© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/20 / 14. Februar 2020

Warum die Crashpropheten derzeit falschliegen
Den Untergang vertagen
Thomas Kirchner

Das EU-Inflationsziel auf zwei Prozent zu „vereinfachen“, wie es der spanische Notenbankchef Pablo Hernández de Cos forderte, ist schlicht eine versteckte Forderung nach einer Erhöhung der Teuerungsrate. Gegenwärtig liegt das Euro-Inflationsziel „unter, aber nahe zwei Prozent“. Hernández de Cos wird Crashpropheten weiter Hochkonjunktur verschaffen. Nicht nur die Ausrottung der Menschheit durch den Klimawandel, auch der Zusammenbruch des Finanzsystems bietet reichlich Spielraum für Untergangsweissagungen.

Die Erinnerungen an 2008 sind noch frisch. Warnungen treffen auf offene Ohren. Noch dieses Jahr sei es soweit, heißt es. Ungewöhnlich präzise, aber doch fundiert sind die Warnungen: Viele, nach der Finanzkrise vergebene Bankkredite werden fällig. Firmen seien wegen der sich anbahnenden Rezession in so schlechtem Zustand, daß Neukredite kaum möglich sind. Europas Banken müßten mehr als ihr Eigenkapital an Verlusten abschreiben.

Aber die Crashpropheten übersehen zwei Gründe, weshalb Krisen meist ausbleiben: Zum einen ist die Wirtschaft resistenter gegenüber politischen Fehlentscheidungen, als weithin vermutet. Zum anderen haben Bankenaufsicht und EZB noch viele weitere Möglichkeiten, Abschreibungen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag herauszuschieben und Kredite an Zombieunternehmen an Zombiebanken weiterzureichen. So geschehen in Japan nach 1989. Das Land zeigt, wie es auch ohne Crash trotz gewaltiger Verluste weitergeht: faule Kredite werden einfach nicht abgeschrieben. Die Aufsicht drückt beide Augen zu.

Zusammengebrochen ist Japan nicht, aber dauerhaft versteift. Die Staatsschulden stiegen auf 236 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (Deutschland: 60 Prozent), und die Wirtschaft dümpelt vor sich hin. Die Börse steht immer noch 40 Prozent unter dem Wert von 1989. Der große Zusammenbruch aber blieb aus. Attraktiv ist dies nicht, aber es zeigt, wie lange Manipulationen der Wirtschaft durch Niedrigzinsen, Staatsschulden und Bankenregulierung möglich sind. Auch Europa würde im Ernstfall einen ähnlichen Weg beschreiten.

Crashpropheten verdienen gut mit Büchern und Vorträgen – ob eine Krise kommt oder nicht. Um die Möglichkeiten zu wissen ist wichtig, doch wer aus Angst vor solchen Prognosen zu vorsichtig investiert, ist letztlich der Dumme. Selbst wer japanische Aktien beim Höchsttand von 1989 gekauft hat, konnte in 30 Jahren genug an Dividenden verdienen, um die Kursverluste wettzumachen.

Wer aber heute festverzinsliche Wertpapiere oder Lebensversicherungen kauft, die durch Regulierung zum Erwerb von Anleihen mit Negativzinsen gezwungen sind, hat schlechte Karten. Österreichs hundertjährige Anleihe beispielsweise wirft im Jahr 25 Euro Zinsen ab, kostet aber derzeit rund 1.700 Euro. Sofern die Alpenrepublik zahlungsfähig bleibt, gibt es im Jahr 2117 eine Rückzahlung von nur 1.000 Euro.