Niveau geboten. Weshalb wahrscheinlich auch die Leser der der Serie zugrundeliegenden Romane von Volker Kutscher verschmerzen dürften, daß sich die Geschichte, die hier erzählt wird, und die Hauptpersonen – neben Rath die Kriminalassistentin Charlotte „Charly“ Ritter (Liv Lisa Fries) – weit von der literarischen Vorlage entfernt haben.

Die pädagogische Absicht ist ein Ärgernis

Solcher Umgang mit dem Stoff ist jedenfalls nicht das Ärgernis, das „Babylon Berlin“ erregt. Das liegt vielmehr in der pädagogischen Tendenz. Die kommt weder aufdringlich noch plakativ daher. Was die Sache aber nicht besser macht. Denn subkutan wird verabreicht, was zur gerade gültigen politisch-korrekten Agenda gehört. Ganz frei von solcher Absicht sind auch die Bücher Kutschers nicht. Aber sie zeichnen sich doch durch die Bereitschaft aus, die üblichen Vorstellungen fallweise gegen den Strich zu bürsten.

Davon ist in „Babylon Berlin“ nichts übriggeblieben. Hier hat man es, wie der Kulturjournalist Kurt Scheel schon im Hinblick auf die beiden ersten Staffeln meinte, mit jener „deutschen Scheiße“ zu tun, „deren Ursünde die volkspädagogische Gutgemeintheit ist“. Also wird mit größter Selbstverständlichkeit das Geschichtsbild transportiert, das heute zum Selbstverständnis der Meinungsmacher gehört: Schon Anfang der 1930er Jahre von ketzerischen und orthodoxen Marxisten entwickelt, erlebte es erst nach dem Krieg seinen Durchbruch, wurde in der gröberen Version von der DDR, in der subtileren von den jungen Progressiven im Westen aufgegriffen und dann an ganze Heerscharen von „Multiplikatoren“ weitergegeben.

Gegenentwurf zur Realität nach dem Ersten Weltkrieg

Gemeint ist jene Erzählung vom Ende der ersten deutschen Demokratie durch ein Komplott. Weder Moskau noch Versailles, weder Ruhrbesetzung noch dauernde Demütigung, weder Inflation noch „Hungerkanzler“, weder das enttäuschende Personal der Republik noch die Unkalkulierbarkeit des Wählers haben Weimar scheitern lassen. Die Verantwortung trugen vielmehr Großkapital und Reaktion, die sich fürs Grobe ein paar braune Schlägertrupps hielten.

Dementsprechend werden die Repräsentanten dieser Gruppen im Film gezeichnet: Egoisten großen Stils oder Borderliner – wirklich unheimlich Lars Eidinger als Alfred Nyssen (wohl gemeint als Kreuzung aus Fritz Thyssen + Alfried Krupp) – Zyniker, Bornierte oder Sadisten, die sich zwecks Rechtfertigung eine Ideologie gesucht haben.

Und damit auch gar kein Zweifel über die Moral besteht und noch der letzte begreift, daß der Schoß fruchtbar ist, wollen die bösen Rechten „ihr Land zurück“ und der „Lügenpresse“ das Maul stopfen. Allesamt Finsterlinge, mit denen verglichen selbst Gangster irgendwie menschlich-sympathisch erscheinen, während als Lichtgestalten nur kleine Leute, Frauen, Linke oder Angehörige verfolgter Minderheiten in Frage kommen.

Sie stehen auch für einen Gegenentwurf zur Realität der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, der offenbar viel vom Reiz der Reihe ausmacht. Denn geboten wird eine ebenso fremde wie vertraute Welt: glitzernd, unübersichtlich, modern, temporeich, hedonistisch. Florian Illies hat in einem Essay der aktuellen Ausgabe der Zeit zwar auch die dunklen Seiten dieser Vergangenheit zugestanden, aber es bleibe dabei: „Wir sehnen uns nach den Zwanzigerjahren“, denn der Haupteindruck sei der von „Glamour … und Klasse, Rasanz und Grandezza“.

Das ist nur konsequent angesichts einer Ausrichtung, die die bundesdeutsche Kulturpolitik seit langem nachhaltig bestimmt. Was als „Asphaltliteratur“, „Schmutz und Schund“, „Zersetzung“ und „Entartung“ verfemt worden war, wurde ganz bewußt zum Maßstab erhoben. Bauhaus, Abstraktion, Expressionismus, DaDa, der frühe Benn, Tucholsky, Grosz, Kollwitz und Josephine Bakers Bananentanz standen für das, was zu Unrecht verurteilt worden war. Deshalb findet sich auch bei Flories Illies der sehnsüchtige Wunsch, daß es hätte anders kommen sollen: wäre es gelungen, die Macht der „dunklen Gründerzeitseligkeit“, der „Holzvertäfelungen“, der „bräsigen Behaglichkeit“, des „Muffs“, der „Häkeldeckchen“ und der „wuchernden Zimmerpflanzen“ über die Gemüter zu brechen. Daß das stimmt, darf man bezweifeln. Wenn der Optik von „Babylon Berlin“ sonst kein Kompliment zu machen ist, dann doch das: Man sieht, da war kein Gold, sondern nur Talmi.

Die dritte Staffel von„Babylon Berlin“ ist auf dem Bezahlsender Sky zu sehen.

 https://babylon-berlin.com/de/