© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/20 / 07. Februar 2020

Wenn Otto vom Fliegen träumt
Luftfahrt: Münchner Startup Lilium verspricht bis 2025 elektrisches Flugtaxi, das in einer Stunde fünf Personen 300 Kilometer weit fliegen soll
Fabian Schmidt-Ahmad

Zu Lande, zu Wasser und in der Luft – die Elektromobilität, so die politische Vorgabe, sei nicht aufzuhalten. Gerade bei letzterem überschlagen sich die Phantasien. Autonome Flugtaxis sollen Passagiere sanft durch den Himmel tragen, angetrieben mit Strom aus erneuerbaren Energien. Nicht in ferner Zukunft, sondern praktisch morgen. Schon 2018 forderte die CSU Landeplätze auf dem neuen Münchner Hauptbahnhof. „Unternehmen stehen kurz vor der Zulassung von bemannten Flugdrohnen zum Personentransport“ , schwärmte CSU-Stadtrat Manuel Pretzl.

Das CSU-Engagement kommt nicht von ungefähr. Bayern, Zentrum der deutschen Luftfahrtindustrie, will in Sachen „Urban Air Mobility“ ganz vorne mitspielen. In der Tat basteln derzeit weltweit Startups an mehr oder minder gediegenen Prototypen. CSU-Liebling ist das 2015 gegründete, bei München ansässige Startup „Lilium“. Geschäftsführer Daniel Wiegand sitzt zusammen mit Investor Frank Thelen im Beratergremium der Staatssekretärin für Digitales, Dorothee Bär (CSU).

Sein „Lilium Jet“ soll in den nächsten fünf Jahren marktreif sein. 100 Millionen Euro sammelte Wiegand bisher für das futuristische Vehikel, das mit beeindruckenden Werten aufwartet.

Das Wandelflugzeug, das wie ein Hubschrauber starten und landen kann, soll in einer Stunde fünf Passagiere dreihundert Kilometer transportieren können. Alles freilich nur auf dem Papier. Ein Prototyp hob am 4. Mai 2019 zu einem vierzig Sekunden dauernden Schwebeflug ab. Eine „Luftnummer“, wie das Luftfahrtmagazin Aerokurier in seiner aktuellen Ausgabe ätzt. 

Der Hauptvorwurf: Lilium gebe keine belastbaren Daten zum Fluggerät heraus, sondern nur wohlklingende Werbebotschaften. Ein Ingenieur, der für das Magazin die Flugparameter kalkulierte, kam zu einem vernichtenden Ergebnis. Selbst bei optimalen Annahmen käme Lilium nicht einmal in die Nähe der selbstgesteckten Ziele. Achillesferse ist der Energiespeicher. Neben anderen Nachteilen sind verfügbare Akkus durch ihre geringe Energiedichte schwer, was ein massiver Nachteil im Flugzeugbau sei. 

Investor kontert: „Wir sind Volk der Bedenkenträger“

Hinzu komme noch der Designfehler kleiner, ummantelter Propeller, die vergleichsweise ineffizient sind. „Liliums einzige Chance zu beweisen, daß die postulierten Leistungen erfüllt werden, ist, alle Referenzwerte auf den Tisch zu packen“, pflichtete Erol Özger von der Technischen Hochschule Ingolstadt bei. Sonst sei es „grenzwertig, damit Werbung zu machen“.

Lilium – benannt nach dem Luftfahrtpionier Otto Lilienthal – hält sich bedeckt. Sie seien „eines der ganz wenigen Unternehmen, die sich wirklich dafür einsetzen, die Mobilitäts- und Klimaherausforderungen durch Innovation und Kreativität zu lösen“, heißt es.

Investor Thelen, gleichfalls um Stellungnahme gebeten, reagierte verärgert. Der Unterton der Fragen sei „unverschämt“: „Wir sind das Volk der Bedenkenträger“, heißt es zur Antwort. Statt „visionäre Gründer“ zu unterstützen, „ersticken wir ihre innovativen Ideen mit unserer Skepsis im Keim“. Das Unternehmen werde „in den nächsten Monaten mit den Flugtests des Prototypen immer wieder neue Meilensteine erreichen und veröffentlichen“. Die übrigen Investoren dürfte das freuen. 

Lilium ist nicht das einzige Flugtaxi-Startup, das bisher Großes ankündigt, aber bis auf schickes Design noch nicht viel gezeigt hat. Das US-Unternehmen Joby Aviation entwickelt seit 2009 einen Viersitzer mit Kipprotoren. Auch hier wären die projektierten Leistungsdaten mit 320 Stundenkilometer und 240 Kilometer Reichweite revolutionär. Doch das einzige, was bisher reibungslos funktioniert, ist das fleißige Einsammeln von Kapital. Alleine Toyota beteiligt sich mit fast 400 Millionen Dollar am Traum vom Selbstflieger mit Stromstecker. Vergleichsweise bescheiden nimmt sich dagegen das Konzept des Branchenriesen Airbus aus, eine Art überdimensionierte Drohne.

Der „Cityairbus“, der einen Tag vor dem „Lilium Jet“ zum ersten Testflug abhob, soll nach einem festen Fahrplan bis zu vier Passagiere mit 120 Stundenkilometern etwa fünfzig Kilometer weit befördern. Zwar wohl Werte, die realistischerweise zu erwarten sind, die jedoch die Frage nach der Sinnhaftigkeit der angeblichen Mobilitätsrevolution stellen. 

US-Konkurrenz setzt auf Hybridantrieb

Denn das schafft auch ein Regionalzug, ganz ohne teuren Akku und rechtliches Neuland. Vielleicht hält sich Airbus deshalb mit Jubel aus einem anderen Bereich zurück. Seine Solardrohne „Zephyr“ hatte am 6. August 2018 mit 29 Tagen Dauerflug den Weltrekord für Flugzeuge aufgestellt. Doch die Drohne – ein 33 Meter breites, fliegendes Solarpanel inklusive hocheffizienten Lithium-Schwefel-Akkus für den Nachtflug – soll künftig in 15 Kilometer Höhe als Satelliten-Ersatz operieren. Mit Passagierflug ist hier nichts.

Bleibt nur der Rückgriff auf fossile Brennstoffe zur Leistungssteigerung. Entsprechend tüftelt Uber Elevate, an dem auch Airbus-Rivale Boeing beteiligt ist, an einen Hybridantrieb für sein Vier-Personen-Kipprotorflugzeug. Anders werden die bis zu 240 Stundenkilometer und rund hundert Kilometer Reichweite kaum zu schaffen sein. Ähnliche Daten strebt auch Bell mit dem „Nexus“ an, einem 2019 präsentierten Projekt. Hier soll von vornherein eine Gasturbine als Stromversorger dienen.

Bleibt es also ein Traum, Passagiere rein mit elektrischer Energie über große Distanzen und mit hoher Geschwindigkeit schweben zu lassen? Nun – da sind die Chinesen schon etwas weiter. Dort werden regelmäßig Fahrgäste mit über 430 Stundenkilometern befördert. Die Technik ist freilich schon etwas älter und aus Deutschland – es ist der Transrapid.

 www.aerokurier.de

 www.lilium.com