© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/20 / 14. Februar 2020

Alibaba und die vierzig Plattformen
Online-Handel: Der chinesische Internetgigant will auch in Europa verkaufen / Platzhirsch Amazon rüstet seine Logistiksparte auf
Paul Leonhard

Der Europa-Chef von Alibaba, Terry von Bibra, ist zurückgetreten. Ob dem Ex-Chef von Karstadt die ehrgeizigen Forderungen aus der Zentrale im chinesischen Hangzhou zuviel wurden? Fest steht, von Bibra, der auch schon für Amazon und Yahoo tätig war, hat drei Jahre lang im Auftrag von Alibaba an der Expansion des Konzerns in den europäischen Markt gearbeitet. Die Chinesen wollen den amerikanischen Onlinegiganten Amazon zurückdrängen. Es geht um die Neuaufteilung des lukrativen Westeuropa-Geschäfts.

Von Bibras Aufgabe war es, den Konzern bekannter zu machen und europäische Unternehmen zum Verkauf über die Alibaba-Plattformen in China anzuregen. Zuletzt hatte er seine Aufgabe so beschrieben: „Europa ist kompliziert, Alibaba ist kompliziert – meine Aufgabe ist es, beides zusammenzubringen“.

Möglicherweise ist der Weggang ein Zeichen für einen Strategiewechsel. Während der Einkauf in Europa nun funktioniert, will man hier jetzt auch verkaufen. Anders als Amazon ist Alibaba allerdings kein Händler und produziert nicht selbst, sondern betreibt ein unübersichtliches Netzwerk an digitalen Marktplätzen, Cloud- und Finanzdienstleistungen sowie Logistikplattformen. So ist die Finanzdienstleistertochter Alipay weniger bekannt als Paypal, doch hat sie die Amerikaner beim Umsatz schon 2014 überholt und ermöglicht mittlerweile Zahlungen an deutschen Kassen von Rossmann, dm, WMF oder Kaufhof.

Alibaba ist zwar relativ zum US-Konzern (Amazon-Börsenwert: derzeit eine Billion-Dollar) noch ein Zwerg – aber ein rasant wachsender. Voriges Jahr verzeichneten die Chinesen ein Umsatzplus von 51 Prozent. Betrachtet man beide hingegen als Warenumschlagplatz, sind die Chinesen mit einem Volumen von 853 Milliarden Dollar dreimal so groß wie Amazon. Anleger überzeugen vor allem die Gewinne. Die sind fast so hoch wie bei Amazon und werden mit einem Zehntel der Beschäftigten erreicht.

In Deutschland sei der „Big Bang“ 2020 oder 2021 zu erwarten, zitiert die Welt am Sonntag Martin Schulte, Handelsexperte bei der Beratungsfirma Oliver Wyman: „In Europa könnte es zum Endspiel zwischen Amazon und Alibaba um die Dominanz auf dem Weltmarkt kommen.“ Die Anzeichen dafür mehren sich. Das Logistik-Drehkreuz, das Alibaba gerade nahe des Flugplatzes von Lüttich in Belgien errichtet, ist mit 220.000 Quadratmetern Nutzfläche groß genug, um halb Westeuropa zu versorgen. Dazu kommen mehrere kleine Standorte, die die Logistiktochter 4PX nahe dem Flughafen Frankfurt/Main, bei Bingen am Rhein sowie unweit von Prag eröffnet hat. In Spanien testen die Chinesen eigene Ladengeschäfte.

Über Ebay oder Zalando zum deutschen Kunden?

Aber auch Amazon rüstet mit seinen Logistik-, Sortier- und Verteilzentren an 28 Standorten und rund 20.000 Beschäftigten in Deutschland auf. Die Amerikaner konzentrieren sich auf die Frachtflughäfen Köln/Bonn und Leipzig/Halle. Experten rechnen damit, daß Amazon Air nach Europa kommt und Pakete künftig nicht nur über die Autobahnen quer durch Europa transportiert werden, sondern zunehmend per Flugzeug.

Obwohl erst vor vier Jahren gegründet, verfügt die Amazon-Fluglinie inzwischen über 50 Transportmaschinen und ist damit, gemessen an der Zahl der eigenen Flugzeuge, nach DHL, United Parcel Service und Federal Express der weltweit viertgrößte Transportkonzern. Im kommenden Jahr will Amazon seine Airline um weitere 20 Maschinen aufstocken. Auch über eigene Containerschiffe wird bereits nachgedacht, die den Transport von Asien nach Nordamerika übernehmen könnten.

Daß Amazon in seiner Wertschöpfungskette bisherige Partner herausdrängen will, mußte auch die Post-Tochter DHL erfahren. Der Onlinehändler strebt in Deutschland eine eigene Zustellquote von 50 Prozent an, die er in den USA bereits erreicht hat, und zwar innerhalb von drei Jahren bei einer Ausgangsquote von zehn Prozent. Noch rascher dürfte es Paketausgabe- und Annahmestellen mit dem Amazon-Logo geben. Schnellere Lieferwege sind aus Sicht von Amazon-Gründer Jeff Bezos die Garantie, daß künftig „solider und sicherer“ Geld verdient werden kann. Insbesondere die Belieferung der Prime-Kunden sei zu kostenintensiv.

Strategie und Taktik der Amerikaner werden von den Chinesen genau beobachtet und analysiert. Die Schlacht dürfte demnächst mit dem Einstieg von AliExpress, einer Online-Einzelhandelstochter von Alibaba, beginnen. Diese ist bereits in Osteuropa, Südostasien und in der Türkei aktiv. Unter dem Slogan „Von Welt zu Welt“ werde sich Aliexpress zu einer „weltweiten Lifestyle-Plattform für Konsumenten und Kaufleute“ entwickeln, kündigte Unternehmenschef Wang Mingquiang an.

Experten vermuten, daß Alibaba für seine Expansion auf den deutschen und damit westeuropäischen Markt einen potentiellen Wettbewerber übernehmen wird. Als aussichtsreichster Kandidat gilt der Mode- und Kosmetikversender Zalando. Aber auch das schwächelnde Ebay wird als Option diskutiert. Der chinesische Konzern dürfte dabei wie in Südostasien vorgehen, wo er den Online-Händler Lazada 2016, der als Amazonklon von dem deutschen Maximilian Bittner dort gegründet wurde, für vier Milliarden Euro übernommen hatte, um anschließend dessen Angebotsspektrum radikal zu verändern.

Ähnlich gingen die Chinesen in Pakistan, Bangladesch, Myanmar, Sri Lanka sowie Nepal und zuletzt auch der Türkei vor. Seither steht Alibaba am Tor zu Europa. Seine Headhunter, berichtet das Manager-Magazin, werben derweil viele Führungskräfte aus Digitalunternehmen ab, um den Aufbau des Deutschland-Geschäfts zu beginnen.

 alibabagroup.com

 AliExpress.com

 ir.aboutamazon.com