© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/20 / 31. Januar 2020

Der Flaneur
„Spinning“ in die Achtziger
Gil Barkei

Der Weihnachtsspeck soll runter; stereotyper geht’s kaum. Ein Freund kann dank eines perfekt für diese Zeit der guten Vorsätze zugeschnittenen Angebots eine Person in sein Sportstudio mitnehmen. Nun strampeln wir keuchend nebeneinander auf zwei festmontierten Trainingsrädern, während von außen der Regen gegen die beschlagene Glasfront prasselt. Unabhängig vom miesen Wetter wäre Radeln durch die Natur momentan ohnehin kaum möglich, da mir zum Start ins neue Jahr der Drahtesel am U-Bahnhof gestohlen wurde. 

Damals konnte man noch in der Bahn einschlafen, ohne daß alle Sachen geklaut wurden.

Auch im kleinen stickigen Raum fürs „Spinning“ – wie man Radfahren in der Muckibude anscheinend mittlerweile nennt – scheinen Tropfen unter der Decke zu hängen. Um uns herum schwitzen Männer und Frauen mittleren Alters, manche mit professionellen Radlerhosen, -trikots und -klickschuhen. Mit leichtem französischem Akzent ruft der Trainer „Und jetzt nochmal richtig Gas geben! Tretet im Rhythmus der Musik!“ und dreht den Achtziger-Mix voll auf. 

„Das waren noch Zeiten. Damals bin ich nach Berlin gekommen“, erzählt er in der Lockerungsphase danach. „Da konnte man noch als junger Mensch nach dem Feiern in der Bahn einschlafen, ohne daß gleich das Portemonnaie geklaut wurde.“

Die Einheit ist geschafft, endlich duschen. Als wir zurück zu unseren Spinden und den Umkleidebänken kommen, wird mein Kumpel plötzlich hektisch: „Das kann doch nicht wahr sein, wo sind meine Schuhe und meine Hose?! Wer klaut bitte total verschwitzte Sportklamotten?!“ Auch durch genaues Suchen und Nachfragen am Schalter tauchen die Sachen nicht mehr auf. In meinem inneren Ohr erschallen wieder die Achtziger-Klänge und die Worte des Spinningtrainers. Und ich nehme mir fest vor, daheim das alte Zweit-Rad endlich wieder fit zu machen und lieber ohne auf den Frühling zu warten draußen in die Pedale zu treten.