© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/20 / 07. Februar 2020

„Die Vorwürfe sind völlig substanzlos“
Sie schmähen ihn als „Faschisten“ und fordern eine „Entnazifizierung“ – seit Wochen organisieren linke Studenten an der Universität Wien Stör- und Blockadeaktionen, um den konservativen Historiker Lothar Höbelt zum Schweigen zu bringen. Teile der Presse springen auf
Moritz Schwarz

Herr Professor Höbelt, worum geht es in Ihrem Fall tatsächlich?

Lothar Höbelt: Leider weiht mich die Linke in ihre Pläne nicht immer ein. Aber vermutlich besteht da ein gewisser Zusammenhang mit dem absehbaren Aufstieg der Grünen zur Regierungspartei. Das hat im linken Milieu für neue Motivation gesorgt – zu versuchen, nun letzte konservative Restbestände im Kulturbereich abzuräumen. 

Aber Sie gehen in einem Jahr sowieso in Pension. Also, was soll das? 

Höbelt: Stimmt, zudem bin ich pragmatisierter Beamter. Aber ich bin da wahrscheinlich auch nur ein bequemer Aufhänger. Angeblich ausgelöst hat den Protest ja mein Vortrag im November bei der Winterakademie des Instituts für Staatspolitik von Götz Kubitschek – aber diese an Harmlosigkeit kaum zu überbietende Veranstaltung als eigentlichen Grund? Ich bitte Sie, das ist doch nicht ernstzunehmen! Nein, da geht’s immer um diese Art von Verschwörungstheorie im Kettenbrief-Stil, auf neudeutsch „guilt by association“: Kubitschek macht etwas mit den FPÖ-nahen „Freiheitlichen Akademikern“ in der Steiermark; Höbelt spricht bei denen; und Höbelt hatte einen Schüler X, der mit Herrn Y zusammenarbeitet, der einmal etwas über Herrn Z gesagt hat usw. Eigentliches Ziel sind also Schüler X oder Herr Y denn das sind vielleicht Leute, die noch nicht wie ich Ruheständler in spe sind, sondern Herrschaften, auf deren Posten es andere abgesehen haben. 

Also ist das eine koordinierte Aktion?

Höbelt: Nein, es ist wahrscheinlich komplexer: Tatsächlich kommen wohl verschiedene Impulse und Akteure zusammen. Linke Studentenvertreter brauchen eben einen Reibebaum, um sich bemerkbar zu machen, dafür habe ich sogar ein gewisses Verständnis. Der vermummten Randaliererszene wiederum ist es wahrscheinlich ziemlich gleich, wo sie gerade Krach schlägt. Und allen Protestierern geht’s offenbar in erster Linie darum, nach vollbrachter Tat möglichst perfekt gestylte Fotos von sich ins Netz stellen zu können. Das erinnert ein bißchen an die Spießbürger von gestern, die nach jedem Ausflug zur Dia-Show eingeladen haben. In dem Punkt scheinen sich Linke und Rechte sogar gleich zu sein.

Auch die Gegenprotestler sind inzwischen Teil der Vorwürfe gegen Sie: Zu Ihren Unterstützern zählten Burschenschafter, Identitäre und Rechtsextreme, wird moniert, aus deren Reihen „Juden raus!“ gerufen worden sein soll. Stimmt das? 

Höbelt: Nun, da bin ich leider kein passender Zeuge, weil man mich und den Großteil meiner Hörer am fraglichen Tag eben nicht einmal in den Hörsaal gelassen hat. Wenn diese Bemerkung so gefallen ist, ist sie natürlich inakzeptabel, ja geradezu ein klassischer Fall für eine Fehlreaktion: Wenn sich beispielsweise, wie bei den Protesten passiert, jemand mit einem Transparent, auf dem „Jüdische Hochschülerschaft“ steht, in die Gefolgschaft von aggressiven Randalierern begibt, darf ich mich über das betreffende Individuum beschweren, aber nicht eine ganze Bevölkerungsgruppe dafür in Geiselhaft nehmen.    

Gibt es Extremisten unter Ihren Hörern? 

Höbelt: Das hat mir egal zu sein. Dies ist eine öffentliche Uni, finanziert durch jedermanns Steuergeld, und jeder immatrikulierte Student hat das Recht, an Vorlesungen teilzunehmen. Ja, es gibt eine lange Tradition, daß auch Außenstehende das Bildungsangebot nutzen dürfen. Da wird nicht einmal in Österreich jemand nach seinem Parteibuch gefragt. Wer Politik treiben will, ist herzlich eingeladen, das zu tun – außerhalb der Universität. Es wird mir erzählt, daß sich manche Teilnehmer an universitären Veranstaltungen mit erhobener Faust oder irgendwelchen sonstigen Gesten begrüßen. Das widerspricht zwar meiner Devise der Trennung von politischem Engagement und Wissenschaftsbetrieb, aber derlei Kindereien sind eigentlich auch keinen weiteren Kommentar wert. Eine rechte Gruppe prahlte offenbar damit, sie habe in meiner Vorlesung als „Saalschutz“ agiert. Denn einmal hat jemand nach dem Ende meiner Vorlesung in diesem Sinne ein paar Parolen gebrüllt – nicht zu meiner Freude. Typischerweise wird diese eher lächerliche Angeberei gerade von den Linken für bare Münze genommen. Da erweisen sich die „Blinddarmfraktionen“ beider Seiten (stets erregt und zu nichts nütze) wieder einmal als Brüder im Geiste, die füreinander wechselweise den Agent provocateur spielen. 

Der Journalist Hans Rauscher erweckt im „Standard“ den Eindruck, als seien Sie Teil einer neonazistischen Welle. 

Höbelt: In einer Zeitung also, die mich wiederholt um Kommentare gebeten und sie auch ganz korrekt honoriert hat. Herr Rauscher beschwert sich schon seit über zwanzig Jahren über mich. Da ist der Neuigkeitswert gering. Ab und zu laufen wir einander dann auch bei Einladungen oder Talk-Shows über den Weg.

Sein Artikel rückt sie ausdrücklich in die Nähe von Hitler und Holocaustleugnern, und die Protestierer brandmarken Sie als „Faschist“ und nennen die Forderung nach Ihrer Entfernung „Entnazifizierung“. 

Höbelt: Ach wissen Sie, Vorwürfe, die völlig substanzlos sind, braucht man nicht zu kommentieren. Mein alter Freund Karl Gruber, unser Außenminister nach 1945, sagte in solchen Fällen stets: „Nicht dementieren – ignorieren!“

Aber Sie wissen doch: Mit dem Nationalsozialismus in Zusammenhang gebracht zu werden ist, auch wenn frei erfunden, sozial tödlich. Und es wirkt das bekannte Prinzip: Etwas bleibt immer hängen.

Höbelt: Da habe ich als Historiker den Vorteil, daß ich in mehreren Büchern auf die dreißiger Jahre eingegangen bin. Da kann jeder, der lesen kann, sich über meine Einschätzung des Phänomens orientieren. Auch der Holocaust war in mehreren meiner Vorlesungen zum Zweiten Weltkrieg Gegenstand, mit besonderer Betonung der Debatten zwischen „Intentionalisten“ und „Funktionalisten“. Zur Geschichte des Antisemitismus in Österreich habe ich einmal einen Vortrag gehalten in Gegenwart eines hochrangigen Vertreters der Israelischen Kultusgemeinde, der mir nachher gesagt hat, er hätte nichts daran auszusetzen. Für entbehrlich halte ich es in der Wissenschaft allerdings, sich bei jeder Erwähnung eines NS-Bonzen rituell zu bekreuzigen. Das Kuriose dabei ist ja: An solchen Exorzismen en miniature finden heutzutage oft gerade Leute Gefallen, die sich gern auf Aufklärung und Vernunft berufen.

Konkret wirft man Ihnen unter anderem vor, es für „absurd“ zu halten, über die Schuld am Zweiten Weltkrieg zu diskutieren, dazu aufzufordern, man solle aus der Geschichte, inklusive der des Dritten Reichs, nichts lernen oder einen Beitrag in einer Festschrift für den Holocaustleugner David Irving publiziert zu haben.

Höbelt: Historiker sollen sich nicht aufführen, als wären sie die „Beisitzer des Jüngsten Gerichts“ – der Satz stammt übrigens von einem ehemaligen Obmann des Verbands Sozialistischer Studenten. In der Wissenschaft geht’s nicht um Schuld und Sühne, sondern um Ursachen und Kausalitäten: Sprich, wir Historiker legen einen Befund oder eine These vor. Welche Schlüsse der Leser daraus für sich oder seine politische Gruppierung zieht, muß ihm überlassen bleiben. Denn in Wertfragen kommt auch dem Wissenschaftler nicht mehr Kompetenz zu als jedem anderen Bürger. Und zu Irving: Wer einen Beitrag für eine Festschrift zur Verfügung stellt, identifiziert sich deshalb noch lange nicht mit allem, was der Geehrte je gesagt hat – oder vielleicht einmal sagen wird. Ich bin gerade erst über einen Artikel aus den achtziger Jahren gestolpert, wo auch Hans Mommsen respektvoll auf Irvings Thesen geantwortet und ihn keineswegs als rechtsextremen Autor eingestuft hat. 

Wird, abgeschreckt durch die Aktionen gegen Sie, künftig kein Konservativer mehr an der Uni seine Meinung sagen?  

Höbelt: Wir wollen nicht dramatisieren: Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben. Immerhin haben das Rektorat und der zuständige Minister mich aufgefordert, in der Lehre fortzufahren. Allerdings: Allzu viele dezidierte Konservative sehe ich gerade in den geisteswissenschaftlichen Fächern ohnedies nicht. Aber wer weiß? Es haben sich immer wieder selbst vormalige Maoisten später zu Rechtsliberalen oder Konservativen gewandelt.

Konservative Professoren gibt es also künftig nur noch, wenn sie zuvor Linksextremisten waren – Konservative von Haus aus bekommen dagegen keinen Zugang mehr?

Höbelt: Zum Unterschied von England, wo man Debatten schätzt, hat der Konformismus bei uns leider viel mehr Tradition – einmal in der einen, dann in der anderen Richtung. Bewerber für eine Professur, die Kontroversen auslösen könnten, haben es da schwer. Und augenblicklich ist diesbezüglich zweifelsohne die Linke tonangebend. Dazu kommt dann noch, daß die Geschwätzigkeit der sogenannten sozialen Medien geradezu ideale Voraussetzungen schafft für Zeitgenossen, die in sich die Berufung zum Blockwart verspüren.

Bei Ihnen klingt das so entspannt. Aber führt dies nicht zu geistiger Gleichschaltung, also gesellschaftlichem Totalitarismus?     

Höbelt: Die Gefahr ist gegeben. Aber die Unis sind da gar nicht das primäre Schlachtfeld. Es wäre eine Illusion zu glauben, daß wir hier es sind, die das Geschichtsbild prägen. Die „Holocaust awareness“ (das ständige Vergegenwärtigen des Holocausts, Anm. d. Red.) hat nicht der Historiker Raul Hilberg mit seinem Standardwerk ausgelöst, sondern die US-Fernsehserie „Holocaust. Die Geschichte der Familie Weiss“ zwanzig Jahre später. Oder nehmen Sie den genialen französischen Staatsmann Kardinal Richelieu, der überall als Bösewicht gehandelt wird – weil er so in den „Drei Musketieren“ vorkommt.     

Es geht um die Unis als Ausbildungsstätten: Da heute „jeder“ studiert, durchlaufen die späteren Entscheider in den Massenmedien und anderen gesellschaftlichen Institutionen fast alle die Universitäten und werden dort mitgeprägt.

Höbelt: Da hoffe ich auf die Logik des Marktes. Wenn die Unis immer einseitiger werden, wird es früher oder später Alternativangebote geben. Da darf man auf die Entwicklung in den USA gespannt sein: Wenn auf renommierten Unis zunehmend der Unsinn blüht, wie lange werden sich das die Geldgeber gefallen lassen? Da profitieren dann andere davon. Bei uns sieht man, daß die Nachfrage nach der Ausbildung an Fachhochschulen die Universitäten in vielen Fällen längst geschlagen hat. Und ich kenne Deutsche, die ihre Kinder zum Medizinstudium nach Polen schicken, sobald dort auf englisch unterrichtet wird.  

Ist ein Grund für das Problem, daß die FPÖ in der Regierung versäumt hat, sich des intellektuell-vorpolitischen Raums zu widmen.  

Höbelt: Nein, zu glauben, eine Partei könnte kurzfristig den intellektuellen Mainstream wenden, ist absurd. 

Also ist das Metapolitische irrelevant für den politischen Kampf gegen die neue ÖVP/Grünen-Regierung in Österreich?

Höbelt: In einem gewissen Sinne ja. Denn Bundeskanzler Sebastian Kurz gibt ja vor, die blaue Agenda der FPÖ weiterhin mitzubetreuen. Die Frage ist nur, ob er dieses Versprechen im Bündnis mit den Grünen glaubhaft halten kann. Nicht die Opposition gewinnt Wahlen – die Regierung verliert sie: Im Grunde muß die FPÖ warten, bis die Regierung Fehler macht. Und bis dahin auch nach außen wieder den Eindruck einer verläßlichen Kraft erwecken.

Was konkret bedeutet?

Höbelt: Kurz ist es gelungen, auch bei vielen Konservativen den diffusen Eindruck zu erwecken, die FPÖ wolle ja gar nicht mehr regieren oder könne es aufgrund interner Spannungen gerade nicht. Daher bliebe ihm gar nichts anderes übrig, als es mit den Grünen zu versuchen. Da hat die FPÖ vielleicht nicht energisch genug gegengesteuert.

Welche Rolle spielt dabei, daß Ex-Parteichef HC Strache in Wien antreten will?

Höbelt: Es verstärkt diesen diffusen Eindruck, man könne ja nicht wissen, wie das alles weitergeht. De facto ist es aber ziemlich irrelevant, denn ob die FPÖ bei der Landtagswahl in Wien von ihren 31 Prozent auf 19 oder nur 15 Prozent fällt, ändert nicht wirklich viel. 

Was, wenn Strache den Einzug schafft? 

Höbelt: Dann ist er Landtagsabgeordneter. Ich gönne ihm auch das Salär, aber selbst dann würde seine Liste ein lokales Phänomen bleiben. Die FPÖ hätte für ihre Niederlage einen Sündenbock und ist das Problem Strache so oder so los, sobald die Fronten einmal klar sind.

Wird die Regierung vorzeitig zerbrechen? 

Höbelt: Prophetie ist ein undankbares Geschäft. Es wird stark davon abhängen, wie sehr die Realität die Regierung herausfordert, von Asylanten bis Konjunktur. 

Wenn die Regierung hält, muß hinterher aber entweder die konservative ÖVP- oder die linke Grünen-Klientel enttäuscht sein.

Höbelt: Vermutlich beide. Aber auch wenn die Regierung Kurz die nächste Nationalratswahl verliert – eine Koalition gegen Kurz ist kaum vorstellbar. Sprich: Er kann sich’s auch beim nächsten Mal wieder aussuchen, wen er als „Lebensabschnittspartner“ wählt.     






Prof. Dr. Lothar Höbelt, ist außerordentlicher Professor für Neuere Geschichte in Wien sowie Vortragender an der Theresianischen Militärakademie. Er lehrte als Gastdozent an mehreren US-Universitäten und veröffentlichte zahlreiche Bücher. Geboren wurde der Neuhistoriker 1956 in Wien.

Foto: Vermummte blockieren am 14. Januar die Höbelt-Vorlesung an der Universität Wien: „Vermutlich besteht da ein gewisser Zusammenhang mit dem absehbaren Aufstieg der Grünen zur Regierungspartei in Österreich. Das hat im linken Milieu für eine neue Motivation gesorgt – nun zu versuchen, letzte konservative Restbestände im Kulturbereich abzuräumen“    

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