© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/20 / 07. Februar 2020

Grüße aus Brüssel
Ein Spion für Peking?
Albrecht Rothacher

Gerhard S. wurde in den Brüsseler Insiderblättern wie der Politico und dem EU Observer unter voller Namensnennung nach allen Regeln der Medienkunst hingerichtet. Auf der Titelseite erschien er wie aus dem Verbrecheralbum abgebildet. Die Bundesanwaltschaft hatte seine Wohnungen in Berlin und Brüssel durchsucht und dies auch publik gemacht. Dies macht sie eigentlich nur, wenn sie etwas in der Hand hat.

Der Sudetendeutsche mit einer ungarischen Mutter ist gebürtiger Pforzheimer und war nach einer recht steilen Kommissionskarriere EU-Botschafter in Oslo und Seoul, dort aber vorzeitig wegen seiner chinesischen Freundin abberufen worden, die jetzt anscheinend seine Frau ist. Die Financial Times hat sie kürzlich namentlich als Einfluß-Agentin des Pekinger Regimes identifiziert. 

Aber der Rufmord ist da, die schwarzen Seilschaften wollen ihn nicht mehr kennen.

Zuvor war er auch Bürochef der EU-Vertretung in Berlin und Hauptabteilungsleiter für Asien in der EU-Zentrale. Dort war er ein Chef der angenehmen Sorte. Mit Gardemaß und Fliege, stets freundlich, wohlwollend und beherrscht, nicht übertrieben an Details interessiert, ein begnadeter Netzwerker vor allem in CDU-Kreisen, den bekanntlich nicht unwichtigen schwarzen Seilschaften in Berlin und Brüssel.

 Jetzt soll er nach seiner Pensionierung für den Lobbyverein EU-Top arbeitend für die Chinesen Industriespionage getrieben haben. Ein bißchen schwierig für jemanden, der als Diplomat wahrscheinlich keinen Wasserboiler von einer Zentrifuge unterscheiden kann. 

Bislang gibt es weder eine Anklage noch eine Verhaftung. Ein wirklich Verdächtiger könnte sich ja locker nach China absetzen. Aber der Rufmord ist da, die lieben alten Kollegen lästern bösartig, die schwarzen Seilschaften wollen ihn nicht mehr kennen, den Pensionärsjob bei EU-Top ist er auch los. Zum EU-Parlament wurde ihm der Zugang gesperrt.

Der Sturz aus jenen lichten Höhen eines Groß-Botschafters zur Unperson ist sicher tief und schmerzlich. Frauengeschichten, ein übertriebenes Geltungsbedürfnis, Finanzprobleme und ein überhöhter Lebensstandard werden ihm angedichtet. Mutmaßlich hat er nur wie im Lobbyisten-Handwerk üblich mit seinen chinesischen Verbindungen zu sehr geprahlt und mit der chinesischen Botschaft zu oft öffentlich geturtelt. Eine schlechte Optik, aber sicher kein Kapitalverbrechen. Ich plädiere für Freispruch, aber sein Lebenswerk und seine Reputation sind ruiniert.