© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/20 / 31. Januar 2020

Keiner traute dem anderen
Vor 75 Jahren verabredeten die alliierten Siegermächte in Jalta auf der Krim die Zukunft Europas
Stefan Scheil

Es waren altgediente Männer, die sich im Februar 1945 auf der Halbinsel Krim trafen. Die „Großen Drei“ nannte man sie, weil sie als Staats- und Regierungs-chefs der drei Siegerstaaten die Weltpolitik der zu Ende gehenden Kriegszeit verkörperten. Seit Jahrzehnten hatten Winston Churchill, Franklin Roosevelt und Josef Stalin um die „Welt“ und deren kriegerische Neugestaltung gekämpft. Bereits während der Kriegsjahre 1914/18 taten sie dies in wichtigen Positionen und danach weiter, in systembedingt unterschiedlichen Karriereverläufen. Im Badeort Jalta auf der Halbinsel Krim fielen für diesen Personenkreis der Höhepunkt und das Ende dieser Ära zusammen.

Passenderweise hatte man für dieses Treffen einen Ort am Rand der damaligen politischen Welt ausgesucht und blieb unter sich. 1919 waren zu vergleichbaren Verhandlungen im Zeichen von Demokratie noch Delegationen aus vielen Staaten, Tausende Mitarbeiter und eine Heerschar von Journalisten nach Paris eingeladen worden. Auf solchen Anschein wurde nun verzichtet. 

Josef Stalin verließ die Sowjetunion oder den unmittelbar durch sie kontrollierten Bereich ohnehin lieber nicht. Er ließ den „Westen“ stets weite Wege gehen, 1943 ins iranische Teheran, später in das sowjetisch besetzte Potsdam oder eben nach Jalta. Das lag 1945 für einen behinderten Rollstuhlfahrer wie den US-Präsidenten Roosevelt nun nicht gerade um die Ecke, sondern elftausend Kilometer von Washington entfernt. Vor den Zeiten des Kontinentalflugs mußte dies per Schiff und in Einzelstrecken in der Luft bewältigt werden. Roosevelt erschöpfte sich denn auch in diesen Tagen zusätzlich, was zu seinem Tod zwei Monate später beigetragen hat.

Später wurde viel spekuliert, ob ein gesunder US-Präsident ein anderes Ergebnis erzielt hätte. Schließlich legte die Konferenz von Jalta scheinbar die Basis für einen endlosen Kalten Krieg in Europa und der Welt. Das östliche Mitteleuropa fiel in die Hände des sowjetischen Kommunismus, ein Zustand, der für Jahrzehnte ohne Aussicht auf Veränderung festgeschrieben schien. Andererseits gelang es den Westmächten in Jalta um einen vergleichsweise geringen Preis, wichtige industrielle Zentren der Welt in Europa und Japan ihrem Zugriff zu sichern. Den Zugriff auf das Mittelmeer, sowjetische Stützpunkte in Dänemark und die anderen Ausgangsbasen in die weite Welt, die 1940 von der Sowjet-union in Berlin gefordert worden waren, sie fehlten 1945. Das sowjetische Imperium blieb gewaltig, aber geopolitisch isoliert. In Europa die Deutschen unten und die Russen draußen, das wurde später als geflügeltes Wort dem ersten Nato-Generalsekretär Hastings Ismay zugeschrieben. Formuliert hatte es 1943 aber auch schon Averell Harriman, bald darauf US-Botschafter in Moskau. 

Ist der Hintergrund dieser Szenerie ausgeleuchtet, werden die brutalen und bigotten Züge einer ausgehenden Kriegsära besser erkennbar. Es bogen sich zwar die Tische vor Speisen, Sekt und Kaviar. Man prostete sich ausgiebig zu, aber keiner der Verhandlungspartner traute dem anderen. Während Stalin treuherzig die Verpflichtungserklärungen unterschrieb, in seinem Machtbereich künftig „Demokratie“ zuzulassen, gab er seiner Umgebung zu verstehen, in zehn Jahren den nächsten Weltkrieg zu planen: „Wir werden es noch einmal probieren.“ Ein beachtlicher Teil des inneren Kreises der US-Delegation stand unter dem Einfluß der Sowjets und tat sein Bestes, um dafür eine gute Ausgangsstellung zu schaffen. 

Völkerrechtliche Belange spielten nur eine Nebenrolle

Während der Brite Winston Churchill andererseits so tat, als würde er Stalin in diesem Punkt trauen, ließ er im Verborgenen die „Operation Unthinkable“ planen, den möglichen Angriff auf die Sowjetunion mit Hilfe deutscher Truppen. Man feierte sich und plante gleichzeitig den nächsten Konflikt und ebenso den Völkermord zur finalen Sicherstellung des Erfolgs, wie etwa den an den Ostdeutschen, die es als solche nach übereinstimmender Konferenzmeinung auszulöschen galt. 

Millionen Existenzen wurden auf dem Tisch hin und her geschoben, ungebremst von irgendwelchen völkerrechtlichen Fassaden. Sorgfältig vermied die letztlich verabschiedete Schlußerklärung die Staatsbezeichnung des Kriegsgegners und nannte ein ominöses „Deutschland“ als Gesprächsgegenstand, das erheblich kleiner werden und allerhand zahlen solle. Gegen die Zusage für ein beachtliches Stück Landbesitz in Ostasien ließ sich Stalin dann noch überreden, einen weiteren von ihm geschlossenen Nichtangriffsvertrag zu brechen, den mit Japan.  

Wäre es nach den anwesenden Herren gegangen, hätte der Krieg kein Ende gefunden. Auf dem Heimflug von Jalta erreichten Churchill die Nachrichten über die völlige Vernichtung der deutschen Stadt Dresden. Das empfand er als überaus befriedigend. Die zum Kriegsende immer mehr freiwerdenden Bomber seien nun nach Indien zu schicken, zur Ausrottung der dortigen Bevölkerung, die nach seiner Ansicht überflüssig sei und keine weitere Existenz verdiene, erklärte er seinem Sekretär.

Für Churchill und Roosevelt nahte das Ende ihrer Kriegsära jedoch ziemlich bald nach der Konferenz von Jalta. Der Präsident starb zwei Monate später. Die britischen Wähler nutzten ihre erste Gelegenheit und jagten Winston Churchill im Juli 1945 aus dem Amt, der nie vorher in einer öffentlichen Wahl als Regierungschef kandidiert hatte. Der unantastbare Stalin hatte noch ein paar Jahre, bis auch ihn der Tod im Amt dahinraffte, aber aus seinem neuen Anlauf zum Weltkrieg wurde ebenfalls nichts mehr. Mehr als die Errichtung realsozialistischer Diktaturen in Osteuropa gelang ihm nicht. Es kamen andere Akteure und neue Fragestellungen, oft keine schönen, aber neue. Der dreißigjährige Krieg seit 1914 blieb ein dreißigjähriger.