© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/20 / 07. Februar 2020

Symbolischen Abstand schaffen
Historische Rekonstruktion: Kritiker stören sich am Waffenschmuck des Turms der Garnisonkirche
Peter Möller

Das neue Jahr hat in Potsdam begonnen, wie das alte endete: mit Streit um die Garnisonkirche. Schon heute ist der (Teil-)Wiederaufbau des barocken Gotteshauses das am heftigsten umkämpfte architektonische Rekonstruktionsprojekt in Deutschland. Das Besondere: Obwohl bereits seit 2017 an der Neuerrichtung des am Ende des Zweiten Weltkrieges ausgebrannten und 1968 vom SED-Regime gesprengten Turmes gearbeitet wird und der Backsteinsockel bereits eine imposante Höhe erreicht hat, lassen die Angriffe der Gegner des Wiederaufbaus nicht nach. Das zeigte sich auch Ende Januar bei einer Anhörung im Hauptausschuß der Stadtverordnetenversammlung zum Wiederaufbau, bei der die unterschiedlichen Positionen – vom geforderten Abbruch der Bauarbeiten bis hin zur Komplettrekonstruktion – erneut aufeinanderprallten.

Im Zentrum der Auseinandersetzungen um die Garnisonkirche steht derzeit das zu DDR-Zeiten gebaute Rechenzentrum, das für die Wiedererrichtung des Kirchenschiffes weichen soll und derzeit übergangsweise von Künstlern genutzt wird. Viele Gegner des Kirchenprojektes fordern einen Erhalt des Rechenzentrums und damit einen endgültigen Verzicht auf das Kirchenschiff. Andere gehen noch weiter und versuchen, auch noch in die eigentlich bereits abgeschlossenen Planungen für den Turm einzugreifen. Maßgeblich an diesem Versuch beteiligt sind der Architekt und Architekturprofessor Philipp Oswalt sowie der an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee lehrende Kommunikationsdesigner Steffen Schuhmann. Beide wollen nicht nur das Rechenzentrum erhalten und dort den vom Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) vorgeschlagenen „Lernort“ unterbringen, für den bislang das Kirchenschiff vorgesehen ist, sondern auch die historische Gestalt des Turmes verändern.

Der weit links stehende, 55 Jahre alte Oswalt ist einer der prominentesten und verbissensten Gegner architektonischer Rekonstruktionen in Deutschland. Schon während der Diskussion über den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses zählte er zu dessen erklärten Gegnern und setzte sich für den Palast der Republik ein. Aus Protest gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche, der von der evangelischen Kirche unterstützt wird, trat Oswalt 2016 aus der Kirche aus.

Dennoch versucht er weiter auf das Projekt Einfluß zu nehmen: „Uns geht es darum, sachlich fundiert und kritisch über die verschiedenen Aspekte der Gebäudegeschichte zu informieren. Daran mangelt es leider bislang“, begründete Oswalt seinen neuerlichen Vorstoß in einem Interview mit den Potsdamer Neusten Nachrichten. Darin bekräftigte er seine Ablehnung der Garnisonkirche und sprach von einer „Verbindung von absolutistischem Staat, Kirche und Militär“, die fatal sei, und über den „Tag von Potsdam“, der den meisten Gegnern des Wiederaufbaus als Begründung für ihre ablehnende Haltung dient, hinausgehe. „Dazu gehört etwa die Segnung der Kolonialkriege wie die Niederschlagung des Boxeraufstands. Die Problematik spitzt sich in der Weimarer Republik zu, da ist die Kirche das Sammelbecken und der Symbolort der rechtsradikalen, antirepublikanischen Kräfte“, behauptet Oswalt.

Er fordert daher, das Rechenzentrum zu erhalten, um so den geplanten Bau des Kirchenschiffes zu verhindern. Dadurch würde das architektonisch anspruchslose Rechenzentrum quasi zum Kirchenschiff des barocken Turms. „Wenn es darum geht, Geschichte erlebbar zu machen, ist dies für mich der einzig sinnvolle Vorschlag. Eine solche Gegenüberstellung würde etwas Signifikantes zum Ausdruck bringen und auch verschiedene Lesarten erlauben“ schwärmt Oswalt.

Doch mehr noch als an dem in seiner ursprünglichen Gestalt eher schmucklosen Kirchenschiff stört sich der Architekt am plastischen Schmuck des imposanten, 88 Meter hohen barocken Turms des Gotteshauses. Denn entsprechend ihrer Funktion als Kirche für die in Potsdam stationierten Regimenter der preußischen Armee war der Kirchturm mit steinernen Fahnen, Helmen und Harnischen als Bauschmuck verziert.

In den Plänen für den Wiederaufbau, der sich eng an dem historischen Original orientiert, ist vorgesehen, diese Verzierungen wiederherzustellen. Doch das möchte Oswalt verhindern: Zwar habe er sich mit dem Bau des Turmes abgefunden, ihm sei es aber wichtig, über dessen äußere Gestalt und seine Nutzung zu ringen. „Mir ist nicht nachvollziehbar, warum wir den Waffenschmuck an dem Bauwerk heute wieder anbringen sollten. Hier bestünde die Chance, einer Geste der Versöhnung einen gestalterischen Ausdruck zu geben, der auch von außen sichtbar ist“, sagt Oswalt und hat einen Vorschlag parat: Sein Kollege Steffen Schuhmann habe bei einem Workshop zur Garnisonkirche vorgeschlagen, „die von uns einst bekämpften Länder und Völker – Franzosen, Chinesen, Herero, Nama und viele andere – einzuladen, einen neuen Bauschmuck für die Garnisonkirche zu gestalten“.

Bereits in einer im vergangenen Jahr im Internet veröffentlichten Petition hatte Oswalt gegen den barocken Bauschmuck Front gemacht. „Der Verzicht auf eine Nachbildung des historischen Waffenschmucks ist das absolute Minimum, um symbolischen Abstand zu schaffen zu einem Identifikationsort des preußischen Militarismus, des Rechtsradikalismus der Weimarer Zeit und des Nationalsozialismus. An diesem Ort darf es nicht wieder zu einer Ästhetisierung und Verherrlichung von Kriegsgerät kommen, auch nicht in historisch verbrämter Form.“

Nimmt man die Zahl der Internetnutzer zum Maßstab, die dieser Petition bislang ihre Stimme gegeben haben, steht Philipp Oswalt mit seinen Vorstellungen von einer „Entmilitarisierung“ der historischen Architektur ziemlich alleine da: Seit August 2019 hat seine Petition bis Anfang dieser Woche knapp 1.400 Mitzeichner gefunden. Dennoch darf der Einfluß des umtriebigen und in den Medien und der Kulturszene bestens vernetzten Oswalt nicht unterschätzt werden. Und auch die Potsdamer Politik um Bürgermeister Schubert hat in den vergangenen Monaten immer wieder gezeigt, daß sie noch immer nicht ihren Frieden mit dem Projekt gemacht hat. Der Streit um die Garnisonkirche dürfte Potsdam daher weiter beschäftigen.