© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/20 / 31. Januar 2020

Budapest und die Bürgerkriege der Zukunft
Feinde in unseren Mauern
David Engels

In Europa gehen wieder einmal die Lichter aus: Was zählt, sind Haltung und Gesinnung; Zweifel am eingeschlagenen Weg zu üben oder gar falsche Fragen zu stellen, kann leicht in das mediale, berufliche und manchmal auch familiäre Abseits führen. Wer sich aber als Waldgänger übt und lange Zeit in der inneren Emigration lebt, kennt die sich unvermeidbar einstellenden Selbstzweifel angesichts einer Umwelt, die es nur noch wagt, nach außen hin ein systemkonformes Gesicht zu zeigen: Sind wir tatsächlich die einzigen Querdenker; liegt der Denkfehler ja vielleicht doch bei uns?

Wer sich diese Fragen stellt, dem sei eine Reise in die Visegrád-Staaten Polen, Ungarn, Tschechische Republik und Slowakei empfohlen. Dort wird er nicht nur zu seiner Erleichterung, sondern gewissermaßen auch zu seinem Schrecken feststellen, daß seine scheinbare Einzelmeinung dort Mehrheitsmeinung ist und er somit mit seinen Befürchtungen also leider doch nicht abseits jeder menschlichen Vernunft steht …

Denn in der Tat: Anstatt sich in wöchentlich steigender Hysterie und entgegen jeglicher wissenschaftlichen Vorsicht um das Weltklima zu sorgen und gar zwangsstaatliche Maßnahmen einzufordern, um durch deutsche Windräder und freiwillige Selbstdeindustrialisierung „irgendwie“ den ganzen Planeten zu retten, bekümmert man sich im Osten viel eher um ein erheblich naheliegenderes und wohl auch global wichtigeres Thema: um die Selbstabschaffung der abendländischen Zivilisation durch demographischen Selbstmord, von oben verordneten Multikulturalismus, Islamisierung, Demokratieabbau, Sittenverfall, Kriminalitätsanstieg und Masseneinwanderung. Man sucht dort nach Mitteln und Wegen, die kommende Krise realistisch einzuschätzen und zumindest Ostmitteleuropa vor dem Schlimmsten zu bewahren. Aus der Zahl jüngerer Veranstaltungen darüber sei eine besonders repräsentative Tagung herausgegriffen.

In Budapest wurde am 22. November 2019 eine Konferenz veranstaltet, welche in dieser Form wohl kaum in Westeuropa hätte organisiert werden können, ohne massive Störungen oder sonstige Konsequenzen nach sich zu ziehen: Auf Einladung des Civitas-Zentrums, der Századvég-Stiftung, eines Partners der Konrad-Adenauer-Stiftung in Budapest, und des Migrációkutató Intézet (Migration Research Institute) trafen sich mehrere internationale Experten im Bereich der Islam- und Konfliktforschung sowie der Geschichtswissenschaft (darunter der Verfasser dieses Beitrags), um die konkreten Konsequenzen aus der Überfremdung und Islamisierung vieler westeuropäischer Großstädte zu ziehen und mögliche Zukunftsszenarien zu diskutieren. Nach der offiziellen Eröffnung der Veranstaltung durch Zsolt Németh, den früheren ungarischen Vize-Außenminister, fanden Vorträge und Diskussion unter weitgehendem Ausschluß der Öffentlichkeit und unter der Chatham-Haus-Regel statt, so daß auch hier nur ganz allgemein über die Tagung berichtet werden darf.

Die beiden Extremmöglichkeiten einer vollständigen Verdrängung beziehungsweise Assimilation der einheimischen beziehungsweise zugezogenen Bevölkerungsanteile können beide auch langfristig als gleichermaßen

unrealistisch gelten. 

Immerhin ergab sich folgendes Bild: Der Vorgang einer weitgehenden Verdrängung der einheimischen Bevölkerung aus den Ballungs- und Entscheidungszentren Westeuropas und ihrer Ersetzung durch meist arme, schlecht integrierte und zunehmend radikalisierte muslimische Gruppen ist erheblich weiter fortgeschritten als gemeinhin angenommen.

Die gegenwärtigen Konsequenzen dieser Entwicklung – Anstieg der Kriminalität, Verelendung ganzer Viertel, Terrorgefahr, Einrichtung von Parallelgesellschaften, Islamisierung europäischer Jugendlicher und No-go-Zonen – sind aber nur der Anfang, keineswegs der Höhepunkt der Krise. Denn selbst der gegenwärtige (sehr relative) „Frieden“ zwischen den Bevölkerungsgruppen ist nur möglich dank stetig steigender Sozialausgaben zugunsten jener rapide wachsenden Gesellschaften. Sollte es aber eines Tages, wie zu erwarten, zu einem ernsten wirtschaftlichen Einbruch kommen, in dessen Folge der Staat auf dem Feld der Arbeitslosen- und Kindergelder, der Renten und der Krankenversicherungen erhebliche Kürzungen durchsetzen muß, ist mit ernsten Verwerfungen zu rechnen.

Es war eine sowohl interessante als auch verstörende Erfahrung jener Tagung, daß alle Redner, obwohl sie ihre Forschungsergebnisse unabhängig voneinander entwickelt hatten, in ihren Hypothesen bezüglich der kommenden Ereignisse weitgehend übereinstimmten. Zunächst wurde angenommen, daß die befürchteten Bürgerunruhen schleichend und progressiv, nicht aber punktuell und explosiv sein und sich über einen längeren, bis zu 20 Jahren reichenden Zeitraum entfalten werden, da die nächste Wirtschaftskrise von langer Dauer sein werde, das aufgestaute Konfliktpotential mittlerweile gewaltig sei und die politischen Institutionen sowohl auf nationaler wie auch europäischer Ebene in ihrer gegenwärtigen Form unfähig zu einer echten Problemlösung seien.

Ferner bestand Klarheit darüber, daß die Frontenstellung chaotisch und überlappend sein werde: Wenn auch der Konflikt zwischen der islamisierten und nicht-islamisierten Bevölkerung ein wesentlicher Faktor sein dürfte, werde doch auch der Konflikt zwischen reich und arm, alt und jung, Stadt und Land, liberal und konservativ eine wichtige Rolle spielen und könne zu überraschenden Querfronten führen. Der eigentliche Hauptgegner der Konservativen sei allerdings nicht der Islam, sondern vielmehr jene linksliberalen Kräfte, welche erst die gegenwärtige Masseneinwanderung und kulturelle Selbstauflösung ermöglicht hätten.

Betroffen werden wohl wesentlich die Zentren der großen Städte sein, wo es zu jahrelangen endemischen Unruhen mit Episoden extremer Gewalt und Zerstörung kommen werde, denen die Polizeikräfte nur wenig entgegenzusetzen hätten, zumal anzunehmen sei, daß Polizei und Armee aufgrund ihres stetig steigenden Migrationshintergrunds in ihrer Treue zu Staat und Regierung sehr gespalten sein und daher als einheitlicher Akteur ausfallen werden. Die allgemeine Unsicherheit werde daher zu einer zunehmenden Bedeutung des Selbstschutzes führen, wo religiöse Vereinigungen, Wirtschaftskonzerne und paramilitärische Gruppen immer ausgedehntere, autonom funktionierende Parallelgesellschaften errichten werden, während der Staat selbst sich nur noch auf einige wenige Kernfunktionen beschränken werde.

Der politische Kampf werde sich daher zunehmend auf die Ebene des Konflikts zwischen jenen in sich abgeschlossenen und einander weitgehend feindlich gegenüberstehenden Gruppen verlagern, so daß sich Sachfragen zunehmend in Machtfragen auflösen und charismatische Individuen an die Stelle ideologisch definierter Parteien treten werden.

Was aber folgt aus diesen Befürchtungen für die Zukunft? Allgemein bestand Einstimmigkeit, daß eine solche länger andauernde Zeit von Bürgerunruhen zumindest in Westeuropa kaum zu vermeiden sei. Auch stehe zu befürchten, daß sich die Tragweite der Krise und der zu befürchtenden Ausschreitungen angesichts der gegenwärtigen politischen Paralyse zumindest in der Anfangszeit nicht wirkungsvoll eindämmen lassen werde.

Mittel- bis langfristig wurden allerdings mehrere Szenarien entwickelt. Die beiden Extremmöglichkeiten einer vollständigen Verdrängung beziehungsweise Assimilation der einheimischen beziehungsweise zugezogenen Bevölkerungsanteile können beide auch langfristig als gleichermaßen unrealistisch gelten: Ersteres aus evidenten demographischen Gründen, letzteres, weil es als wahrscheinlich zu gelten habe, daß die westeuropäische Bevölkerung nach den Erfahrungen von Totalitarismus und Genozid jegliche Form von massiver kollektiver Gewaltanwendung und bewußter Ausweisung einer Bevölkerungsgruppe ablehnen werde, wobei die demographischen Projektionen ein solches Unterfangen ohnehin logistisch unmöglich machen würden.

Es ist für den gegenwärtigen Stand der Dinge bezeichnend, daß eine solche Tagung in Budapest und nicht etwa dort, wo sie dringend benötigt würde, also in Paris, Brüssel oder Berlin, stattfand. Gefallen dürften die hier skizzierten Aussichten wohl niemandem.

Auch der von seiten einiger konservativer Parteien eingeforderte Versuch einer einseitigen Streichung finanzieller Mittel für Einzelgruppen mit Migrationshintergrund müsse aus besagten Gründen als unrealistisch ausscheiden und wäre auch juristisch im gegenwärtigen rechtsstaatlichen Rahmen nicht durchzusetzen.

Es sei daher eher davon auszugehen, daß am Ende einer längeren Periode endemischer Unruhen, welche sich durch den Zerfall von Staatlichkeit, die Banalisierung von Gewalt, die Selbstabschaffung parlamentarischer Demokratie und den Aufbau paralleler Ordnungssysteme kennzeichnen werde, schließlich ein unsicherer Waffenstillstand stehen werde, bei dem die erschöpften Gegner sich schließlich jener Gruppierung unterwerfen werden, welche den besten Kompromiß ermögliche und über die notwendigen Mittel verfüge, diesen auch mit Zugriff auf Gewalt langfristig zu sichern.

Dies müsse während der schweren kommenden Zeiten in West- und Osteuropa zu unterschiedlichen politischen Prioritätensetzungen führen: Im Osten werde es darauf ankommen, möglichst unbeschadet die Krise zu überstehen und jeglichen Versuch abzuweisen, durch zwangsstaatliche Maßnahmen etwa seitens der EU in angebliche „Problemlösungen“ wie Migrantenverteilungen, Bargeldabschaffung, zunehmende Kompetenzübertragung nach Brüssel oder Euro- und Schulden-Stabilisierungsmaßnahmen einbezogen zu werden, um dadurch während der Krise ein sicherer Hafen und danach ein handlungsfähiger Kristallisationspunkt für den Wiederaufbau werden zu können.

Für konservative Kräfte im Westen allerdings werde es eher darauf ankommen, einen Ausbruch der unausweichlichen Krise nicht wie bisher mit allen Mitteln verhindern oder hinausschieben zu wollen und somit ungewollt dem auf Zeit spielenden politischen Gegner zuzuarbeiten und das sich stetig anhäufende Potential nur noch zu vergrößern.

Ganz im Gegenteil: Sobald die bittere Wahrheit akzeptiert wird, daß eine größere Krise nicht mehr zu vermeiden ist, da der dazu nötige politische und gesamtgesellschaftliche Umschwung, wenn überhaupt, dann ohnehin zu spät kommen würde, wird es, wie bei einer kontrollierten Sprengung, geradezu zu einer sittlichen Verpflichtung, sich auf die neuen Gegebenheiten einzustellen, ja gar auf eine möglichst baldige klare Manifestierung des Konflikts zu hoffen, um somit die Agonie der europäischen Bevölkerung auf ein Minimum zu begrenzen und sich auf eine lange und schwere Zeit lokalen Widerstands, geistiger Wiederentdeckung abendländischer Werte und allmählichen Wiederaufbaus einrichten zu können.

Es ist wohl für den gegenwärtigen Stand der Dinge bezeichnend, daß eine solche Tagung in Budapest und nicht etwa dort, wo sie dringend benötigt würde, also in Paris, Brüssel oder Berlin, stattfand. Gefallen dürften die hier nur kurz skizzierten Aussichten wohl niemandem, im Osten Europas ebensowenig wie im Westen. Aber, so der allgemeine Tenor, je schneller und realistischer alle beteiligten Kräfte sich auf jene Perspektiven einrichten, desto besser die Aussicht, zumindest den Geist unserer abendländischen Zivilisation über die nächsten Jahrzehnte hinaus zu retten und eine wahrhafte „Renovatio Europae“ zu bewerkstelligen.






Prof. Dr. David Engels, Jahrgang 1979, ist Professor für Römische Geschichte in Brüssel und forscht am Instytut Zachodni (West-Institut) in Posen.

David Engels (Hrsg.): Renovatio Europae. Plädoyer für einen hesperialistischen Neubau Europas. Edition Sonderwege bei Manuscriptum, 224 Seiten, geb., 12,80 Euro

Foto: Besucher in einer Berliner Moschee:  „Der gegenwärtige relative ‘Frieden’ zwischen den Bevölkerungsgruppen ist nur möglich dank stetig steigender Sozialausgaben zugunsten rapide wachsender Empfängergesellschaften.“