© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/20 / 31. Januar 2020

Am Ende wird Honig ausgetauscht
Kulturtransfer im 17. Jahrhundert: Das Badische Landesmuseum stellt Kaiser und Sultan geschichtspolitisch korrekt als Nachbarn in der Mitte Europas dar
Felix Dirsch

Die Schlachten zwischen europäischen und osmanischen Streitkräften in der frühen Neuzeit, vornehmlich bei Lepanto 1571 und vor den Toren Wiens 1683, waren über längere Zeiträume hinweg Teil des abendländischen Geschichtsgedächtnisses. Ein ausschließlich konfrontativer Blick ist heute nicht mehr angesagt, um so mehr es mitunter auch Bündnisse zwischen Verfeindeten gegeben hat, auf die der Blick (geht es nach den Karlsruher Ausstellungsinitiatoren) gerichtet werden soll. Dieses Mit- und Gegeneinander regt zu neuen Überlegungen an. Sie wollen der heutigen multikulturellen Realität gerecht werden, nicht zuletzt vor dem Hintergrund von unablässigen Flüchtlingsströmen auf der Balkanroute.

Angesichts dieser aktuellen Geschehnisse bietet es sich an, jene ausgedehnten Regionen in Mittel- und Südosteuropa zu betrachten, in denen Angehörige der christlichen und der islamischen Religion Jahrhunderte Kontakte pflegten – mal kriegerisch, mal friedlich. Besonders das dreigeteilte Ungarn und der Balkan stellten einen wichtigen, stark umkämpften Transitraum zwischen dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und dem Reich der Osmanen dar. 

Grund genug, die Schätze der „Karlsruher Türkenbeute“, die zum Bestand des Badischen Landesmuseums zählt, und die Exponate der „Türkischen Cammer“ aus der Rüstkammer der Staatlichen Kunstsammlung Dresden zu durchforsten und festzustellen, was sich zum hundertsten Geburtstagsjubiläum der altehrwürdigen Karlsruher Einrichtung 2019 eignet. Bei vielen der rund 320 Kunstwerke handelt es sich um Beutegüter, gelegentlich auch um Geschenke. Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden (Türkenlouis“), der Sieger der Schlacht von Slankamen bei Belgrad, brachte von den „Türkenkriegen“ besonders wertvolle Trophäen nach Hause. 

Der Besucher findet eine Präsentation vor, die das Bild einer fremden, aber dennoch weithin harmonischen Welt suggeriert, die so harmonisch aber wohl nicht gewesen sein kann. Ein bekannter Kupferstich von 1682, angefertigt in Frankfurt am Main, zeigt Kaiser Leopold I. und Sultan Mehmed IV. an der Seite eines Monuments, beide mit einem Schwert bewaffnet. Dessen ungeachtet wollen die Ausstellungsmacher unbedingt das Bild eines mit dem Fremden eng verbundenen 17. Jahrhunderts, angeblich ein Zentennium globaler Verflechtungen, hervorkehren.

Zu den dargestellten Perioden zählt der Lange Türkenkrieg (1593–1606). Hauptsächlich ging es dabei um Versuche der Fürsten Siebenbürgens, der Moldau und der Walachei, sich der osmanischen Oberhoheit zu entziehen. Der Kaiser errang eher bescheidene Siege. Einer der Gründe dafür waren konfessionelle Binnenkonflikte, die besonders in Ungarn einen Aufstand der Protestanten zur Folge hatten. Dieser mußte zuerst von den Habsburgern niedergeschlagen werden. Am Ende diverser Kriege und unübersehbarer Erschöpfungszustände der Krieger stand ein Friedensschluß. Der Sultan erkannte den Kaiser als gleichberechtigt an.

Eine Fülle an Exponaten aus dem militärischen, aber auch aus dem alltäglichen Bereich bietet Einblicke in das Leben der Zeitgenossen. Es finden sich Krüge, Kelche, Säbel, Faltbecher („Coffee to go“), Tassen, sonstige Gefäße, Koch-utensilien, verschiedener Schmuck und vieles mehr. Besonders hinzuweisen ist auf den Turbanhelm mit seiner geriffelten Helmglocke und der abgeplatteten konischen Zierspitze, der im Mittelalter in osmanisch beherrschten Gebieten bekannt war und vielfach später imitiert wurde. Weiter zählt zu den Attraktionen der Schau ein 1811 zum badischen Zepter umfunktionierter Buzogan, ein keulenähnlicher Streitkolben. Diesen schuf 1625 ein Goldschmied aus Siebenbürgen. Wohl der Höhepunkt der Darstellung ist das große blaue Zelt, das zuerst von König Johann III. Sobieski benutzt und später von den Osmanen erbeutet wurde.

Die volkspädagogische Botschaft ist eindeutig

Multimedial werden Flüchtlingsrouten und damalige Migrantengruppen dargestellt. Der Austausch war in der Tat vielfältig. Wissen, Waffen und Güter aller Art, etwa Kaffee oder der Buchdruck, wechselten von West nach Ost oder umgekehrt. Fast schon emphatisch wird von den Kuratoren die „Türkenmode“ an einigen europäischen Höfen hervorgehoben. Die Botschaft ist eindeutig: Das Fremde faszinierte zu allen Zeiten!

Zu den diversen Bereichen, die auf dieser Linie liegen, gehören die Janitscharen, die eine Art internationale Elitetruppe bildeten. Sie stammten von christlichen Völkern ab, wirkten aber an osmanischen Höfen und waren bei Freund und Feind gefürchtet. Eine der sufischen Gemeinschaften, der Bektaschi-Orden, der auch kurdisch-jesidische und buddhistische Glaubenselemente erkennen läßt, gewährte den Janitscharen geist-liche Heimat.

Eine weitere Zäsur bedeutet der Große Türkenkrieg (1683–1699). Kaiser Leopold konnte führende europäische Häupter und Heerführer (wie König Johann III. Sobieski) als Unterstützer gewinnen. Deren Gegenspieler auf osmanischer Seite, Kara Mustafa Pascha, zog schließlich unter dem Jubel ganz Europas den kürzeren und mußte mit seinen Truppen fliehen. In den Folgeschlachten drangen die christlichen Verbündeten tief auf den Balkan vor. Zu den großen Siegern zählte der legendäre Oberbefehlshaber des kaiserlichen Heeres, Prinz Eugen. Irgendwann ermüdeten die Kämpfer. Anläßlich des Friedensvertrages von Karlowitz 1699 tauschten die Signatare (Osmanisches Reich, Kaiserreich, Polen und Venedig) Gesandte und Geschenke, darunter auch Honig. Als multireligiösen und -kulturellen Diskurs kann man diese Gespräche höchstens beschönigend im Sinne neuer transkultureller Dispositive der Geschichtswissenschaft einstufen. Aus Sicht der damaligen Zeit dürfte es sich eher um Verschleierungstaktiken zukünftiger Absichten gehandelt haben. Der langsame kulturelle Niedergang des Osmanischen Reiches zeichnete sich am Horizont überaus deutlich ab. 

Weniger die volkspädagogische Grundintention der Schau als vielmehr die Fülle der Exponate laden zum Besuch ein. Vornehmlich die vielen Waffen und etliche Schlachtenbilder belegen, daß Kriegsgesellschaften, die mitunter auch längere Zeiten in Frieden und wechselseitigem Austausch existieren konnten, nicht einfach in Zivilsozialitäten umfunktioniert werden können, weil man multikulturelle Gemeinwesen Jahrhunderte später legitimieren will. 

Die Ausstellung „Kaiser und Sultan – Nachbarn in Europas Mitte 1600–1700“ ist bis zum 19. April im Schloß Karlsruhe täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der Katalog kostet im Museum 29,90 Euro.

 www.landesmuseum.de/