© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/20 / 14. Februar 2020

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Auf dem Weg zum gröBaZ
Paul Rosen

Wer den Sumpf trockenlegen will, darf die Frösche nicht fragen. An diese vom früheren CSU-Landesgruppenvorsitzenden Michael Glos gerne benutzte Redensart erinnert die gegenwärtige Debatte um die Verkleinerung des Bundestages. Das deutsche Wahlrecht, eine Mischung aus dem in Weimarer Zeit gebräuchlichen Parteilisten-Wahlrecht und dem in Großbritannien üblichem Mehrheitswahlrecht mit Wahlkreisen, ist seit der Vergrößerung der Parteienlandschaft und diversen Verfassungsgerichtsurteilen nicht einfacher geworden. 

Es führt dazu, daß der Wähler wählen kann, was er will: Im Ergebnis werden immer dieselben Abgeordneten in den vorderen Reihen des Plenums sitzen. Wer seinen Wahlkreis verliert (Mehrheitswahlrecht), rückt im Regelfall über die Landesliste (Verhältniswahlrecht) wieder ein. Schlechte Wahlergebnisse schlagen erst dann voll durch, wenn eine Partei wie die FDP 2013 ganz aus dem Bundestag fliegt.

Die auf Druck des Bundesverfassungsgerichts ausgeweiteten Regelungen zu Überhang- und Ausgleichsmandaten haben auch für Abgeordnete in den hinteren Reihen zu einer komfortableren Situation geführt: Der Einzug einer neuen Fraktion wie der AfD und die Wiederkehr der FDP tat den Etablierten trotz ihrer erheblichen Verluste 2017 nicht ganz so weh, da Überhang- und Ausgleichsmandate zu einer Erhöhung der Gesamtzahl der Sitze von 631 auf 709 führten. Die Sollstärke beträgt 598.

Von Wahlrechtsfachleuten wird bei der nächsten Wahl 2020 eine weitere Aufblähung des Bundestages erwartet. Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus warnte, man könne es nicht vertreten, „daß wir hier mit 850 oder 900 Leuten sitzen“.

Nur eine Einigung auf ein neues Modell ist nicht in Sicht (JF 16/19). Eine Gruppe von rund 50 Unionsabgeordneten machte nun den Vorschlag, die beiden Wahlsysteme zu trennen und je 299 Abgeordnete direkt und nach Listen wählen zu lassen. Das würde selbst bei einem weiteren Absacken der Union (derzeit 32,9 Prozent Zweitstimmen) zu einer satten schwarzen Mehrheit führen, da sie die Chance auf den Gewinn der meisten Direktmandate hätte. Entsprechend kräftig war die Ablehnung der anderen Fraktionen. Grüne, FDP und Linke würden gerne die Zahl der Direktwahlkreise von 299 auf 250 reduzieren, was mehr Listenplätze in einem allerdings kleineren Parlament bedeuten würde. Auch dies ist ein Vorschlag zu eigenen Gunsten.

Für eine Änderung der Wahlkreiszuschnitte ist es bereits zu spät: Das Verfahren ist zeitaufwendig, da es eine Standardgröße an Wahlberechtigten gibt, von der ein Wahlkreis nur in einem engen Rahmen nach oben oder unten abweichen darf. Für ein echtes Zwei-Stimmenwahlrecht (Trennung der Wahlsysteme) müßten die Wahlkreise nicht neu zugeschnitten werden, aber dafür gibt es keine Mehrheit im Bundestag. So droht 2021 – oder nach den Thüringen-Turbulenzen der letzten Tage vielleicht früher – der größte Bundestag aller Zeiten.